Eigentlich ist Axel Müllers eher ein gelassener Vater. Seine drei Kinder haben das bischöfliche Pius-Gymnasium in Aachen besucht, und Müllers, Geschäftsmann, hat sich nie groß eingemischt. „Die Lehrer hatten dort alles immer gut im Griff“, sagt er. Seit Kurzem aber ist der Vater zumindest für die Schulleitung so etwas wie das enfant terrible der Elternschaft. Der Grund: Die ausdrückliche Empfehlung des Schulleiters, auch im Unterricht eine Maske zu tragen.
„Ich verstehe es einfach nicht, warum sich die Schulleitung nicht an die Entscheidung der Landesregierung hält, sondern eigene Regeln aufstellt“, sagt Müllers. „Und ich frage mich, gibt es hierfür eine rechtliche Grundlage?“
Zu Beginn des neuen Schuljahres Mitte August hatte in Nordrhein-Westfalen zunächst eine Maskenpflicht für alle Schüler ab der fünften Klasse auch im Unterricht gegolten. Eine Maßnahme, die laut Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) vor allem wegen der Reiserückkehrer beschlossen wurde. Zum 1. September dann lockerte Laschet die Vorgaben. Derzeit müssen die Schüler nur noch im Schulgebäude und auf dem Gelände eine Maske tragen, nicht aber am Sitzplatz während der Unterrichtsstunde. Sinkende Infektionszahlen nannte der Ministerpräsident als Grund für seine Entscheidung Ende August.
Und doch gibt es viele weiterführende Schulen in NRW, die ihre Schüler bitten, auch im Unterricht weiterhin eine Maske zu tragen. Einer repräsentativen Umfrage der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) unter 6000 Mitgliedern zufolge gibt ein Drittel der Befragten an, dass es an ihrer Schule Gremienbeschlüsse für eine Maske im Unterricht gebe. Eine große Mehrheit spreche sich für die Wiedereinführung aus, mangels besserer Alternativen zum Infektionsschutz.
„Wenn die Risikobewertung der Landesregierung ergibt, dass Masken im Unterricht nicht mehr nötig sind, mit welcher Kompetenz hinterfragen das dann die einzelnen Schulleitungen?“, kritisiert Axel Müllers. Er schaltete einen Anwalt ein, der sich an die Schulleitung und den Schulträger, das Bistum Aachen, wandte. In dessen Schreiben wird vor allem moniert, dass die Empfehlung keineswegs freiwilligen Charakter habe, da die Schüler, die sich gegen eine Maske entscheiden, Sanktionen zu tragen hätten.
„Meine 13-jährige Tochter wurde im Unterricht zusammen mit einigen wenigen anderen Schülern ohne Maske in die letzten Reihen des Klassenzimmers verbannt“, berichtet Müllers, entsprechend hämische Kommentare von Mitschülern wie „Kameradenschwein“ oder „Wenn wir jetzt alle krank werden, seid ihr schuld“ habe es gegeben.
Zuvor habe der Direktor von jedem Schüler eine persönliche Erklärung gefordert, die auch von den Eltern unterzeichnet werden musste. Darin musste angekreuzt werden, ob der Schüler auch weiterhin freiwillig eine Mund-Nasen-Bedeckung tragen wird oder nicht. „Dieses Malus-/Bonus-System hat zur Folge, dass Kinder unter diesem Druck einknicken und am nächsten Tag dann doch wieder eine Maske tragen“, sagt Müllers.
Das Verwaltungsgericht gab einem Schüler recht
Zu derlei Sanktionen habe die Schulleitung kein Recht, urteilte zumindest das Verwaltungsgericht in Wiesbaden, das jüngst per Eilentscheid einem Schüler recht gab. Dieser hatte sich von dem freiwilligen Gebot seiner Schule, einen Mund-Nasen-Schutz auch während der Schulstunde zu tragen, in seinen Rechten beeinträchtigt gesehen. Mit dem Aussprechen einer „dringenden Empfehlung“ zum Maskentragen überschritten die Schulen ihre Kompetenzen, vor allem mit dem Zuweisen eines neuen Sitzplatzes.
„Dieses tatsächliche Verhalten der Lehrkräfte geht über eine einfache Bitte oder Empfehlung hinaus und hat mit einer Empfehlung und einer freiwilligen Entscheidung zum Tragen einer Maske schier nichts mehr zu tun“, heißt es in der Begründung des Gerichts. Es werde eine Form von Zwang ausgeübt, die dazu führen würde, dass im Falle einer Abweichung mit Sanktionen oder gar diskriminierendem Verhalten durch den Lehrkörper mit hoher Wahrscheinlichkeit zu rechnen sei.
Grund genug für das bischöfliche Pius-Gymnasium, seine „ausdrückliche Empfehlung“ zu überdenken? Der Schulleiter Ulrich Brassel bittet darum, sich mit dieser Frage an das Bistum Aachen zu wenden.
„Unsere Bitte, Masken im Unterricht zu tragen, entspricht im Grundsatz den Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts“, sagt Thomas Ervens, Leiter der Abteilung Erziehung und Schule im Bischöflichen Generalvikariat Aachen. „Wir halten die Empfehlung, eine Maske zu tragen, für richtig, im Sinne der Solidarität untereinander. Wir sind eine Gemeinschaft, das steht auch in unseren christlich geprägten Grundsätzen, und wir schützen so vorerkrankte Schüler und Lehrer.“
Das Bistum Aachen ist der Träger von zwölf Schulen, überall trage die Mehrheit der Schüler sowie die Lehrer Masken auch im Unterricht – freiwillig. „Es gibt Fragen dazu, natürlich, aber im Großen und Ganzen klappt das gut.“ Schülern, die keine Maske im Unterricht tragen wollten, entstünden dadurch keinerlei Nachteile. „Sollte ein anderer Eindruck entstanden sein, ist das längst behoben“, sagt Ervens. Dies sei allenfalls der anfänglichen Unsicherheit zuzuschreiben, wie man mit der kurzfristig angekündigten Aufhebung der Maskenpflicht im Unterricht umgehe.
Axel Müllers bestätigt, dass seiner Tochter nun angeboten wurde, ihren ursprünglichen Sitzplatz wieder einzunehmen – wenn auch nicht aus freien Stücken. Das Bildungsministerium in NRW hatte jüngst eine entsprechende Richtlinie herausgegeben, dass keine Sitzplatzänderung im Zusammenhang mit dem freiwilligen Tragen einer Maske am Platz im Klassenraum erfolgen darf. „Keine Einsicht also, kein Unrechtsbewusstsein“, findet Müllers. „Außerdem hat es die Schulleitung nicht offen und deutlich gegenüber allen Eltern und Schülern kommuniziert, dass sie diese Sanktion zurücknehmen.“