Dazu die Analyse von Wolfgang Ischinger. Nach dem Mann trägt selbstverständlich Donald Trump Schuld an dem jetzigen Desaster. Weil der verhandelt habe und die Taliban nur abwarten mussten.
Das Interview des Dlf mit Ischinger vom 20.8.2021
Abwarten
mussten die Taliban ohnehin nur. Motto:
Ihr habt Geld, ihr habt Waffen, wir haben Zeit!
Insgesamt eine schwache Meinung von Wolfgang Ischinger. Meine Meinung.
… vom schnellen Durchmarsch der Taliban? Jeder in Afghanistan sah, wie korrupt und unfähig die Regierung war und um wie viel stärker alte Parallelwelten sind.
Kleine historische Exkurse sind manchmal hilfreich, um die Gegenwart zu verstehen. In der afghanischen Geschichte gibt es ein paar wichtige Feldschlachten, von denen man nicht nur gehört haben sollte, wenn man am Hindukusch länger bleiben möchte. Zum Beispiel die Schlacht von Maiwand oder das Gefecht von Gandamak, dessen historische Begleitumstände ausführlich hier beschrieben werden. Immer bekämpften sich zunächst afghanische Stämme untereinander, doch wenn eine fremde Macht auf den Plan trat, dann lehnten sich meistens alle gemeinsam gegen die Fremdherrschaft auf – mal mehr, mal weniger von außen unterstützt. Ein Ablauf wiederholte sich oft: Erst funktionierte es eine Weile mal recht, mal schlecht zwischen den Stämmen und den neuen Herren (Griechen, Mongolen, Briten, Sowjets, EU-NATO), nach einer gewissen Zeit aber beendeten die Stämme die Herrschaft der Neuankömmlinge, meist mit blutigen Aufständen. Wohl auch deshalb wird das Gebiet mitunter als „land of the untamed“ bezeichnet: Das Land der Unbezwungenen. Fremde (militärische) Kräfte haben am Hindukusch nie überdauert. Egal, ob sie in schlechter oder guter Absicht gekommen waren.
Neue Taliban auf Versöhnungskurs?
Nun ist es wieder einmal so weit, und wir erleben in diesen Tagen erstaunliche Szenen in und um Kabul.
Ganz einfach. Die Amerikaner haben nicht nur angekündigt, ihre eigenen Truppen abzuziehen. Eigentlich sollte danach die afghanische Armee durchaus stark genug gewesen sein, sich gegen die Taliban zu behaupten. Aber die Amerikaner haben nicht nur ihre Soldaten abgezogen, sondern auch die logistische Unterstützung.
Die über das ganze Land verstreuten afghanischen Garnisonen wussten nicht, wie sie im Ernstfall Nahrung, Treibstoff und Munition bekommen sollten. Die Firmen, die die afghanischen Flugzeuge und Hubschrauber am Laufen hielten, haben sich ebenfalls „verabschiedet“. Die Amerikaner zogen auch ihre modernen Aufklärungs-Drohnen ab.
Die Soldaten wurden also im wesentlichen fast „blind“ und ohne die Garantie des Einfliegens von Verstärkungen oder – im Falle einer Niederlage einer Garnison – des Ausfliegens zurückgelassen (s. dazu auch New York Times, D. Sanger, „Taliban Sweep in Afghanistan…“, 14.8.21).
Sodann hat natürlich die Ankündigung, irgendwann die lokalen Helfer aus Afghanistan herauszuholen (eine Ankündigung, der erst jetzt Taten folgen) nicht zum Vertrauen der afghanischen Soldaten in ihre Chancen beigetragen.
Es hat sich wohl eine „Die-Ratten-verlassen-das-sinkende-Schiff“-Mentalität eingestellt.
Ein Bundeswehr-General hat berichtet, dass die Kampfmoral der afghanischen Einheiten nur so lange intakt war, wie westliche Offizieren anwesend waren. War das nicht der Fall, brach sie oft zusammen.
Afghan troops „looked at what was in front of them, and what was behind them, and decided it’s easier to go off on their own“, meint der ehemalige US-General Joseph Votel, selbst lange in Afghanistan.
Hat sich denn niemand an die Schnelligkeit erinnert, in der die irakische Armee nach dem Abzug der Amerikaner unter den Angriffen des IS zerbröselte? Leiden unsere westlichen Entscheidungsträger an Amnesie??
Aber am wichtigsten ist wohl die Tatsache, dass die Soldaten die Taliban nicht als das nationale Unglück ansehen, wie es der Westen tut. Schließlich sind das Moslems wie sie. Und mit denen wird ja doch irgendwie auszukommen sein.
Kämpfen für ein von Ausländern abhängiges, extrem korruptes Regime? Keine tolle Alternative.
Da wird vielen Soldaten ein Taliban-Sieg im Vergleich nicht allzu schrecklich erschienen sein. Zumal sie sich ja ausrechnen konnten, als gut „westlich-modern“ ausgebildete Truppe den Taliban sogar nützen zu können, wenn sie sich ihnen später anschliessen.
Die „verwestlichten“ Afghanen stellen mit Sicherheit nicht die Mehrheit der Bevölkerung, auch wenn es aus der Bevölkerung vereinzelt militärischen Widerstand gegen die Taliban gab (siehe den Artikel von Ex-Botschafter R.E. Neumann in der ‚Washington Post‘ vom 24. Juli, „Afghan resistance to the Taliban needs US support – and a big morale boost“).
Aus Afghanistan herauszugehen war prinzipiell richtig. Aber WIE es gemacht wird, ist erbärmlich.
Es passiert das, was passieren musste, und was jeder Experte hätte wissen können – es passiert vielleicht nur schneller als gedacht: die Taliban erobern das Land.
Offenbar hat man aus Vietnam, aus dem Irak nichts, aber auch gar nichts, gelernt. Die Taliban – auch wenn sie uns unsympathisch sind – sind ein Teil der bodenständigen afghanischen Kultur; die „verwestlichten“, „modernen“ Afghanen sind leider nur eine kleine Minderheit. Sie haben mit fremden Soldaten zusammengearbeitet, mit ihnen sympathisiert, sahen sie als ihre Schutzmacht an. Damit sind sie in den Augen vieler traditioneller Afghanen wohl so etwas wie Verräter.
Denken wir doch zurück an die deutschen Befreiungskriege gegen Napoleon. Es war Napoleon, der mit seinen fortschrittlichen rechtlichen und administrativen Ideen (‚Code Napoléon‘) damals die Modernität repräsentierte, gegen die alte, verknöcherte, tyrannische Fürstenmacht.
Viele Deutsche sympathisierten anfangs mit ihm. Doch schliesslich setzte sich die Unterscheidung „Einheimische – Fremde“ durch. Die Franzosen wurden als Okkupanten angesehen.
Es ist, nein, nicht naiv, das wäre ein zu schwaches Wort, es ist einfach DUMM, zu glauben, andere Völker haben auf die Beglückung durch unsere Ideen gewartet und heissen uns herzlich willkommen, wenn wir Armee-Einheiten „zu ihrem Schutz“ zu ihnen schicken. Selbst, wenn man anfangs willkommen ist, ändert sich das meist schnell.
Hinter dieser Vorstellung der „Hilfe“ steht das dümmliche Konzept der Welt, dass alle Kulturen in etwa ähnlich sind und auf gleiche Weise „ticken“. In unserer engstirnigen Verbohrtheit können wir uns gar nicht mehr vorstellen, dass andere mit unseren Konzepten von gesellschaftlichem Fortschritt und Modernität absolut NICHTS anfangen können und wollen.
Wenn wir nach Osteuropa blicken, sehen wir, dass die Einstellung zu Homosexualität, zu Frauen, und zu vielem anderen ganz anders ist als bei uns.
Zu erwarten, dass wir eine so fremde Kultur wie die afghanische von aussen „retten“ können, ist einfach erbärmlich dämlich.
Aber diese dämliche Einstellung steht praktisch hinter allen Vorstellungen zu unseren Beziehungen zu Fremden. Sie steht auch hinter der idiotischen Vorstellung, wenn diese Leute zu uns kommen, streifen sie ihre Kultur, in der sie aufgewachsen sind, wie einen Mantel ab und integrieren sich in unsere.
Zahlreiche belästigte und vergewaltigte Frauen sowie Opfer von Messer-Angriffen wissen es besser. Aber über die wird ja, soweit es geht, offiziell der Mantel des Schweigens gebreitet.
Abgeschoben wird in Zukunft nicht mehr. 20 Jahre Krieg gegen den Terror haben nur zu einer teuren Verzögerung der Machtübernahme der Taliban geführt. Viele Menschenleben wurden praktisch für nichts geopfert. Spätestens Ende 2022, wahrscheinlich um einiges früher, wird das Land komplett in der Hand der Islamterroristen mit den Radikalansichten sein.
Es ist letztlich nur dem Wahlkampf geschuldet, dass der Unionsfraktionsvize Thorsten Frei sich für weitere Abschiebungen ausspricht. Dabei waren es in den vergangenen 5 Jahren lediglich 1.000 von 30.000 ausreisepflichtigen Afgahnen, die in ihre Heimat zurückkehren mussten.
Der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, Frei, hat weitere Abschiebungen nach Afghanistan verteidigt.
Grundsätzlich davom auszugehen, dass Leib und Leben gefährdet seien, entspreche nicht der Lage in dem Land, sagte der CDU-Politiker im Deutschlandfunk. Insbesondere die größeren Städte seien für afghanische Verhältnisse weitgehend sicher.
Frei argumentierte außerdem, in den vergangenen fünf Jahren seien nur etwa 1.000 Menschen nach Afghanistan abgeschoben worden. Dabei habe es sich um Terrorgefährder und Straftäter gehandelt. Insgesamt gebe es hierzulande derzeit 30.000 ausreisepflichtige Afghanen.
Das Bundesinnenministerium hält an Abschiebungen nach Afghanistan grundsätzlich fest. Ein für Dienstagabend geplanter Flug mit sechs ausreisepflichtigen Männern war wegen eines Anschlags in Kabul abgesagt worden. Er soll nach dem Willen des Ministeriums aber bald nachgeholt werden.
Diese Nachricht wurde am 05.08.2021 im Programm Deutschlandfunk gesendet.
Die AfD hat zur Zuwanderungspolitik eine komplett andere Einstellung als die Altparteien. Sie eiert nicht rum, sonder forder das, was für einen souveränen Staat selbstverständlich ist:
Normal ist es, unsere Grenzen zu schützen. Die gescheiterte Integrationspolitik und der Kontrollverlust an den Grenzen haben Deutschland an seine Belastungsgrenze gebracht. Auch die AfD möchte Menschen in Not helfen. Die Asylpolitik der Bundesregierung schafft hingegen zusätzliche Anreize für organisierte Schleuser und
führt in Deutschland zu mehr Clankriminalität. Das ist
nicht hinnehmbar.
Unser Grundsatz lautet: Hilfe vor Ort statt Ertrinken und Sterben auf dem Weg nach Europa. Das gilt für Afghanistan, für andere asiatische Länder und vor allem auch für Afrika. Jeder € hilft dort, hilft vor Ort um ein Vielfaches mehr als ein Sozialhilfe-€, der in Deutschland verteilt wird.
… haben sich Querdenker am Wochenende spontan an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Zeiten in Berlin getroffen, um ihr Recht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit – welches ihnen von SED-Innen- Geisel plus einer hörigen Justiz verwehrt wurde – friedlich wahrzunehmen.
Genauso selbstverständlich wird von den Mainstream-Medien die Geschichte von der gewaltbereiten Querdenker-Demonstranten gut aufbereitet erzählt. Dabei waren es vor allem düpierte Polizisten, die die „Schnauze voll“ hatten und ihrem Frust freien Lauf ließen.
Der Mainstream berichtet
Die Bilanz des Dlf vom 2.8.2021:
Dass über 500 Ermittlungsverfahren gegen Teilnehmer eingeleitet wurden, ist dem Dlf eine Nachricht wert.
1.000 Festnahmen meldet der rbb. Bei WELTonlinewaren es nur 600 Festnahmen. Egal, bei anderen Demos, zum Beispiel gegen Israel, wo auch gerne mal von Goldstücken „Juden in´ s Gas“ skandiert wird, sind solche Festnahmen ´nicht möglich`. Solche Demos findet SED-Innen-Geisel zwar widerlich. Doch festgesetzt, abgeurteilt oder gar ausgewiesen wurden und werden – die Al-Kuds-„Demos“ finden jedes Jahr statt – die Judenfeinde m. W. nicht.
RTL zum Beispiel bringt am 1.8.2021 selbstverständlich eine feine, für Normalbürger passende Zusammenfassung mit „Autorität“ Schäuble:
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Boris Reitschuster …
… hat, wen wundert es, eine etwas andere Sicht auf die Dinge:
Per se beziehen sich diese Überschriften zwar auf zutreffende Sachverhalte. Ich wurde selbst Zeuge, wie Demonstranten Polizisten angriffen – nachdem diese zuvor mit großer Brutalität andere Demonstranten zu Boden gerissen hatten und es zu einem Handgemenge kam. Solche Gewalt ist durch nichts zu rechtfertigen. Sie war aber nicht beherrschend. Sie zur Überschrift zu machen – und heute lesen sehr viele nur noch die Überschrift – ist in meinen Augen fragwürdig. Ob das noch journalistische Schwerpunktsetzung oder schon Framing ist, sei dahin gestellt. Zum Vergleich: Sehen Sie sich die Gewalt gegen die Polizei bei der „Black Lives Matter“-Demo vergangenes Jahr in Berlin an – über die ausschließlich positiv berichtet wurde, ohne Hinweise auf die Gewalt, obwohl viel mehr Polizisten verletzt wurden. …
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Ist das in Moskau? In Minsk? Nein, in Berlin!
Youtube hat das Video mit einer Altersfreigabe versehen, wie zuvor schon harmlose Videos – nur Erwachsene können es jetzt sehen, und damit nur registrierte Nutzer. Entweder handelt es sich um indirekte Zensur, oder Youtube stuft die Brutalität der Berliner Polizei als nicht jugendfrei ein. Auf jeden Fall verlinke ich das Video hier auf einer (zensur)freien Plattform:
Nachdem ich diesen Text fertig geschrieben habe, schaute ich mir das Video an, das mein Mitarbeiter für mich zusammengeschnitten hat – mit Szenen aus meinen Livestreams und seinen Aufnahmen. Die brutale Gewalt darin hat mich extrem erschüttert. Und auch, dass ich sie offenbar beim Schreiben schon teilweise verdrängt und auch relativiert habe. Darum lasse ich den Text so stehen, zu Dokumentationszwecken – weise aber ausdrücklich darauf hin, dass ich solche Brutalität durch nichts gerechtfertigt sehe. Auch wenn Einzelne selbst Gewalt gegen die Polizei angewandt haben, was heftig zu verurteilen ist – es ist keine Rechtfertigung dafür, dass Beamte so mit friedlichen Demonstranten umgehen. Die Szenen sind aufwühlend, und mich machen sie sehr betroffen. Bitte sehen Sie es sich nur an, wenn Sie starke Nerven haben – siehe oben.
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… In den acht Stunden habe ich persönlich bis auf eine Szene durchweg gewaltfreie Demonstranten erlebt – wenn auch manche die Beamten beleidigten. Der rbb berichtet von weiteren Übergriffen auf die Polizei. Demnach kam es zu Attacken an Absperrungen. Ein unabhängiger Kollege erzählte auch, dass am Morgen Verkehrsschilder herausgerissen und dann als Waffe auf Polizisten gerichtet worden seien. Polizeisprecher Thilo Cablitz berichtete im Gespräch mit mir, dass zehn Polizisten verletzt wurden, einer von ihnen schwer. So bedauerlich und verurteilenswert das in jedem einzelnen Fall ist – bei Black Lives Matter waren es 28, ohne dass medial darüber groß berichtet wurde.
Die regelmäßigen manipulativen Versuche vieler großer Medien, die Teilnehmer von Anti-Corona-Maßnahmen-Demos als rechtsradikal darzustellen, wirkten angesichts der Zusammensetzung der Proteste völlig absurd: Hier war im Wesentlichen die bürgerliche Mitte unterwegs – und natürlich, wie bei jeder Demo, auch einige Exzentriker (die großen Medien das Framen erleichtern). Bei einem flüchtigen Überfliegen der Berichte ist mir aufgefallen, dass heute das „Framing“ in Richtung Rechtsradikalismus fehlt. Wie auf Knopfdruck.
Sachlich und neutral ist die Überschrift beim Tagesschau.de-Bericht vom rbb (die Dritten Programme machen überhaupt oft eine Ausnahme vom Framing-Journalismus). Dort heißt es:„Querdenker-Demo und Polizeiaufgebot auf dem Alexanderplatz:Trotz Verbot von Corona-Demos: Tausende ,Querdenker‘ ziehen durch Berlin. Mehrere Tausend Gegnerinnen und Gegner der Corona-Maßnahmen sind trotz eines Demonstrationsverbots durch Berlin gezogen. Die Polizei griff zwar punktuell hart durch, ließ die Demonstranten aber auch oft unbehelligt.“
»Polizei überfordert«
Für die Verhältnisse der ARD geradezu vorbildlich war der Bericht in den Tagesthemen: Da wurde zwar nur sehr kurz und unter „ferner liefen“, jedoch ohne das übliche Framing und die häufigen Verzerrungen berichtet. Unterstreichen könnte ich auch die Überschrift der Süddeutschen: „‚Querdenken‘ in Berlin: Polizei überfordert“.
Die Berliner Morgenpost berichtet von dem Übergriff auf den Berliner Landesgeschäftsführer der Deutschen Journalistenunion (DJU) Jörg Reichel in Kreuzberg. Er wurde dort von Teilnehmern der Demonstration vom Fahrrad gerissen und brutal zusammengeschlagen und -getreten. Laut „Tagesspiegel“ musste er mit Verletzungen an Schulter und Bein ins Krankenhaus gebracht werden. So wichtig die Berichterstattung über diesen verurteilenswerten Vorfall ist – dass auch die Polizei Journalisten massiv behinderte (siehe hier) verschweigt die Morgenpost.
Ein beeindruckendes Beispiel für Manipulation liefert auch der Journalist Julius Geiler vom Tagesspiegel. Er nutzt ein Video von mir und betitelt dies wie folgt: „Auch auf dem Alex kam es zu brutalen Angriffen auf Polizeikräfte wie dieses Video zeigt.“ Dass in diesem Fall aber erst ein besonders brutaler Polizeieinsatz zu der Gegenreaktion führte – was diese nicht rechtfertigt – verschweigt Geiler seinen Lesern. Dass Geiler mein Video ohne Genehmigung benutzt, ist ein Verstoß gegen das Urheberrecht. Ich könnte ihn dafür kostenpflichtig abmahnen lassen, aber auf dieses Niveau möchte ich mich nicht begeben – anders als Kollegen wie Patrick Gensing von der ARD oder Tilo Jung mir gegenüber.
Bemerkenswert war an diesem Tag, dass die Polizei massiv überfordert war mit der Taktik der Demonstranten, die offenbar spontan entstand. Wenn die Beamten den Protestzug durch Schöneberg und Kreuzberg stoppen wollten, drehten die Teilnehmer jeweils um. So entstand ein Katz und Maus-Spiel, bei dem die Polizei trotz Hubschraubereinsatz das Nachspiel hatte. Sie sah damit etwas gelackmeiert aus – vor allem nach ihren Ankündigungen im Vorfeld, alle Ansammlungen zu unterbinden.
Mein Fazit: Ich habe eine bis auf wenige bedauerliche Einzelfälle – an denen es nichts zu relativieren gibt – friedliche Demo aus der Mitte der Gesellschaft erlebt. Die Berliner Polizei war offenbar mit der Menge der Demonstranten überfordert und schaffte es nicht, ihre Ankündigung wahrzumachen, Zusammenkünfte zu verhindern. Allerdings verzichtete sie dabei auch auf die „Brechstange“. Die angedrohten Wasserwerfer kamen nicht zum Einsatz, in vielen Momenten agierte die Polizei brutal – aber ebensowenig wie man die Angriffe auf die Polizei verallgemeinern darf auf die gesamte Demo, darf man die leider doch recht zahlreichen brutalen Einzeleinsätze nicht auf den gesamten Polizeieinsatz übertragen. Der eigentliche Skandal war das Verbot der Demo; die Durchsetzung des Verbots war für die verrohten Maßstäbe Berlins im Rahmen dessen, was zwar nicht sein sollte, woran man sich aber schon fast gewöhnt hat.
In Sachen Medien: Nachdem mein Erwartungshorizont nach schlimmen Erfahrungen in den letzten zwölf Monaten sehr niedrig war, erfüllten sich meine schlimmen Befürchtungen nicht, was die Berichterstattung angeht.
Und meine ganz persönlichen Eindrucke: Ich fremdle nach diesem Sonntag noch mehr mit meinem Land. Genauer gesagt nicht mit dem Land, sondern mit Politik und Medien. Das Verbot der Demo, die brutalen Szenen – sie sind aufwühlend und machen Angst. Besonders bedrückend waren für mich zwei Szenen mit massiven Aggressionen und Hass gegen mich von Anwohnern. Die hatten mich nicht erkannt, waren aber so hasserfüllt und aggressiv gegen alles, was aus der Demonstration kam, dass man Angst bekommt, wie gespalten und hasserfüllt unsere Gesellschaft heute ist. (Ein Video der beiden Szenen werde ich noch hochladen).
Mit den „Querdenken“-Protesten geht es bergab. Doch führende Köpfe der Szene finden weiter Wege, Geld zu verdienen. Sie machen Werbung, bitten um Schenkungen und Spenden für Katastrophenopfer. Manch einer könnte so ein beträchtliches Vermögen angehäuft haben.
Zensur in Brüssel, Proteste und Polizeigewalt in Paris, „Globalisten“, die in Wien die Macht übernehmen. So bunt sind die Themen beziehungsweise die kruden Behauptungen am Donnerstagmorgen dieser Woche im Telegram-Kanal von Eva Herman***.
Bis 2007 war Herman „Tagesschau“-Sprecherin, heute ist sie eine Ikone der Verschwörungsszene. Über 180.000 Menschen haben ihren Telegram-Kanal abonniert, lesen mit, wenn Herman Corona-Maßnahmen anzweifelt oder vor einer „Invasion der Migranten“ warnt. In ihrem Kanal auf Telegram taucht noch eine andere Nachricht auf: Pasta Carbonara aus dem Plastikbeutel gebe es zu kaufen. „Survival Food“ für 5,99 Euro pro Portion. Angeblich sei das die perfekte Krisenvorsorge, bestellbar per Mausklick.
Offenbar kaufen Nutzer, wenn Herman Produkte empfiehlt. Der Link zur Pasta Carbonara führt zu einem Shop des Kopp-Verlags, der vor allem für den Vertrieb von Büchern aus dem rechtsextremen und verschwörungstheoretischen Spektrum bekannt ist.
Verschwörungstheorien haben seit dem Beginn der Corona-Pandemie Hochkonjunktur. Der Verfassungsschutz rechnet allein der Bewegung „Querdenken“ rund 100.000 Menschen zu. Diese Menschen folgen Aktivisten wie Michael Ballweg oder dem Arzt Bodo Schiffmann, sie informieren sich bei Bloggern wie Boris Reitschuster und Eva Herman.
Auf die Straße treibt es in Deutschland zwar immer weniger Menschen zum Protest gegen die Corona-Politik. Einige geplante Versammlungen endeten zuletzt mit wenigen Dutzenden Teilnehmern und Demonstranten, die aus Frust über die enttäuschende Resonanz in Tränen ausbrachen. Die führenden Köpfe der Szene bleiben dennoch umtriebig – auf ihre Art im Netz. Sie werben aggressiv um Spenden, verkaufen Fanartikel oder werden zu Werbeträgern.
Die Summen, die sie so verdienen, sind nicht öffentlich einsehbar. Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass einzelne Akteure der Szene ein beträchtliches Vermögen angehäuft haben.
„Als Betreff bitte SCHENKUNG angeben“
Ob und wie viel Provision Herman bei Bestellungen im Kopp-Shop bekommt, ist unklar. Eine Anfrage beantwortete sie nicht. An manchen Tagen verweist sie gleich zehnmal auf den Shop, insgesamt hat sie bereits Tausende solcher Links mit ihren Anhängern geteilt. So viel Begeisterung für Plastiktüten-Pasta und Bio-Vollmilchpulver aus der Dose. Das ist ohne finanziellen Anreiz schwer vorstellbar.
„Querdenken“-Mitgründer Michael Ballweg hat früh gezeigt, welches finanzielle Potenzial in Corona-Verschwörungstheorien steckt. Als im Mai 2020 mehrere Lastwagen seines Technikteams ausbrannten, führte der Vorfall zu einer bemerkenswerten Solidaritätswelle. Innerhalb weniger Tage spendeten Anhänger 225.000 Euro. Die Polizei hatte den Schaden damals auf 70.000 Euro beziffert.
Auf der Internetseite von „Querdenken“ finden sich gleich mehrere Möglichkeiten, die Bewegung zu unterstützen. Und Bewegung bedeutet in diesem Fall: Michael Ballweg. Neben mehreren Bitcoin-Adressen und einem Privatkonto ist auch die Paypal-Adresse des Stuttgarters auf der „Querdenken“-Internetseite angegeben. Dazu heißt es: „Als Betreff bitte SCHENKUNG angeben.“
Anwalt glaubt: Einnahmen sind gewerblich und müssen versteuert werden
Schenkungen sind in der Szene das Mittel der Wahl. Sie gelten laut Gesetz als „freigebige Zuwendungen“. Anders als bei Spenden hat der Geber keinen Einfluss darauf, was mit seinem Geld passiert. Auch einen Anspruch auf Transparenz gibt es nicht. Für Schenkungen gilt aber wohl: Man darf nicht aktiv dafür werben, beschenkt zu werden. „Querdenken“ allerdings hat etwa für den 1. August wieder zu einer großen Demonstration in Berlin aufgerufen. Ein Video, unterlegt mit melancholischer Musik, soll die bisherigen Erfolge der Proteste verdeutlichen. „Erinnerung an ein unglaubliches Gemeinschaftsgefühl“, steht über dem Video. Das unglaubliche Gefühl von Gemeinschaft lässt sich Ballweg erneut bezahlen. „Wir sind sehr dankbar für jede SCHENKUNG“, heißt es unter dem Video. Dazu seine IBAN.
Ob die Einnahmen, die er auf diese Weise generiert, tatsächlich nicht versteuert werden müssen, ist also fraglich. Der Würzburger Anwalt Chan-jo Jun, der sich seit Längerem mit den Querdenkern beschäftigt, erklärt: Wenn Ballweg aktiv um Schenkungen wirbt, lasse sich das mit Geld vergleichen, das Straßenmusiker in den Hut geworfen bekommen – die auch aktiv etwas tun, um das Geld zu bekommen.
Wie geschäftstüchtig Ballweg ist, zeigt auch ein Blick ins Markenregister. Dort hat er sich 19 Marken rund um den Begriff „Querdenken“ gesichert und verdient somit wohl auch an Shirts und Tassen mit dem Logo der Bewegung. Giulia Silberberger, die sich mit ihrem Verein „Der goldene Aluhut“ gegen Verschwörungstheorien engagiert, hat den „Querdenker“ bereits im vergangenen Jahr bei der Steuerfahndung angezeigt. Sie hält „Querdenken“ nicht für eine Bürgerbewegung, sondern für ein kommerzielles Konstrukt. Es sei „viel Geld am Staat vorbeigelaufen“, glaubt sie. Im Falle führender Köpfe der Bewegung könnte es sich nach ihrer Einschätzung um einen niedrigen Millionenbetrag handeln. Was aus dem Vorgang wird, ist offen. Ballweg beteuert, er halte „alle gesetzlichen Vorgaben ein“ und habe „von den Schenkungen keinerlei Einnahmen für sich privat verwendet“.
Reitschusters Blog wird zur wichtigen Quelle der „Querdenker“
Boris Reitschuster, ein Journalist, der nicht immer journalistisch handelt und der als Blogger große Erfolge feiert, gehört zwar nicht zu „Querdenken“. Doch auch ihn haben fragwürdige Thesen zum Pandemiegewinner gemacht. Der Thinktank Initiative Quorum sieht in ihm eine der „wichtigsten Quellen von Verschwörungsnarrativen für die postsowjetischen Corona-Leugner*innen“. Die Reichweite des einst beschaulichen Blogs Reitschuster.de ist in der Pandemie steil nach oben gegangen.
Heute kann die Seite bei den täglichen Aufrufen mit kleineren etablierten Medienmarken konkurrieren. Reitschuster befeuert auf Grundlage wissenschaftlich zweifelhafter Argumente Skepsis am Coronavirus und seiner Gefährlichkeit und warnt vor schweren Nebenwirkungen von Impfungen. Deutschland habe „bereits den Weg der Demokratie verlassen“, schreibt er.
Ehemalige Weggefährten des Journalisten sind ratlos. Reitschuster war einst ein gefragter Russlandexperte. Für den „Focus“ berichtete er rund 15 Jahre lang aus Moskau. Glaubt dieser Mann selbst, was er heute seinen treuen Anhängern erzählt? Oder geht es ihm vor allem ums Geld? Ein Mann, der Reitschuster aus seiner Zeit in Moskau kennt, versucht sich an einer Erklärung: In seinem Inneren habe Reitschuster immer an seine Rolle als Kämpfer für Gerechtigkeit geglaubt. Und er sei empfänglich für Schmeicheleien. So auch für den Zuspruch aus fragwürdiger Richtung. Geld, da ist der ehemalige Weggefährte sicher, sei höchstens ein Teil der Motivation.
Für Reitschuster macht sich seine spezielle Berichterstattung wohl bezahlt. Der Web-Analysedienst „Similarweb“ sieht Reitschuster.de unter den 1000 am besten besuchten Seiten Deutschlands. Finanziert wird das Blog neben Werbung auch durch freiwillige Unterstützer. Sogenannte „Seitenpaten“ zahlen monatlich einen festen Betrag von bis zu 50 Euro. Sie unterstützen Reitschuster gern, auch öffentlich. Als eine Bank Reitschusters Konto kündigt, bittet ein AfD-Politiker bei Twitter um die neuen Kontodaten. Er wolle seinen Dauerauftrag umstellen. Als Reitschuster im Februar live von einem rechten Aufmarsch in Berlin berichtet, steckt ein Demonstrant dem Journalisten Bargeld zu. Abgesehen davon, dass sich ein neutraler Journalist kein Geld zustecken lässt von jemandem, über den er berichtet: Für ein gutes Leben dürften die Zuwendungen reichen. Videos, die Reitschuster für seine Webseite aufnimmt, zeigen ihn auf dem Balkon seiner Wohnung im Berliner Westen, von Maklern als „Luxusneubau“ beworben.
Andere Köpfe der Szene haben sich ins Ausland abgesetzt. „Querdenken“-Pionier Bodo Schiffmann zeigte sich über Wochen hinweg immer wieder in Tansania. Einst war Schiffmann ein angesehener Experte für Schwindelerkrankungen, heute schwadroniert er – nachweislich falsch – von Kindern, die durch das Tragen von Schutzmasken gestorben seien. Laut einer Recherche von „T-Online“ kostet die „Chele Chele Villa“ in Arusha, die in mehreren Videobotschaften des Arztes zu erkennen war, pro Tag mehr als 400 Dollar.
Dass Schiffmann, gegen den laut Medienberichten in Deutschland mehrere Verfahren – unter anderem wegen Volksverhetzung – laufen, nur wenig später öffentlich um Geld bat, um angebliche Ausstände in der Höhe von mehr als 103.000 Euro auf seinem Geschäftskonto auszugleichen, machte seine Anhänger nicht stutzig. Keine zwei Tage später verkündete Schiffmann sichtlich bewegt, dass das Konto nach den eingegangenen Geldgeschenken nun nur noch 5600 Euro im Minus sei.
Am späten Donnerstagabend meldete sich Schiffmann erneut bei Telegram zu Wort. Die Unwetter in Teilen Deutschlands seien schrecklich, es würde lange dauern, bis staatliche Hilfen ankämen. Deshalb habe er selbst angefangen, via Paypal Geld zu sammeln. Wer genau das Geld am Ende bekomme, darüber werde noch abgestimmt. Davon unbeeindruckt zückten Menschen noch in der Nacht ihr Portemonnaie: Bereits in den ersten sieben Stunden kamen fast 20.000 Euro zusammen.
Aktualisierung Montag, 19. Juli, 8:30 Uhr: Mittlerweile hat Bodo Schiffmann bei Paypal 335.763 Euro gesammelt. „Das Geld dieser Sammlung geht zu 100 % an die Hochwasseropfer“, steht unter dem Aufruf. In einem Video erklärte er dann aber: Er habe für 12.000 Euro pro Tag eine Firma für „Aufräumarbeiten“ im Katastrophengebiet beauftragt.
Artikel 2
Nach dem verheerenden Hochwasser in Ahrweiler sind nicht nur Hilfsorganisationen angerückt, sondern auch Corona-Leugner. Manche von ihnen verbreiten gefährliche Falschinformationen. Wie können die Behörden im Chaos unterscheiden zwischen Helfern und Demagogen?
Wer saubere oder zu leichte Schuhe trägt, fällt in diesen Tagen auf in Ahrweiler. Nach dem verheerenden Hochwasser mit mindestens 125 Toten stehen Wasser und Schlamm noch immer zentimeterhoch in vielen Straßen des rheinland-pfälzischen Ortes. Helfer, die Schutt entfernen, tragen Gummistiefel, die tagelangen Aufräumarbeiten haben Spuren auf ihrer Kleidung hinterlassen.
Am Dienstag steht ein Mann mit strahlend weißen Sneakern vor dem Impfbus, den die Landesregierung eilig organisiert hat. Dutzende warten auf ihre Schutzimpfung gegen das Coronavirus. Sorge herrscht, dass die Infektion sich unter den Helfern, die in diesen Zeiten keine Rücksicht auf Abstand nehmen können, rasant verbreitet.
Der Mann in den weißen Sneakern ist offenbar nicht zum Helfen gekommen. Er filmt mit seinem Handy die Menschen, die auf ihre Impfung warten, überträgt das Video ins Internet. „Ich stehe jetzt hier in Ahrweiler und bin sprachlos. (…) Hier stehen Leute, anstatt zu helfen“, sagt er.
Dass es ihnen allein um Hilfe geht, ist fraglich
Der Mann gehört wohl zu einer größer werdenden Gruppe von Menschen aus der Coronaleugner-Szene, die seit Tagen nach Ahrweiler strömen. Einige von ihnen sind bereits seit dem Wochenende da und packen an. Sie behaupten: Der Staat habe versagt. Bundeswehr, THW und Feuerwehr seien kaum präsent, würden die Hilfe der vielen Freiwilligen sogar blockieren. Ohne sie, „Querdenker“, Ex-Soldaten, Landwirte und andere Freiwillige, sei die Versorgung längst zusammengebrochen.
Andere kamen erst unter der Woche nach Ahrweiler. Darunter Neonazis, der als „Volkslehrer“ bekannte Holocaustleugner Nikolai N., Reichsbürger und zahlreiche in der Verschwörungsszene bekannte Blogger und Youtuber, darunter die als „Hutmacherin“ bekannt gewordene Rechtsanwältin Viviane Fischer. Auch Gruppen wie die „Schüler gegen Maskenpflicht“ haben ihr Kommen angekündigt.
Dass es ihnen allein um Hilfe geht, ist fraglich. Die Behörden vor Ort warnen vor Desinformationskampagnen und einer Instrumentalisierung der Katastrophe. Am Mittwochabend fährt ein im Stile eines Polizeiautos lackiertes Fahrzeug mit der Aufschrift „Friedensfahrzeug“ durch Ahrweiler. Ähnliche Gefährte waren im vergangenen Jahr immer wieder bei „Querdenken“-Demonstrationen gesichtet worden.
Per Lautsprecherdurchsage behaupten die Insassen, alle offiziellen Hilfskräfte würden aus der Region abgezogen. Die Bundeswehr sieht sich zu einer Richtigstellung gezwungen: Es handele sich um eine Falschmeldung. Man sei weiter in vollem Umfang vor Ort. Aktionen wie diese werfen Fragen auf. Was planen die „Querdenker“ im Krisengebiet? Welche Rolle spielen sie wirklich bei den Aufräumarbeiten? Und können Behörden und Anwohner im Chaos der Aufräumarbeit überhaupt unterscheiden zwischen Helfern und Demagogen?
„Veteranen“ richten Einsatzzentrale ein
Vor einer Grundschule im Ortskern von Ahrweiler wurde ein Schild angebracht. „Lebensmittelausgabe“ steht darauf. Darunter der Link zu einer Website. Der Link ist zwar falsch. Führen soll er aber wohl zur Seite einer Vereinigung, die sich „Veteranen Pool“ nennt und sich nach eigenen Angaben aus „gedienten Soldaten der Bundeswehr sowie der ehemaligen NVA“ zusammensetzt, die „für das Recht und die Freiheit des Deutschen Volkes einstehen“.
Diese mutmaßlichen Veteranen haben die Grundschule seit mehreren Tagen „beschlagnahmt“, wie sie es nennen, und hier ein „Kommandozentrum“ errichtet. Geführt wird die Zentrale offenbar von einem Mann namens Maximilian E. Er war früher Oberstleutnant beim Kommando Spezialkräfte (KSK) und ist mittlerweile in Pension. Seine Uniform trägt er immer noch, auch wenn er das streng genommen nicht mehr darf, sagt er selbst.
Der Ex-Soldat ist in der Vergangenheit bei „Querdenken“-Demonstrationen aufgetreten. Jetzt organisiert er in Ahrweiler Hilfseinsätze und die Annahme und Ausgabe von Spenden. Eine Erlaubnis der Stadt, die Schule dafür zu nutzen, hat er nicht. Der „Veteranen Pool“ beruft sich auf die Ausnahmesituation. Das tut die Gruppierung seit Monaten. „Wir sind im Krieg“, verlautete ein Administrator der Berliner Telegram-Gruppe der Veteranen einmal. Der Verband der Reservisten der Deutschen Bundeswehr distanzierte sich deutlich von den Ansichten der Gruppierung. Sie richtete sich gegen alle Werte, „die wir gemeinsam vertreten“.
Am Mittwoch gegen 14 Uhr meldet sich ein weiteres Mitglied in einem von den „Veteranen“ im Hochwassergebiet erstellten Telegramchat zu Wort. In einer Sprachnachricht behauptet der Mann, der sich Axel nennt: „Die Polizei behindert die Querdenker.“ Hilfeleistungen würden blockiert, Frauen würden weinen, Polizisten hätten das Schulgebäude, das mühsam wieder freigeschaufelt worden sei, wieder verdreckt. Sie hätten „nichts Besseres zu tun, als die Maskenpflicht zu kontrollieren“. „Leute, beschützt die ‚Querdenker‘“, appelliert er an seine Kameraden.
Es ist ein Narrativ, das sich hartnäckig hält – auch in anderen Chatgruppen und Telegramkanälen mit Bezug zur Verschwörungsszene. Während Querdenker Hilfe leisteten, würden die offiziellen Stellen diese zu verhindern versuchen.
Mit der Realität vor Ort hat das wenig zu tun. Hier erlebt man ein Miteinander verschiedenster Organisationen und Menschen. Bundeswehrsoldaten, THW, Polizisten, Einheimische und Helfer aus dem Umland schaufeln zusammen Schlamm und Unrat aus den von der Flut beschädigten Häusern. Freiwillige verteilen Wasser und Nahrungsmittel. Nach den politischen Ansichten jedes Einzelnen fragt niemand.
„Dann könnte ein Bürgerkrieg enstehen“
Auch die Polizei Koblenz widerspricht gegenüber WELT den Behauptungen, die Beamten würden freiwillige Helfer in ihrer Arbeit behindern. „Wir können das nicht bestätigen. Wir raten lediglich davon ab, mit dem privaten Pkw in das Katastrophengebiet anzureisen“, sagt eine Sprecherin. Es sei immer wieder vorgekommen, dass Straßen zugeparkt worden seien, die für Rettungskräfte benötigt würden. Die Rettungs- und Sucheinsätze hätten Vorrang. Private Helfer sollten ihre Autos daher außerhalb abstellen.
Das Verhältnis zwischen der selbsternannten „Einsatzleitung“ vor Ort und der Polizei ist dennoch angespannt. Anfang der Woche macht in Kreisen des „Veteranen Pool“ die Nachricht die Runde, die Polizei plane eine Auflösung des „Kommandozentrums“ in der Grundschule. In der Telegram-Gruppe der Koordinatoren wird die Stimmung nun offen feindselig.
„Spinnen die jetzt komplett?“, fragt ein Nutzer, der sich „Wickinger Walhalla“ nennt, in die Runde. Auf einem seiner Profilbilder bei Telegram ist das von Rechtsextremisten benutzte Symbol der schwarzen Sonne zu sehen, dazu die Worte „Frontkämpfer Germania“. „Sollten die das versuchen, dann könnte ein Bürgerkrieg entstehen“, droht die Person.
Auch der Arzt und Corona-Leugner Bodo Schiffmann behauptet in einem Video, die Polizei sei mit einer „Hundertschaft“ an der Grundschule aufgetaucht, da dort Querdenker vor Ort seien. Die Polizei Koblenz dementiert dies. Konkrete Pläne zur Räumung der Schule gebe es nicht. „Aber wir haben die Situation natürlich genau im Auge.“
Bodo Schiffmann und das Geld
Schiffmann ist eine zentrale Figur der „Querdenken“-Szene. Auch zur Hochwasserkatastrophe in Ahrweiler meldet er sich immer wieder in Videos zu Wort. Schiffmann hat in der vergangenen Woche beim Bezahldienst Paypal einen sogenannten „Money Pool“ eröffnet, eine Spendensammlung für die Betroffenen. Der Link kursiert in zahlreichen Telegramgruppen und anderen sozialen Netzwerken.
Das Bundesinnenministerium erklärt auf WELT-Anfrage, die Behauptungen und die damit verbundenen Aufrufe seien bekannt. Diese zielten darauf ab, das Vertrauen in die staatlichen Maßnahmen und Strukturen zu beschädigen. Es werde dazu geraten, „sich ausschließlich an Spendenaktionen zu beteiligen, die von offiziellen Hilfsorganisationen organisiert werden“.
Denn was mit dem von Schiffmann gesammelten Geld tatsächlich passiert, ist völlig offen. „Jede Rechnung wird in unserem Kanal offengelegt und ihr werdet genau sehen, wer was bekommt“, behauptet Schiffmann. Passiert ist das bislang nicht. Auch konnte der Arzt bis zu diesem Zeitpunkt nicht schlüssig erklären, wie genau er die großen Summen verwendet.
Die anfängliche Behauptung, er zahle der Firma „Zintel Bau“ pro Tag 12.000 Euro, um Schutt von den Straßen zu beseitigen und diese wieder befahrbar zu machen, weist deren Geschäftsführer Marcus Zintel in einem Video zumindest zurück. Er bedanke sich für das Angebot, lehne es aber „dankend ab“. Zunächst habe er „umsonst“ gearbeitet, sagt Zintel. Am Sonntag habe er vom Landesbetrieb Mobilität einen Auftrag für Instandsetzungsarbeiten bekommen. Der Landesbetrieb bestätigt auf Anfrage, Zintel habe den Auftrag erhalten, die Befahrbarkeit von Teilen der B267 für den Katastrophenschutz wiederherzustellen.
Auch Versuche Schiffmanns, Dixiklos in die Region zu liefern, scheiterten zwischenzeitlich. In einem Video erklärte er, ein Anbieter habe sein Angebot zur Bereitstellung zurückgezogen, da er die Toiletten nur an offizielle Stellen liefere. Tatsächlich befinden sich vor Ort bereits jetzt Hunderte Dixiklos. Unter anderem zur Verfügung gestellt von der Herstellerfirma. TOI TOI & DIXI habe eine Task Force gegründet, „die in enger Abstimmung mit zentralen Koordinationsstellen wie Feuerwehr oder THW in den von der Flutkatastrophe betroffenen Orten steht“, heißt es auf der Unternehmensseite.
Menschen sind dankbar für jede Hilfe
Vor Ort bekommen die meisten Menschen von Schiffmanns Treiben nichts mit. Für sie geht es noch immer nur um eines: das Nötigste zu retten. Auf „Querdenken“ angesprochen, wiegeln Anwohner ab. „Die spielen nun wirklich keine Rolle“, sagt eine Frau. Den Namen Bodo Schiffmann habe sie noch nie gehört.
Ohnehin ist für die Menschen in Ahrweiler in diesen Tagen egal, wer hilft. Die Hauptsache ist, dass etwas passiert. Hunderte Freiwillige tun ihren Teil. Und so fällt es auch nicht weiter ins Gewicht, dass vor Ort auch die umstrittene islamische Ahmadiyya-Jugend aktiv ist und die rechtsextreme türkische Atib-Gemeinde kostenloses Essen, Fladenbrot, Fleisch und Reis an die Helfer verteilt.
Vor der Grundschule, der „Einsatzzentrale“ des „Veteranen Pool“, kommen am Mittwochnachmittag weitere Helfer an. Zwei junge Männer warten auf ihre Einweisung. Sie würden zu einer Art „Männerbund“ gehören, hätten über Telegram Kontakt zu den „Veteranen“ vor Ort aufgenommen, erzählen sie. Wie die Menschen hier mit anpackten, beeindrucke sie. „Und keiner trägt eine Maske“, sagt einer der beiden, ein Tischler, der sich extra eine Woche frei genommen habe, um zu helfen.
„Wir halten nicht viel von der Pandemie“, sagt er. Sein Freund korrigiert ihn: „,Plandemie‘, sagen wir. Denn das war alles von oben geplant.“
Auch der Deutschlandfunk stößt in das gleiche Anti-Querdenker-Horn. Wobei ich gerne mal wüsste, woran man die Querdenker so erkennt. Und weshalb Querdenker das THW beschimpfen sollten?
Das Technische Hilfswerk beklagt, dass seine Helferinnen und Helfer in den Hochwassergebieten mit Beleidigungen und Angriffen zu kämpfen haben. Dahinter stünden vor allem Menschen aus der sogenannten Querdenker-Szene.
THW-Vizepräsidentin Lackner sagte dem Sender RTL, es gehe so weit, dass Helferinnen und Helfer beschimpft würden. Wenn die Mitarbeiter mit Einsatzfahrzeugen unterwegs seien, würden sie mit Müll beworfen. Hinter den Übergriffen stünden Menschen aus der sogenannten Querdenker-Szene, die sich als Betroffene der Katastrophe ausgäben, aber auch einige frustrierte Flutopfer. Es seien noch keine Einsätze wegen der Vorfälle abgebrochen worden, doch die Situation sei für die ehrenamtlichen Helfer psychisch belastend, erklärte Lackner.
Die Einsatzkräfte seien bei ihrer Arbeit teils auch gefilmt worden – von Personen, die sich nicht als Pressevertreter erkenntlich gemacht hätten. Das THW habe zum Schutz veranlasst, dass die Kollegen ihr Namensschild von der Kleidung abnehmen durften.
In den vergangenen Tagen hatte es immer wieder Berichte über Aktivitäten von Querdenkern in den Hochwassergebieten gegeben. [Pfahler geht medial viral] In Ahrweiler wurde ein sogenanntes Familienzentrum vom Jugendamt geschlossen.
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