[…] In seiner Ad-hoc-Empfehlung
„Solidarität und Verantwortung in der Corona-Krise“ (März 2020)
hat der Deutsche Ethikrat die ethische wie rechtliche Legitimität gravierender Grundrechtseinschränkungen sowie schwerer weiterer Schädigungen an das Erfordernis des Schutzes des Gesundheitssystems vor einem Kollaps durch eine Vielzahl schwerer bzw. tödlicher Covid-19-Verläufe geknüpft, nicht jedoch an die Bekämpfung der Pandemie als solche.
In dem Maß, in dem dieses Ziel erreicht ist, sollten die Beschränkungen für alle zurückgenommen werden – und zwar unabhängig von ihrem jeweiligen Impfstatus. Die vollständige Ausrottung von Sars-CoV-2 ist weder ein realistisches noch notwendiges Ziel einer erfolgreichen Impfstrategie.
Bei der Beurteilung der Frage, ob eine Impfung gegen Covid-19
zu Rücknahmen der mit dem Infektionsschutz gerechtfertigten Beschränkungen führen dürfte oder müsste, ist zwischen staatlichen
Freiheitsbeschränkungen und der Einschränkung des gesellschaftlichen Lebens durch nicht vom Staat geforderte Beschränkungen
des Zugangs zu den Angeboten privater Anbieter zu unterscheiden.
1. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sollte aufgrund der noch nicht
verlässlich abschätzbaren Infektiosität der Geimpften eine individuelle Rücknahme staatlicher Freiheitsbeschränkungen für geimpfte Personen nicht erfolgen.
2. Mit dem Fortschreiten des Impfprogramms sollen die allgemeinen staatlichen Freiheitsbeschränkungen für alle Bürgerinnen und Bürger schrittweise zurückgenommen werden. Als Maßstab für die Rücknahme dieser Beschränkungen sind dabei primär die Hospitalisierungszahlen bzw. die Zahlen schwerer Krankheitsverläufe und Todesfälle heranzuziehen, nicht hingegen die reinen Infektionszahlen. Voraussetzung dafür ist,
dass zuvor alle Menschen mit individuell sehr hohem Risiko für einen schweren Verlauf der Covid-19-Erkrankung Zugang zur Impfung erhalten haben.
3. Die Rücknahme der allgemeinen staatlichen Freiheitsbeschränkungen sollte einhergehen mit Unterstützungsmaßnahmen für die dann notwendige weitere Selbstisolation von Menschen mit hohem individuellen Risiko für einen schweren Verlauf der Covid-19-Erkrankung, für die zu diesem Zeitpunkt (noch) kein Zugang zur Impfung besteht, wie zum Beispiel Kindern mit schweren Vorerkrankungen. Beispiele für solche Maßnahmen wären ein Recht auf Distanzunterricht, erleichterter Zugang zu Corona-Schnelltests, Erweiterung des Anspruchs auf Krankengeld und Kündigungsschutz für Betroffene bzw. ihre Eltern.
4. Die Verpflichtungen etwa zum Tragen einer Maske und zum
Einhalten von Abständen können aufgrund der damit verbundenen relativ geringen Belastungen noch länger aufrechterhalten werden. Wegen der Gefahr, dass die praktische Durchsetzbarkeit und Akzeptanz dieser Regeln durch Ausnahmen für geimpfte Personen leiden würde, sollten sie für alle Personen zum selben Zeitpunkt aufgehoben werden.
5. Die noch immer bestehenden gravierenden Isolationsmaßnahmen in Pflege-, Senioren-, Behinderten- und Hospizeinrichtungen sollten für geimpfte Personen mit dem Fortschreiten des Impfprogramms schnellstmöglich aufgehoben werden.
6. Nur soweit der Zugang zu Angeboten privater Anbieter für
eine prinzipiell gleichberechtigte, basale gesellschaftliche Teilhabe unerlässlich ist, ist eine Beschränkung des Zugangs auf geimpfte Personen nicht zu rechtfertigen.
Quelle grün-kursives Zitat: Hier klicken Seite 5
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