Dabei hätte alles ganz anders laufen können.
Und anders laufen müssen.
So wie es diverse Gesetze vorsehen.
Die Ausgangslage
Die Grenze zu Deutschland ist also bereits vor dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise im Sommer 2015 recht offen. Selbst wer aus einem anderen EU-Staat über die Landgrenze einreist, muss kaum fürchten, abgewiesen zu werden. Wer an der Grenze erklärt, er wolle einen Asylantrag stellen, wird ins Land gelassen. Doch auch hier gibt es Ausnahmen: Wer kein Asylgesuch anmeldet oder nicht über die entsprechenden Papiere für die Einreise verfügt, kann zurückgewiesen werden, was in der Vergangenheit auch passierte. In solchen Fällen gilt die Dublin-Verordnung nicht, und Deutschland kann nach dem Grenzkodex zurückweisen.
Aufgrund der strengeren Kontrollen an Flughäfen passiert das vor allem dort: Insgesamt meldet das Bundesinnenministerium für das Jahr 2014 schließlich 3612 Zurückweisungen an der deutschen Grenze.
Das Jahr 2015 vor dem 4. September
Im Frühjahr 2015 nimmt die Zahl der illegalen Einreisen nach Europa und besonders nach Deutschland zu. Die EU-Außengrenze zwischen Griechenland und der Türkei ist zu dieser Zeit weit offen. Die Anzahl der irregulären Grenzübertritte von der Türkei nach Griechenland steigt im Vergleich zum Vorjahr um 550 Prozent.
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Mit der Zeit entwickelt sich ein System des Durchreichens. Staaten organisieren Busse oder Züge, die die Migranten an der einen Landesgrenze aufnehmen und sie dann quer durchs Land zur nächsten Grenze transportieren. Ein Tag – ein Land, lautet die Formel. Innerhalb kürzester Zeit kommt man von der Türkei bis nach Deutschland. Zurückweisungen spielen im Frühjahr 2015 politisch aber noch keine Rolle.
In diesen Wochen erreicht die Welle Deutschland. Das zeigen die in der Easy-Statistik erfassten Syrer. Seit Januar liegt deren monatlich in der Bundesrepublik registrierte Zahl bei rund 4000. Im April steigt sie auf 5800. Im Mai auf 8300. Im Juni liegt sie bei 13.400. Die Dublin-Regel, wonach eigentlich jenes EU-Land für das Asylverfahren zuständig sein soll, in dem ein Migrant ankommt, ist durch die Realität überholt.
„Echte“ Grenzkontrolle wegen des Gipfels in Elmau (G7)
In der Pressemitteilung der Polizei dazu heißt es: „Die Bundespolizisten stellten in diesen 14 Tagen mehr als 8600 Verstöße gegen das Aufenthaltsgesetz fest. Sie verweigerten ca. 430 Personen die Einreise. Darüber hinaus deckten sie etwa 150 weitere Straftaten wie etwa Urkundendelikte, Rauschgiftdelikte und Vergehen nach dem Waffengesetz auf.“
August 2015
Am 21. August 2015 schickt eine leitende Regierungsbeamtin im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) eine neue Richtlinie an die 36 Außenstellen: Aktenzeichen 411 – 93605/Syrien/2015. Syrer, die nach Deutschland gekommen sind, sollen nicht mehr nach Österreich, Ungarn oder andere EU-Staaten zurückgeschickt werden, auch wenn sie dort erstmals registriert worden sind.
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In der Realität werden zu diesem Zeitpunkt kaum noch Syrer zurückgeschickt, weil die Behörden schlichtweg mit dem Andrang überfordert sind. Indirekt setzt Deutschland damit selbstverständlich auch Dublin aus. So sieht es selbst die Bundesregierung. Innenstaatssekretär Ole Schröder spricht später in der Antwort auf eine Kleine Anfrage im Bundestag von einer „vorübergehenden faktischen Aussetzung des Dublin-Verfahrens“. Unter den Syrern, egal wo sie sind, spricht sich rum: Wer sich nach Deutschland durchschlägt, wird nicht an der Grenze zurückgewiesen – und darf dort bleiben.
Das Jahr 2015 ab dem 4. September
Am 4. September 2015 beschließen die Regierungen in Berlin und Wien am Abend, Flüchtlinge direkt aus Ungarn nach Österreich und Deutschland weiterreisen zu lassen. In den folgenden Tagen steigt die Zahl der Asylsuchenden in Deutschland weiter an. Für das anstehende Wochenende rechnet der damalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) mit 40.000 neuen Asylsuchenden.
Die Bundespolizei ist vorbereitet
Die Bundespolizei ist auf einen solchen Fall spätestens seit dem G-7-Gipfel vorbereitet. Ein entsprechender Einsatzbefehl liegt, viele Seiten lang, im Panzerschrank.
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Zunächst würde man die über 60 Grenzübergänge und Brücken über die Flüsse Salzach und Inn fast komplett sperren. Dort, direkt an der Grenze, könnten auch Wasserwerfer und Tränengas eingesetzt werden. Im Hinterland würden Polizisten jene aufgreifen, die an den Kontrollen vorbei über die grüne Grenze gelangt wären. Flüchtlinge, die es dennoch schafften, sich zu einer Erstaufnahmeeinrichtung durchzuschlagen, würden per Hubschrauber zurückgebracht.
Bedenken
Grundlage einer solchen Grenzschließung wäre ein Abschnitt des Asylverfahrensgesetzes. Laut Paragraf 18 Absatz 2 ist einem Ausländer die Einreise zu verweigern, wenn er aus einem sicheren Drittstaat kommt – was Österreich definitiv ist. Viele Juristen in den Ministerien sind allerdings der Meinung, dass die Regeln durchs Europarecht überlagert werden.
Die Dublin-Verordnung sieht nun einmal vor, dass ein EU-Staat einen Flüchtling an seiner Grenze zunächst hereinlassen müsse und dann prüfen könne, welcher Staat für die Durchführung des Verfahrens zuständig sei. Das „Zerriebensein“ der Flüchtlinge zwischen bürokratischen Entscheidungen wolle Dublin ja gerade vermeiden.
In der Bundesregierung zögert man. Merkel und Gabriel sollen schon mehrere Tage zuvor über das Thema gesprochen und das konsequente Zurückweisen an der Grenze abgelehnt haben. In der Eile wird nun aber abgewogen, und klar ist: Man muss jetzt eine politische Entscheidung treffen. Dass diese später vor Gerichten Bestand hat, ist zweitrangig.
Klar ist auch, ein Zurückweisen muss sofort effektiv funktionieren. Denn der Personaleinsatz wäre immens. Die Bundespolizei könnte die Grenze nur für ein paar Tage abriegeln. In dieser Zeit müsste ein politisches Signal gesendet werden, und alle anderen Staaten auf der Balkanroute müssten ebenfalls dichtmachen. So könnte der Strom gestoppt werden. Aber wer garantiert dafür, dass das auch klappt?
Juristen des Bundestages – Weder Fisch noch Fleisch
„Die Untersuchung hat gezeigt, dass die Zurückweisung von Flüchtlingen an den EU-Binnengrenzen der Bundesrepublik grundsätzlich mit geltendem Recht vereinbar sein kann, sich aber unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls eine Verpflichtung der Bundesrepublik ergeben kann, die Einreise (asylbegehrender) Flüchtlinge zuzulassen.“
Der Justizminister
Justizminister Heiko Maas (SPD) erklärt kurz darauf im Interview, dass eine „Schließung der Binnengrenzen kontraproduktiv wäre und zu einer weiteren Chaotisierung der Lage führen würde“. Die Flüchtlinge würden dann über die grüne Grenze nach Deutschland flüchten und die Lage „noch unüberschaubarer“ machen, so Maas. „Das wird nicht funktionieren.“ So sieht auch die offizielle Linie der SPD aus: Eine Grenzschließung will man nicht mitmachen.
Die Union – Ohne Frau Merkel
Und dann, Ende November, sprechen sich die innenpolitischen Sprecher der Unionsparteien aus Bund und Ländern dafür aus, eine hohe Zahl von Asylsuchenden an der Grenze vorübergehend zurückzuweisen. Besonders allein reisende männliche Flüchtlinge mittleren Alters sollten davon betroffen sein, heißt es nach der Tagung auf der Pressekonferenz. Kinder, Frauen, Kranke oder Behinderte sollten nicht betroffen sein.
Es passiert jedoch nichts dergleichen.
Die große Koalition verabschiedet zwar verschiedene Asylverschärfungen. Das umfassende Zurückweisen an der Grenze bleibt aber unberührt. Schließlich preschen Anfang 2016 Österreich und mehrere osteuropäische Staaten vor und verstärken die Grenzsicherung entlang der Balkanroute. Migranten werden nun auch vermehrt zurückgewiesen.
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Alles Weitere kennen Sie.
Der Artikel von Manuel Bewarder enthält noch etliche Informationen, die das Versagen des Staates in Sachen Migrationspolitik noch transparenter machen. Denn die Politiker der CDU/CSU, der SPD im Bundestag machen n. a. den Staat aus. Plus Bundesregierung. Plus Kanzlerin. Plus Opposition.
Das Parlament wurde bis heute nicht in Sachen Zuwanderung/Migration/Flüchtlinge befragt. Es ergriff auch keine Initiative.
Das ist Staatsversagen.
Nur hat es unsere Politik noch immer nicht gemerkt.
Aber der Wähler!
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Empfehlung: Die Getriebenen u. a.
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