Zwei Pathologen im Ruhestand …
… haben über YouTube angebliche Beweise für unerkannte Impftote vorgestellt. Bei einer Pressekonferenz präsentierten sie mikroskopische Aufnahmen, die massive Entzündungsreaktionen belegen sollen. Fachkollegen, die sich den Vortrag angesehen haben, äußern sich entsetzt.
Wie häufig verursachen Corona-Impfstoffe Gesundheitsschäden, wie viele Menschen sind durch die Impfung gestorben? Diese Frage beschäftigt seit der Impfstoff-Zulassung Wissenschaftler, Ärzte und viele Menschen, die sich für oder gegen eine Impfung entscheiden müssen. Dass die neuen Vakzine in seltenen Fällen auch zu schwerwiegenden Nebenwirkungen und sogar zum Tod führen könnten, ist bekannt. Im August veröffentlichte das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) eine weitere Sicherheitsanalyse: Demnach waren 43 Millionen Menschen in Deutschland zu diesem Zeitpunkt geimpft worden, 1254 verdächtige Todesfälle hatten Ärzte und Patienten dem Institut in der Folge gemeldet. In 48 Fällen hält das PEI einen kausalen Zusammenhang mit der jeweiligen Covid-19-Impfung für möglich oder wahrscheinlich.
Doch stimmt diese Rechnung? Werden wirklich alle Todesfälle von den Statistikern erfasst? Anfang August meldete sich der Chef-Pathologe der Universitätsklinik Heidelberg, Peter Schirmacher zu Wort und warnte vor einer hohen Dunkelziffer bei Impftoten. In Baden-Württemberg hatten Pathologen über 40 Menschen obduziert, die innerhalb von zwei Wochen nach der Impfung gestorben waren. 30 bis 40 Prozent dieser Menschen waren nach Einschätzung Schirmachers an der Impfung gestorben. Weitere Informationen gibt es nicht, Schirmacher hat sich seither nicht mehr geäußert. So ist es zum Beispiel unklar, ob diese Todesfälle in die Statistik des PEI eingegangen sind, auch das Alter der Toten ist nicht bekannt
Einige Aufmerksamkeit in sozialen Netzwerken erregte daher eine Pressekonferenz, die zwei Pathologen im Ruhestand und ein emeritierter Professor für Elektrotechnik am Montag abhielten. Es sollte um weitere Todesfälle im Zusammenhang mit Impfungen gehen. Organisiert und beworben wurde sie von dem Rechtsanwalt Holger Fischer aus Hanau, der schon länger einen Kanal auf Telegram betreibt. Fischer sagt: „Die Covid-19-Impfstoffe sind massiv verunreinigt“. Des Weiteren behauptet er, durch mRNA-Impfstoffe würden Zellen im menschlichen Körper „mutieren“. Für beides gibt es keine Beweise.
Einiges an dieser Pressekonferenz war ungewöhnlich. Sie fand im „Pathologischen Institut Reutlingen“ statt, das im Internet nicht auffindbar ist und bei dem es sich nicht um das „Institut für Pathologie“ am Klinikum in Reutlingen handelt. Laut Presseerklärung wurde die Einrichtung 18 Jahre von Professor Arne Burkhardt geleitet, bevor dieser sich als Pathologe niederließ und schließlich in den Ruhestand ging. Während der Pressekonferenz gab der 75-Jährige an, private Spender hätten ihm „mehrere hunderttausend Euro“ angeboten, wenn er seine Arbeit wieder aufnehme, auch aus Altersgründen habe er aber abgelehnt. Er selbst führt offenbar keine Autopsien mehr durch.
Der über YouTube gestreamte Vortrag startete mit erheblicher Verzögerung und wurde immer wieder von Bild- und Tonausfällen unterbrochen. Die drei Vortragenden saßen in einem Raum vor zwei Mikroskopen. Auf einem Bildschirm gezeigte Informationen waren oft unlesbar. Nachfragen per Chat oder Ton waren nicht vorgesehen, stattdessen wurde das YouTube-Video von einem Strom sehr unsachlicher Kommentare begleitet. Überwiegend sprach Arne Burkhardt, dessen Vortrag allerdings streckenweise schwer zu folgen war.
„Lymphozyten-Amok“
So viel wurde immerhin klar: Es ging um zehn Verstorbene, bei denen Autopsien an anderen Orten vorgenommen worden waren und deren Angehörige Burkhardt kontaktiert hatten. Offenbar setzte sich der Pathologe im Ruhestand dann mit den Kollegen in Verbindung, die die Autopsien durchgeführt hatten und ließ sich von ihnen nicht näher definierte Gewebeproben schicken. Über die genaueren Umstände des Todes, Vorerkrankungen und Symptome schien Burkhardt selbst nur mutmaßen zu können. Auch das Alter der Toten wurde nicht genannt, außer dass es sich bei allen um „ältere Menschen über 50“ gehandelt hatte.
In den Gewebeproben dieser Patienten will Burkhardt massive Anzeichen von Entzündungen gefunden haben, die sich seiner Meinung nach durch eingewanderte Lymphozyten manifestierten. Er sprach von einem „Lymphozyten-Amok in allen Geweben und Organen“ und erwähnte außerdem eine „Hyperplasie und Aktivierung der lymphatischen Organe“. Der anwesende Kollege Walter Lang, ebenfalls Pathologe im Ruhestand, bestätigte die Befunde mit einem zustimmenden Nicken. Das Phänomen war offenbar von Pathologen, die die Obduktion durchgeführt hatten, nicht gesehen worden. Er mache den Kollegen aber keinen Vorwurf, betonte Burkhardt: „Neun von zehn Pathologen hätten das übersehen, auch wir mussten immer wieder hinsehen und erst lernen, das neue Krankheitsbild zu erkennen.“ Bei sieben der zehn Fälle, so die Schlussfolgerung, sei die Impfung sehr wahrscheinlich beziehungsweise wahrscheinlich die Todesursache gewesen.
Über den „Lymphozyten-Amok“ hinaus wollen die beiden Pathologen auch Verunreinigungen in Impfstoffen „mehrerer Hersteller“ entdeckt haben. In mikroskopischen Aufnahmen zeigten sie „kasten- oder fadenförmige, doppelt lichtbrechende Elemente“, die nach ihrer Einschätzung aus Edelstahl bestehen könnten. Sie stellten eine Verbindung zu einem Mikropartikel her, das sie in der Lunge einer Verstorbenen gefunden hatten und das dort in einer sogenannten „Riesenzelle“ eingeschlossen war. Injizierte Fremdpartikel, so führte Burkhardt aus, könnten über die Blutgefäße in die Lunge gelangt sein. Er beklagte in dem Zusammenhang, dass die Impfärzte bei der Injektion nicht mehr „aspirieren“, also mit der Spritze kurz Flüssigkeit ansaugen. Sein Kollege unterbrach ihn an dieser Stelle und wies ihn darauf hin, dass ein Aspirieren bei intramuskulären Injektionen nicht mehr vorgesehen sei. „Ach so?“, antwortete daraufhin Burkhardt. „Man wundert sich ja, was alles geändert wird.“
Das Paul-Ehrlich-Institut teilte dazu mit: „Alle Impfstoffe, die in Deutschland verabreicht werden, unterliegen der staatlichen Chargenprüfung. Bislang gab es keine Beanstandungen.“ Wie auf der Pathologen-Pressekonferenz thematisiert, habe es bei drei Chargen, die in Japan verwendet wurden, metallische Verunreinigungen gegeben. Keine dieser Chargen sei in der EU auf den Markt gekommen.
Um den Auftritt der drei Männer besser einschätzen zu können, hat WELT führende deutsche Pathologen um einen Kommentar gebeten. Darunter auch Peter Schirmacher, der aber keine Rückmeldung gab. Einer der Kontaktierten folgte der Veranstaltung, brach dann aber nach einer halben Stunde entsetzt ab und wollte namentlich nicht genannt werden – er wolle „mit so etwas“ nicht in Verbindung gebracht werden.
Angesehen hat sich den Vortrag Professor Benjamin Ondruschka, Direktor des Instituts für Rechtsmedizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Gemeinsam mit zwei erfahrenen Kollegen schaute er die Pressekonferenz – hatte allerdings Mühe zu folgen. „Mir war bis zum Schluss nicht klar, wovon konkret die beiden eigentlich sprechen“, sagt er. „Es wurde nicht mitgeteilt, woher sie diese Proben oder Präparate hatten, ob es sich um Objektträger handelte, die ihnen von anderen Pathologen oder Rechtsmedizinern zur Zweitbegutachtung vorgelegt worden sind, ob es gegebenenfalls besonders schwierige Fälle waren, ob die Patienten zu Lebzeiten Symptome aufgewiesen hatten. Das ist aber wirklich wichtig zur Beurteilung. Die Fälle schienen sehr heterogen zusammengesetzt zu sein, teilweise mit mehrmonatigen Zeitintervallen zwischen Impfung und Versterben.“
Auch die Gewebeaufnahmen, die während der Pressekonferenz präsentiert wurden, überzeugen Ondruschka nicht davon, dass es einen Impfskandal gibt. „Wir haben auf einem Bild beispielsweise vereinzelte Entzündungszellen im Herzmuskel gesehen“, sagt er. „Bei so einem geringen Befund stirbt man aber noch nicht daran. Solche Einzelzellen gibt es immer mal in Gewebeschnitten. Auch wenn Sie mir jetzt Blut entnehmen würden, wären weiße Blutkörperchen (Lymphozyten) darin enthalten. Die gehören ins Blut.“
Fehlende Beweise
Und wie ist es mit dem Vorwurf, den die Reutlinger Pathologen erheben, dass man auch nur das sieht, was man kennt? Dass die Pathologen weltweit also mal genauer hingucken sollten? „Grundsätzlich hat der Kollege mit dieser Aussage natürlich recht“, sagt Ondruschka. „Was man nicht kennt, das sieht man nicht. Aber er hat nicht begründet darlegen können, weshalb die von ihm vorgestellten Befunde, zum Beispiel sogenannte Riesenzellen im Lungengewebe, zwingend und ursächlich auf die Impfung zurückgeführt werden müssen. Solche Zellen können auch auf viel trivialere Weise entstanden sein, beispielsweise, indem Mageninhalt eingeatmet oder angedaut wurde und eine Entzündung hervorgerufen hat.“
Bei einer Obduktion muss nicht nur ein geschädigtes Gewebe oder Organ als Todesursache festgestellt werden – es muss nach Möglichkeit auch stichhaltig dargelegt werden, wie es zu dieser Schädigung gekommen ist. Wie bei einem Kriminalfall müssen Beweisketten lückenlos geführt werden.
Dass die vorgelegten Befunde unvollständig sind, gab Arne Burkhardt während der Pressekonferenz zu. „Das ist jetzt der erste Schritt, den wir gemacht haben. Der zweite ist die Immunhistologie und das ganze Arsenal der Pathologie, damit wir belegen können, dass das auch etwas mit Viruspartikeln zu tun hat.“ An dieser Stelle meldete sich erstmals Walter Lang zu Wort: „Das müssen wir erst noch belegen, auch die Toxizität der Spike-Proteine. Das wird noch sehr lange dauern, aber wir müssen auch die vorläufigen Befunde unter die Leute bringen, damit vielleicht noch ein paar aufwachen.“
Bleibt die Frage, wie hilfreich es ist, wenn solche vermeintlichen, vorläufigen Befunde in einem solchen Rahmen vorgestellt werden. Immerhin handelt es sich bei allen drei Beteiligten um emeritierte Professoren. Werner Bergholzlehrte laut Pressemeldung Elektrotechnik an der Jakobs-University Bremen, davor arbeitete er im Management der Chip-Produktion bei Siemens. Er beschränkte sich allerdings darauf, zu Beginn statistische Zahlen zu referieren. Walter Lang hat laut Pressemitteilung 27 Jahre lang ein von ihm gegründetes Privatinstitut für Pathologie geleitet.
Arne Burkhardt lehrte laut Pressemitteilung vor seiner langjährigen Arbeit in Reutlingen an den Universitäten Hamburg, Bern und Tübingen. In Pathologenkreisen ist er nicht bekannt. Sucht man in der internationalen Datenbank „Pubmed“ nach wissenschaftlichen Publikationen, stößt man auf drei Einträge. Sie beschäftigen sich mit Früherkennung von Oralkrebs durch eine Probenentnahme mithilfe einer elektrischen Zahnbürste. Während der Pandemie hat er sich kritisch zum Maskentragen geäußert und auf womöglich tödliche Gesundheitsgefahren insbesondere bei Kindern hingewiesen.
Kein wissenschaftlicher Anspruch
Der Vortrag der drei Ruheständler bringt keinen Erkenntnisgewinn bei der Frage nach unerkannten Impftoten: „Diese Pressekonferenz war weit von einem wissenschaftlichen Anspruch entfernt“, sagt Ondruschka. „Es wurden elementare Dinge nicht eingeführt: Woher kommen die Proben, wie sind die kausalen Zusammenhänge belegt worden, mit welcher Sicherheit werden bei den überwiegend langen Zeitintervallen die Todesursachen konkret auf die Impfung bezogen? Bestanden überhaupt Symptome nach der Impfung? Waren die Personen vorerkrankt? Nicht klar belegte Vermutungen wie diese sollten nicht einfach auf die Öffentlichkeit losgelassen werden, die das vielleicht gar nicht einordnen kann. Ich hätte mir eher eine fachliche Diskussion gewünscht, wie wir sie auf Kongressen, Tagungen und Videokonferenzen durchführen.“
Ondruschka geht davon aus, dass die Dunkelziffer von Menschen, die direkt infolge einer Impfung gestorben ist, nicht besonders groß ist. „Natürlich gibt es eine Dunkelziffer, gerade hier in Deutschland, wo seit Jahren beklagt wird, dass viel zu wenig obduziert wird. Das ist das Grundproblem einer niedrigen Obduktionsfrequenz. Dass massenhaft Menschen aufgrund der Impfung sterben, und keiner es merke, weil keiner hingucke, hält er für unwahrscheinlich.
„Wir haben hier in Hamburg bislang knapp 60 Obduktionen durchgeführt, die in zeitlichem Zusammenhang zur Corona-Impfung standen. Tatsächlich haben wir nur bei einem Fall einen ursächlichen Zusammenhang sicher feststellen können, in wenigen anderen Fällen kritisch diskutiert. Die allermeisten Fälle zeigten klar fassbare, von der Impfung unabhängige Todesursachen.“ Auch Kollegen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz hätten diesen Eindruck bestätigt: „Nur bei einem sehr geringen Anteil derjenigen, die mit Verdacht auf Tod nach einer Impfung obduziert würden, lässt sich ein solcher Zusammenhang nachweisen. Das ist meilenweit von den Prozentzahlen entfernt, über die in der Pressekonferenz gemutmaßt wurde.“
Doch der Hamburger Institutsdirektor fügt hinzu: „Wissenschaftler sollen frei sein in ihren Gedanken – und dass sie frei sind, ihre Gedanken zu äußern, haben wir hier ja gesehen.“