Nach neuen Erkenntnissen: Axel Springer entbindet Julian Reichelt von seinen Aufgaben
Johannes Boie wird neuer Vorsitzender der BILD-Chefredaktion …
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EinschubMEDIAGNOSE
Die Analyse des Dlf vom 19.10.2021 in Sachen Julian Reichelt
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… Die Axel Springer SE hat BILD-Chefredakteur Julian Reichelt mit sofortiger Wirkung von seinen Aufgaben entbunden. Als Folge von Presserecherchen hatte das Unternehmen in den letzten Tagen neue Erkenntnisse über das aktuelle Verhalten von Julian Reichelt gewonnen. Diesen Informationen ist das Unternehmen nachgegangen. Dabei hat der Vorstand erfahren, dass Julian Reichelt auch nach Abschluss des Compliance-Verfahrens im Frühjahr 2021 Privates und Berufliches nicht klar getrennt und dem Vorstand darüber die Unwahrheit gesagt hat.Neuer Vorsitzender der dreiköpfigen Chefredaktion und Mitglied des BILD-Boards wird Johannes Boie, 37, derzeit Chefredakteur WELT AM SONNTAG. Bevor er im Jahr 2017 zu Axel Springer kam, hatte Boie bei der „Süddeutschen Zeitung“ als Reporter und Redakteur gearbeitet und das Paid-Content-Angebot der Zeitung entwickelt und geleitet. Alexandra Würzbach bleibt Chefredakteurin BILD am SONNTAG und verantwortlich für Personal- und Redaktionsmanagement. Claus Strunz ist als Chefredakteur für das Bewegtbildangebot verantwortlich.Mathias Döpfner: „Julian Reichelt hat BILD journalistisch hervorragend entwickelt und mit BILD LIVE die Marke zukunftsfähig gemacht. Wir hätten den mit der Redaktion und dem Verlag eingeschlagenen Weg der kulturellen Erneuerung bei BILD gemeinsam mit Julian Reichelt gerne fortgesetzt. Dies ist nun nicht mehr möglich. Mit Johannes Boie haben wir einen erstklassigen Nachfolger. Er hat unter Beweis gestellt, dass er journalistische Exzellenz mit modernem Führungsverhalten verbindet.“
Ergänzende Informationen zum Hintergrund der heutigen Entscheidung
Es gab in Rahmen des Compliance-Verfahrens gegen Julian Reichelt nie den Vorwurf sexueller Belästigung oder sexueller Übergriffe. Es gab aber den Vorwurf einvernehmlicher Liebesbeziehungen zu BILD-Mitarbeiterinnen und Hinweise auf Machtmissbrauch in diesem Zusammenhang. Bewiesen und eingeräumt wurde eine frühere Beziehung zu einer Mitarbeiterin von BILD. Umstritten blieb, ob dieser Mitarbeiterin dadurch berufliche Vorteile gewährt wurde.
Fast alle damaligen Hinweisgeber bestanden auf Anonymität. Deshalb konnten die konkreten Vorwürfe und Protokolle der durch die Kanzlei Freshfields durchgeführten Befragungen dem Beschuldigten gegenüber nicht offengelegt werden. Julian Reichelt hat sich deshalb kaum gegen konkrete, sondern lediglich gegen abstrahierte Vorwürfe verteidigen können. Auch Axel Springer kannte maßgebliche Befragungsprotokolle auf Bitten von Zeugen nicht. Und diese liegen dem Unternehmen bis zum heutigen Tage nicht vor. Medien wurden diese Dokumente jedoch in Teilen oder vollständig von dritter Seite rechtswidrig zugespielt.
Eine klare Vorgabe, die den Umgang mit Verhältnissen unter Mitarbeitern im Unternehmen explizit regelt, gab es bei Axel Springer wie bei den meisten deutschen Unternehmen nicht. Eine Einführung einer solchen Regelung war in der Vergangenheit aus rechtlichen Gründen verworfen worden. Der Vorstand hat nach Abschluss des Compliance-Verfahrens im Frühjahr 2021 beschlossen, dass es künftig die Pflicht geben soll, persönliche Beziehungen am Arbeitsplatz, die einen Interessenkonflikt auslösen können, transparent offenzulegen. Eine Umsetzung ist mitbestimmungspflichtig, entsprechende Diskussionen hierzu mit dem Betriebsrat dauern an.
Auf Basis der Untersuchungsergebnisse der externen Anwälte hielt der Vorstand nach Abschluss des Compliance-Verfahrens im März 2021 die Rückkehr von Julian Reichelt an seinen Arbeitsplatz in einer Doppelspitze in Kombination mit einem kulturellen Veränderungsprozess für angemessen (siehe hierzu Presseinformation vom 25. März 2021). Der Vorstand und der Aufsichtsrat kamen zu dem Ergebnis: Julian Reichelt habe zwar Fehler gemacht, jedoch keine unverzeihlichen Fehler. Fehler, die eine unverzügliche Trennung gerechtfertigt hätten, konnten nicht bewiesen werden und wurden von Julian Reichelt bestritten. Statt einer Kündigung gab es eine zweite Chance.
Im Kontext jüngster Medienrecherchen sind dem Unternehmen seit einigen Tagen neue Anhaltspunkte für aktuelles Fehlverhalten von Julian Reichelt zur Kenntnis gelangt. Der Vorstand hat erfahren, dass Julian Reichelt auch aktuell noch Privates und Berufliches nicht klar trennt und dem Vorstand darüber die Unwahrheit gesagt hat. Deshalb hält der Vorstand jetzt eine Beendigung der Tätigkeit für unvermeidbar.
Gleichzeitig leitet das Unternehmen rechtliche Schritte gegen Dritte ein, die versucht haben, die Compliance-Untersuchung vom Frühjahr mit rechtswidrigen Mitteln zu beeinflussen und zu instrumentalisieren, offenbar mit dem Ziel, Julian Reichelt aus dem Amt zu entfernen und BILD sowie Axel Springer zu schädigen. Dabei geht es insbesondere um die verbotene Verwendung und Nutzung vertraulicher Protokolle aus der Befragung von Zeugen sowie die Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen und privater Kommunikation.
… Gibt es überhaupt eine echte Demokratie ohne eine funktionierende und umfassend berichtende Medienlandschaft? In den letzten Monaten haben sich einige kluge Köpfe auf Punkt Preradovic Sorgen um Meinungsfreiheit, Grundrechte und gesellschaftlichen Zusammenhalt gemacht. Hier die eindrucksvollen Aussagen meiner Gäste. Ich würde mich freuen, wenn ihr meine unabhängige journalistische Arbeit unterstützen würdet, damit ich auch in Zukunft weitermachen kann. Vielen Dank! Ich möchte mich auch ganz herzlich bei allen bedanken, die mich bereits unterstützen.
… in folgenden WELTplus*-Interview die Zustände an einer, seiner Universität in Portland, USA. Weil hier in Deutschland die Zustände offensichtlich nicht besser sind (z.B. Flaig, Lucke), zitiere ich neben dem WELTplus-Text* auch die Leserkommentare.
Jahrelang hat der Philosoph Peter Boghossian gegen zunehmende Denkverbote an seiner Universität gekämpft. Die Ideologen nahmen ihm übel, dass er ihren Unfug entlarvte. Dafür wurde er bespuckt und schikaniert. Nun hat er gekündigt. In einem offenen Brief begründet er, warum.
Peter Boghossian lehrte in den letzten zehn Jahren Philosophie an der Portland State University. In dem folgenden Schreiben, das er diese Woche an die Prorektorin der Universität geschickt hat, erklärt er die Gründe für seinen Rücktritt. …
Quellegrün-kursive Zitate, Interview & alle Verweise
Sehr geehrte Prorektorin Susan Jeffords,
ich schreibe Ihnen heute, um mein Amt als Assistenzprofessor für Philosophie an der Portland State University niederzulegen.
Über die letzten zehn Jahren hinweg hatte ich das Privileg, an dieser Universität zu lehren. Meine Fachgebiete sind Kritisches Denken, Ethik und die Sokratische Methode. Ich unterrichte Fächer wie Wissenschaft und Pseudowissenschaft und Bildungsphilosophie. Aber neben der Auseinandersetzung mit klassischen Philosophen und traditionellen Texten habe ich eine Vielzahl von Gastdozenten eingeladen, um in meinen Seminaren zu sprechen. Die Gäste reichten von Menschen, die glauben die Erde sei flach, christlichen Apologeten bis hin zu Klimaskeptikern und Occupy-Wall-Street-Anhängern. Ich bin stolz auf meine Arbeit.
Ich habe diese Redner nicht eingeladen, weil ich mit ihren Weltanschauungen einverstanden war, sondern in erster Linie, weil ich es nicht war. In diesen chaotischen und schwierigen Gesprächen habe ich das Beste gesehen, was unsere Studenten erreichen können: Sie hinterfragen ihre Überzeugungen und respektieren gleichzeitig die Andersgläubigen; sie bleiben auch in schwierigen Situationen ruhig und ändern sogar ihre Meinung.
Ich habe nie geglaubt – und tue es bis jetzt nicht –, dass der Zweck der Lehre sei, meine Studenten zu einem bestimmten Ergebnis zu führen. Vielmehr wollte ich die Voraussetzungen für ein kritisches Denken schaffen und ihnen helfen, sich das Rüstzeug anzueignen, um nach eigenen Schlussfolgerungen zu suchen. Das ist der Grund, warum ich in die Lehre gegangen bin und warum ich das Unterrichten liebe.
Doch die Universität hat diese Art der intellektuellen Erkundung Stück für Stück unmöglich gemacht. Sie hat eine Bastion der freien Forschung in eine Fabrik für soziale Gerechtigkeit verwandelt, deren einziger Input Rasse, Geschlecht und Opferrolle und deren einzige Leistung Missgunst und Spaltung sind.
Den Studenten an der Portland State University wird nicht beigebracht, zu denken. Sie sollen vielmehr die moralische Gewissheit von Ideologen nachahmen. Fakultät und Verwaltung haben den Auftrag der Universität, nach Wahrheit zu suchen, aufgegeben und fördern stattdessen die Intoleranz gegenüber abweichenden Überzeugungen und Meinungen. Hier ist eine Kultur der Beleidigung entstanden, in der Studenten nun Angst haben, offen und ehrlich zu sprechen.
Ich habe während meiner Zeit an der Portland State University schon früh Anzeichen für einen Illiberalismus gesehen, der die Hochschule mittlerweile völlig vereinnahmt hat. Ich habe Studenten erlebt, die sich weigerten, sich mit anderen Standpunkten auseinanderzusetzen. Fragen von Dozenten bei Diversity-Trainings, die anerkannte Narrative in Frage stellten, wurden sofort abgelehnt. Diejenigen, die Beweise zur Rechtfertigung neuer institutioneller Maßnahmen forderten, wurden der Mikroaggression beschuldigt. Und Professoren wurden der Scheinheiligkeit beschuldigt, wenn sie mit kanonischen Texten arbeiteten, die zufällig von europäischen und männlichen Philosophen stammten.
Die Systematik dahinter war mir zunächst nicht klar, und ich glaubte, diese neue Kultur in Frage stellen zu können. Also begann ich Fragen zu stellen. Was beweist, dass Triggerwarnungen und „Safe Spaces“ zum Lernprozess der Studenten beitragen? Warum sollte das Rassenbewusstsein die Brille sein, durch die wir unsere Rolle als Pädagogen sehen? Wie haben wir entschieden, dass „kulturelle Aneignung“ unmoralisch ist?
Anders als meine Kollegen habe ich diese Fragen laut und öffentlich gestellt.
Ich beschloss, die neuen Werte genau zu betrachten, die die Portland State University und so viele andere Bildungseinrichtungen einhüllten – Werte wie Vielfalt, Gleichberechtigung und Integration, die wunderbar klingen, aber in Wirklichkeit vielleicht genau das Gegenteil sind. Je mehr ich aus den Primärquellen las, die von den Denkern der Kritischen Theorie verwendet wurden, desto mehr vermutete ich, dass ihre Schlussfolgerungen nur die Postulate einer Ideologie widerspiegelten und nicht auf Beweisen basierende Erkenntnisse waren.
Ich vernetzte mich mit Studentengruppen, die ähnlichen Bedenken hatten und lud Gastredner ein, die diese Themen aus einer kritischen Perspektive beleuchteten. Und mir wurde immer klarer, dass die illiberalen Vorfälle, die ich im Laufe der Jahre beobachtet hatte, keine Einzelfälle, sondern Teil eines institutionsweiten Problems waren. Je mehr ich mich zu diesen Themen äußerte, desto mehr Repressalien sah ich mich ausgesetzt.
Zu Beginn des akademischen Jahres 2016/17 beschwerte sich ein ehemaliger Student über mich und die Universität leitete eine Untersuchung nach Titel IX ein. (Titel IX-Untersuchungen sind Teil eines Bundesgesetzes zum Schutz von „Menschen vor Diskriminierung aufgrund des Geschlechts in Bildungsprogrammen oder -aktivitäten, die bundesstaatlich finanziell unterstützt werden.“) Mein Ankläger, ein weißer Mann, erhob eine Reihe unbegründeter Anschuldigungen gegen mich, die ich aufgrund der Vertraulichkeitsregeln der Universität leider nicht näher erläutern kann. Was ich mitteilen kann ist, dass mir meine Studenten, die während des Prozesses befragt wurden, sagten, der Ermittler für Titel IX habe sie gefragt, ob sie etwas darüber wüssten, dass ich meine Frau und meine Kinder geschlagen habe. Diese entsetzliche Anschuldigung wurde bald zu einem weit verbreiteten Gerücht.
Bei Title IX-Untersuchungen gibt es kein ordentliches Gerichtsverfahren, so dass ich keinen Zugang zu den einzelnen Anschuldigungen und keine Möglichkeit hatte, meinen Ankläger zu konfrontieren. Ich hatte keine Gelegenheit, mich zu verteidigen. Schließlich wurden die Ergebnisse der Untersuchung im Dezember 2017 bekannt gegeben. Dies sind die letzten beiden Sätze des Berichts: „Global Diversity & Inclusion stellt fest, dass es keine ausreichenden Beweise dafür gibt, dass Boghossian gegen die PSU-Richtlinie zu verbotener Diskriminierung und Belästigung verstoßen hat. GDI empfiehlt, dass Boghossian ein Coaching erhält.“
Es gab nicht nur keine Entschuldigung für die falschen Anschuldigungen, sondern der Ermittler teilte mir auch mit, dass es mir in Zukunft nicht erlaubt sei, meine Meinung über „geschützte Klassen“ (Gruppen von Menschen mit einem gemeinsamen Merkmal, die in den USA und Kanada aufgrund dieses Merkmals, z.B. Hautfarbe, Geschlecht, Behinderung oder Alter, gesetzlich vor Diskriminierung am Arbeitsplatz geschützt sind, Anm. der Redaktion). zu äußern oder so zu lehren, dass meine Meinung über geschützte Klassen bekannt werden könnte – eine bizarre Schlussfolgerung für absurde Anschuldigungen. Universitäten können ideologische Konformität allein durch die Androhung solcher Untersuchungen erzwingen.
Ich kam schließlich zu der Überzeugung, dass korrumpierte wissenschaftliche Gremien dafür verantwortlich waren, dass radikale Abweichungen von der traditionellen Rolle der Liberal Arts Schools und der grundlegenden Höflichkeit auf dem Campus gerechtfertigt wurden. Es war dringend notwendig zu zeigen, dass moralisch einwandfreie Arbeiten – egal, wie absurd – veröffentlicht werden konnten. Ich glaubte damals, dass ich, wenn ich die theoretischen Schwächen dieser Literatur aufdecken würde, der Universitätsgemeinschaft helfen könnte, den Bau von Gebäuden auf solch wackligem Grund zu vermeiden.
Also war ich 2017 Mitverfasser einer absichtlich verstümmelten, von Experten begutachteten Arbeit, die sich gegen die neue Orthodoxie richtete. Der Titel lautete: „The Conceptual Penis as a Social Construct“. Dieses Beispiel für Pseudo-Wissenschaft, das in den Cogent Social Sciences veröffentlicht wurde, behauptete, dass Penisse Produkte des menschlichen Geistes und für den Klimawandel verantwortlich seien. Unmittelbar danach habe ich den Artikel als Falschmeldung entlarvt, der die Schwächen von Peer-Review und des akademischen Publikationssystems aufzeigen sollte.
Kurz darauf tauchten in zwei Badezimmern in der Nähe des Fachbereichs Philosophie Hakenkreuze mit meinem Namen darunter auf. Sie tauchten gelegentlich auch an meiner Bürotür auf, in einem Fall zusammen mit Säcken voller Fäkalien. Unsere Universität blieb still. Wenn sie handelte, dann nur gegen mich, nicht gegen die Täter.
Ich glaubte weiterhin, vielleicht naiv, dass ich die Universität von ihrem Wahnsinn abbringen könnte, wenn ich das fehlerhafte Denken, auf dem die neuen Werte der Portland State beruhen, aufdecken würde. Im Jahr 2018 war ich Mitverfasser einer Reihe absurder oder moralisch verwerflicher Artikel in Fachzeitschriften, die sich mit Fragen über Rasse und Geschlecht befassten. In einem davon argumentierten wir, mit einer Vergewaltigungsepidemie von Hunden in Hundeparks und schlugen vor, Männer genauso an die Leine zu nehmen, wie wir es mit Hunden tun. Wir wollten damit zeigen, dass bestimmte Arten von „Wissenschaft“ nicht auf der Suche nach der Wahrheit, sondern auf der Förderung sozialer Missstände beruhen. Diese Weltanschauung ist nicht wissenschaftlich, und sie ist nicht rigoros.
Die Verwaltung und die Fakultät waren über diese Artikel so verärgert, dass sie einen anonymen Artikel in der Studentenzeitung veröffentlichten und die Portland State University eine formelle Anzeige gegen mich erstattete. Ihr Vorwurf? „Fehlverhalten in der Forschung“, basierend auf der absurden Prämisse, dass die Redakteure der Zeitschriften, die unsere absichtlich gestörten Artikel akzeptierten, „menschliche Versuchspersonen“ seien. Ich wurde für schuldig befunden, keine Genehmigung für Experimente an menschlichen Versuchspersonen erhalten zu haben.
Währenddessen nahm die ideologische Intoleranz an der Portland State weiter zu. Im März 2018 störte ein Lehrstuhlinhaber eine öffentliche Diskussion, die ich mit der Autorin Christina Hoff Sommers und den Evolutionsbiologen Bret Weinstein und Heather Heying führte. Im Juni 2018 löste jemand während meines Gesprächs mit dem bekannten Kulturkritiker Carl Benjamin den Feueralarm aus. Im Oktober 2018 riss ein Aktivist die Lautsprecherkabel heraus, um eine Diskussionsrunde mit dem ehemaligen Google-Ingenieur James Damore zu unterbrechen. Die Universität unternahm nichts, um dieses Verhalten zu unterbinden. Niemand wurde bestraft oder gemaßregelt.
Die darauffolgenden Jahre waren für mich von anhaltenden Schikanen geprägt. Auf dem Campus fand ich Flyer, auf denen ich mit einer Pinocchio-Nase abgebildet war. Auf dem Weg zum Unterricht wurde ich von Passanten bespuckt und bedroht. Studenten informierten mich darüber, dass meine Kollegen ihnen rieten, meine Kurse zu meiden. Und natürlich wurde ich einer weiteren Untersuchung unterzogen.
Ich wünschte, ich könnte sagen, dass das, was ich hier beschreibe, keinen persönlichen Tribut gefordert hat. Aber es hat genau den Tribut gefordert, der beabsichtigt war: ein zunehmend unerträgliches Arbeitsleben, und das ohne den Schutz einer Festanstellung.
Hier geht es nicht um mich. Es geht um die Art von Institutionen, die wir wollen, und um die Werte, die wir wählen. Jede Idee, die die menschliche Freiheit vorangebracht hat, ist immer und ohne Ausnahme zunächst verurteilt worden. Als Einzelpersonen scheinen wir oft nicht in der Lage zu sein, uns an diese Lektion zu erinnern, aber genau dafür sind unsere Institutionen da: um uns daran zu erinnern, dass die Freiheit, Fragen zu stellen, unser Grundrecht ist. Bildungseinrichtungen sollten uns daran erinnern, dass dieses Recht auch unsere Pflicht ist.
Die Portland State University hat bei der Erfüllung dieser Pflicht versagt. Damit hat sie nicht nur ihre Studenten im Stich gelassen, sondern auch die Öffentlichkeit, die sie unterstützt. Ich bin zwar dankbar für die Möglichkeit, über ein Jahrzehnt an der Portland State University gelehrt zu haben, doch ist mir klar geworden, dass diese Einrichtung kein Ort für Menschen ist, die frei denken und Ideen erforschen wollen.
Das ist nicht das Ergebnis, nachdem ich gesucht habe. Aber ich fühle mich moralisch verpflichtet, diese Entscheidung zu treffen. Zehn Jahre lang habe ich meinen Studenten beigebracht, wie wichtig es ist, nach seinen Prinzipien zu leben. Eines meiner Prinzipien ist es, unser System der liberalen Bildung gegen diejenigen zu verteidigen, die es zerstören wollen. Wer wäre ich, wenn ich das nicht täte?
*Weil der Artikel und die Kommentare außerordentlich wichtig für die Debatte/den Skandal „CancelCulture & Meinungsfreit“ sind, zitieren wir den Text & die Kommentare. Verweise und Grafiken lesen Sie, wenn Sie WELTplus testen/abonnieren. Wir empfehlen WELTplus ausdrücklich: 30 Tage kostenlos testen.
Die Erinnerung täuscht einen oft. Man neigt dazu, die Vergangenheit durch eine rosa Brille zu betrachten. Deshalb mag es durchaus sein, dass ich mich irre in meiner Erinnerung, dass in der alten Bundesrepublik Demonstrationen mit Zehntausenden Teilnehmern, die für die Regierungspolitik auf die Straße gehen, eher schwer vorstellbar waren. Und man so etwas damals eher mit der DDR und dem Sozialismus assoziierte. Auf jeden Fall ist es für mich bis heute befremdlich, wenn in der neuen Bundesrepublik genau solche Demonstrationen fast schon Alltag sind. Am Samstag in Berlin ist es wieder einmal soweit. Unter dem hinlänglich bekannten Motto „#Unteilbar“ wollen mehrere zehntausend Menschen auf die Straße. Anders als die Gegner der Corona-Maßnahmen, deren Kundgebungen vergangenes Wochenende verboten wurden, sind sie beim Demonstrieren in der Hauptstadt mehr als willkommen.
Die Aktion „#Unteilbar“ steht geradezu symbolisch für das neue Merkel´sche System, in dem vermeintlich private Initiativen Aufgaben übernehmen, die in autoritären Staaten von (quasi-)offiziellen Institutionen übernommen werden. So wie Ex-Stasi-IM Anetta Kahane mit ihrer „Amadeu Antonio Stiftung“ in der Manier bestimmter Dienste in bestimmten Staaten Regimekritiker „zersetzt“ und sogenannte „Faktenchecker“ in der Art und Weise von Wahrheit-Ministerien oder Propaganda-Abteilungen die Reinheit der staatlichen Leere durchsetzen, so agiert „#Unteilbar“ als Transmissionsriemen zwischen Regierung und Bevölkerung bei der Durchsetzung von oben gewünschter Ideologie. Bösartig könnte man der Aktion eine gewisse Ähnlichkeit von oben gesteuerten Gewerkschaften in sozialistischen Staaten und ihren Massendemonstrationen nachsagen.
Wir kennen die erbaulichen Events inklusive Massenhysterie der Black-Matter-Bewegung.
Gegen Rassismus, gegen Unterdrückung, etc. Egal, wo auf der Welt ein Ereignis stattfindet, wo angeblich Andersfarbige oder Frauen unterdrückt werden, schlagen sie zu, die linksgrünen Black-Matter-Bewegten!
Alles, was ihnen politisch andersdenkend erscheint, wird zum Schlachtfest ihrer Ideologie. Die Regierung liebt sie, die Helden und Heldinnen dieser Bewegung. Sie dürfen – wann und wo auch immer – nach Lust und Laune demonstrieren, gegen Corona-Regeln verstoßen, es juckt keine Regierung und keine Polizei! Sie sind die wahren Vertreter für Freiheit, Recht und Gesinnung. Diese Bewegung ist schon mal die Vorwegnahme der zukünftigen neuen Regierungsgesinnung.
Die Regierungen lieben sie, da dies der Stoßrichtung ihrer Transformation entspricht. Weg mit all den Nazitypen, die einer Umstrukturierung im Wege stehen. Das trifft vor allem auf die „Nazis“ zu, die sich zudem auch noch verweigern.
Beim Impfen!
Die Typen, die Einigkeit und Recht und Freiheit krakeelen und noch gar nicht begriffen haben, dass diese Werte neuen Glanz erhalten, dem linksgrünen Glanz der Zukunft.
Wie der ´honorige` Gesundheitsminister Spahn schon mal verlauten ließ:
Freiheit heißt nicht, dass jeder tun und lassen kann was er will, sondern Freiheit bedeutet Verantwortung im Besonderen Dritten gegenüber!
So werden jetzt die Grundrechte umgedeutet, wie die Würde des Menschen besteht darin sich unterzuordnen, die Freiheit besteht darin Verantwortung im Sinne der Regierung zu übernehmen, die körperliche Unversehrtheit gehört der Allgemeinheit und hat sich Regierungsregeln unterzuordnen etc. etc.
Diese Befreiung von althergebrachtem Denken ist ein reiner Gottessegen, dessen Heilsverkündung durch Söder, Spahn und Co. mit Bravour erfolgt. Folgerichtig ist dann natürlich auch, dass die Spreu vom Weizen getrennt werden muss! Personen, die aufwiegeln, sich nicht unterordnen oder sich gar nicht impfen lassen wollen, sind ab sofort separat (à part) zu behandeln.
Kreativ, wie diese netten Damen und Herren nun mal sind, werden jetzt die „G-Regeln“ eingeführt. Dies führt automatisch zu der gewünschten Selektion, die man durch die „freiwillige Impfung“ erreicht.
Nachdem man zunächst in der epidemischen Lage die Grundrechte für alle entzogen hat, die jedem zu jeder Zeit immer zustehen, ist man geneigt willige Bürger, die auch die richtige Gesinnung zum Impfen mitbringen und sich impfen lassen, zu bevorzugen, indem sie wieder Ansprüche auf Grundrechte zugestanden bekommen.
Die Nichtgeimpften erhalten die gottgegebene und verdiente Behandlung! Sie werden unter Quarantäne gestellt, indem sie einen Lockdown für Nichtgeimpfte einführen!
Werbung, liebe Leser, ist manchmal eine bessere Charakterisierung …
… eines bestimmten Zeitgeistes als jede historische oder soziologische Abhandlung. Erinnert sich einer der älteren unter uns noch an die „klassische“ Sparkassenwerbung im TV – „MEIN Haus, MEIN Auto, MEIN Boot“? Das ist lange her (1995 war das), aber gottseidank auf Youtube noch zu sehen. Das waren andere Zeiten.
Heute müsste man einen entsprechenden Werbespot machen mit
„MEINE Moral, MEINE Ethik, MEINE Haltung“.
Leben wir in „postmaterialistischen“ Zeiten?
Zählen materielle Dinge, angesichts eines sehr viel kleiner gewordenen Teils der armen Bevölkerung, weniger als früher?
Verschafft man sich heute Ansehen, Prestige, Status über andere Dinge, über immaterielle?
Das sogenannte „status seeking“, das Streben nach Ansehen und Prestige, ist eine allgemeinmenschliche Universalie. Jeder will irgendwie glänzen vor dem anderen. Wer sich selbst „klein“ macht, ist meist entweder nicht ehrlich oder psychisch beeinträchtigt*. der den Beginn der postmaterialistischen Entwicklung markierte, wird hier kurz beschrieben.:
Je grösser der soziale Anspruch einer Person, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie intensiv einen hohen Status suchen wird – das ist fast eine soziologische Binsenweisheit. Ein hoher Status, Prestige, Ansehen bauchpinseln nicht nur das Selbstbewusstsein und geben dem Betreffenden ein wohliges Überlegenheitsgefühl über andere, es kann auch mit realem Machtzuwachs verbunden sein.
Wer hat in unserer (relativen) Wohlstandsgesellschaft einen besonders hohen Anspruch?
Da sind zunächst Heranwachsende. Sie sind normalerweise im Bildungssystem, lernen eine Menge (idealiter) und es entsteht oft eine Diskrepanz zwischen ihren Lerninhalten (und den Schlüssen, die sie daraus ziehen) auf der einen, sowie ihrem noch untergeordneten Status als Jugendliche auf der anderen Seite. Manche der Kinder sind heutzutage auch schlicht verwöhnt, das muss man auch sagen. Gerade wenn sie aus reichen Familien kommen.
Greta Thunberg stammt aus einer wohlhabenden Familie, ihre Mutter ist Opernsängerin, ihr Vater Schauspieler und Produzent. Die Chefin der deutschen Fridays-for-Future-Bewegung kommt ebenfalls aus einem vermögenden Hintergrund. Beide Aktivistinnen sind inzwischen Multi-Millionärinnen.
Womit kann man Prestige gewinnen, wenn man jung ist und noch keine beruflichen Meriten hat, und wenn man sich materiell sowieso schon alles leisten kann?
MIT MORAL NATÜRLICH.
Man stellt sich auf den öffentlichen Marktplatz und tönt laut heraus, dass die bösen Klimasünder unter uns in sich gehen und auf den rechten Weg zurückkehren sollten. Auf den Weg, der ihnen natürlich Prophetinnen wie Thunberg und Neubauer in ihrer visionären Weitsicht vorgeben. Die Jungfrau von Orlèans lässt grüßen.
Das Alles hat eine erkennbar religiöse Dimension, es geht wohl über „normalen“ Postmaterialismus hinaus. Weil Religion in unserer modernen Gesellschaft keine zentrale Rolle mehr spielt, springen solche Erweckungsbewegungen in die Bresche und bieten sich nicht nur als sinnstiftende Krücken, sondern eben auch als bequemes Mittel des Prestigegewinns an.
Wer, abgesehen von solchen Halbwüchsigen, ist noch auf den Moral-Zug aufgesprungen?
Unsere lieben Journalisten der Grün-Linksmedien. Halbwüchsig sind die natürlich nicht – wohl aber lässt sich eine deutliche Infantilität bei den meisten von ihnen wohl kaum leugnen.
Journalisten haben im allgemeinen eine ziemlich bescheidene Ausbildung – der Beruf zieht Leute magisch an, die es an der Hochschule zu nichts rechtem!! gebracht haben -, Ihr Ruf in der Gesellschaft ist ebenfalls ziemlich mies.
Die Allensbacher Umfrage von 2013 zum Prestige einzelner Berufsgruppen führt die Journalisten ziemlich weit unten auf der Skala, nur 5 Plätze über den Politikern, die auf dem drittletzten Platz stehen. Jedenfalls sind sie meilenweit von einem vorderen Rang entfernt. Nun haben Journalisten im Lauf der Zeit aber einen gewissen Appetit auf politische Mitwirkung** entwickelt.
Wie regiert man aber mit, wenn man ein relativ niedriges gesellschaftliches Ansehen hat, keine direkte Machtbefugnis, aber Anspruch und Ehrgeiz?
Ganz einfach:Auch hier haut man möglichst laut auf die Moral-Pauke.
Zwar sind Journalisten in ihrem beruflichen Verhalten nicht für sonderlich vorbildliches Verhalten berühmt, aber Frechheit siegt bekanntlich. Was man an Substanz nicht hat, ersetzt man eben durch Lautstärke – und sie sitzen, was das Ausnutzen von Lautstärke angeht, ja nun mal an der Quelle: Sie können ihre Predigten ja täglich in den Medien absetzen.
Wir erleben eine Wiedergeburt des mittelalterlichen Laienpredigertums.
Man kann kaum eine grün-linke Zeitung, die meisten sind grün-links, aufschlagen, ohne Ermahnungen, Handlungsanweisungen, Verurteilungen, Wert-Einschätzungen zu lesen. Diese journalistische Vorgehensweise bietet außer dem Statusgewinn noch den Vorteil, dass sie ohne Mühe ins Werk zu setzen ist.
JEDER HERGELAUFENE IGNORANT KANN SICH ALS MORALIST AUFSPIELEN.
So leben unsere täglichen Moralisten in der für sie besten aller möglichen Welten. Sie können sich durch ihre
Moralisiererei über andere erheben,
Macht und Status gewinnen
Sie sparen auch noch Zeit und Mühe, die sie für gründliches Recherchieren von Informationen aufbringen müssten.
Kein Wunder, dass bei uns an jeder medialen Ecke Bußprediger und Inquisitoren herumlaufen. Wenn man ohne Mühe, nur mit Moralgeschwafel, Macht und Ansehen gewinnen kann, ist das doch feiner, als mit mühevoller Recherche nur ein kleiner Schreiberling zu bleiben, oder?
*Literatur zum ’status seeker‘: ‚Science Daily‘, May 6, 2015, „We all want high social status“ & „Vom Materialismus zum Postmaterialismus“, ‚Zeithistorische Forschungen‘ 3/2006, Ronald Ingleharts Soziologie-Klassiker „The Silent Revolution“,
Politische Probleme werden heute nicht mehr politisch, …
… sondern moralisch beurteilt. Das sagt Philosoph und Medienwissenschaftler Prof. Dr. Norbert Bolz und befürchtet, daß dadurch kein notwendiger Diskurs mehr möglich ist. Wer moralisiert, teile die Welt in Gut und Böse ein. Andere Meinungen würden somit dämonisiert, politische Gegner zu Feinden. „Wir sind in einem kulturellen Bürgerkrieg“, so Bolz.
… und als Moskau Korrespondentin bekannt geworden. Sie war der erste westliche Korrespondent der mit Michael Gorbatschow ein Interview geführt hat und beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit Russland. Sie bemängelt seit Jahren die erodierende Debattenkultur und den fehlenden Respekt wenn man eine andere Meinung als die breite Masse vertritt. Heute spreche ich mit ihr über Meinungsfreiheit, Respekt, ob Russland uns näher ist als die USA, was nach Putin kommt und wohin wir steuern.
Mit den „Querdenken“-Protesten geht es bergab. Doch führende Köpfe der Szene finden weiter Wege, Geld zu verdienen. Sie machen Werbung, bitten um Schenkungen und Spenden für Katastrophenopfer. Manch einer könnte so ein beträchtliches Vermögen angehäuft haben.
Zensur in Brüssel, Proteste und Polizeigewalt in Paris, „Globalisten“, die in Wien die Macht übernehmen. So bunt sind die Themen beziehungsweise die kruden Behauptungen am Donnerstagmorgen dieser Woche im Telegram-Kanal von Eva Herman***.
Bis 2007 war Herman „Tagesschau“-Sprecherin, heute ist sie eine Ikone der Verschwörungsszene. Über 180.000 Menschen haben ihren Telegram-Kanal abonniert, lesen mit, wenn Herman Corona-Maßnahmen anzweifelt oder vor einer „Invasion der Migranten“ warnt. In ihrem Kanal auf Telegram taucht noch eine andere Nachricht auf: Pasta Carbonara aus dem Plastikbeutel gebe es zu kaufen. „Survival Food“ für 5,99 Euro pro Portion. Angeblich sei das die perfekte Krisenvorsorge, bestellbar per Mausklick.
Offenbar kaufen Nutzer, wenn Herman Produkte empfiehlt. Der Link zur Pasta Carbonara führt zu einem Shop des Kopp-Verlags, der vor allem für den Vertrieb von Büchern aus dem rechtsextremen und verschwörungstheoretischen Spektrum bekannt ist.
Verschwörungstheorien haben seit dem Beginn der Corona-Pandemie Hochkonjunktur. Der Verfassungsschutz rechnet allein der Bewegung „Querdenken“ rund 100.000 Menschen zu. Diese Menschen folgen Aktivisten wie Michael Ballweg oder dem Arzt Bodo Schiffmann, sie informieren sich bei Bloggern wie Boris Reitschuster und Eva Herman.
Auf die Straße treibt es in Deutschland zwar immer weniger Menschen zum Protest gegen die Corona-Politik. Einige geplante Versammlungen endeten zuletzt mit wenigen Dutzenden Teilnehmern und Demonstranten, die aus Frust über die enttäuschende Resonanz in Tränen ausbrachen. Die führenden Köpfe der Szene bleiben dennoch umtriebig – auf ihre Art im Netz. Sie werben aggressiv um Spenden, verkaufen Fanartikel oder werden zu Werbeträgern.
Die Summen, die sie so verdienen, sind nicht öffentlich einsehbar. Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass einzelne Akteure der Szene ein beträchtliches Vermögen angehäuft haben.
„Als Betreff bitte SCHENKUNG angeben“
Ob und wie viel Provision Herman bei Bestellungen im Kopp-Shop bekommt, ist unklar. Eine Anfrage beantwortete sie nicht. An manchen Tagen verweist sie gleich zehnmal auf den Shop, insgesamt hat sie bereits Tausende solcher Links mit ihren Anhängern geteilt. So viel Begeisterung für Plastiktüten-Pasta und Bio-Vollmilchpulver aus der Dose. Das ist ohne finanziellen Anreiz schwer vorstellbar.
„Querdenken“-Mitgründer Michael Ballweg hat früh gezeigt, welches finanzielle Potenzial in Corona-Verschwörungstheorien steckt. Als im Mai 2020 mehrere Lastwagen seines Technikteams ausbrannten, führte der Vorfall zu einer bemerkenswerten Solidaritätswelle. Innerhalb weniger Tage spendeten Anhänger 225.000 Euro. Die Polizei hatte den Schaden damals auf 70.000 Euro beziffert.
Auf der Internetseite von „Querdenken“ finden sich gleich mehrere Möglichkeiten, die Bewegung zu unterstützen. Und Bewegung bedeutet in diesem Fall: Michael Ballweg. Neben mehreren Bitcoin-Adressen und einem Privatkonto ist auch die Paypal-Adresse des Stuttgarters auf der „Querdenken“-Internetseite angegeben. Dazu heißt es: „Als Betreff bitte SCHENKUNG angeben.“
Anwalt glaubt: Einnahmen sind gewerblich und müssen versteuert werden
Schenkungen sind in der Szene das Mittel der Wahl. Sie gelten laut Gesetz als „freigebige Zuwendungen“. Anders als bei Spenden hat der Geber keinen Einfluss darauf, was mit seinem Geld passiert. Auch einen Anspruch auf Transparenz gibt es nicht. Für Schenkungen gilt aber wohl: Man darf nicht aktiv dafür werben, beschenkt zu werden. „Querdenken“ allerdings hat etwa für den 1. August wieder zu einer großen Demonstration in Berlin aufgerufen. Ein Video, unterlegt mit melancholischer Musik, soll die bisherigen Erfolge der Proteste verdeutlichen. „Erinnerung an ein unglaubliches Gemeinschaftsgefühl“, steht über dem Video. Das unglaubliche Gefühl von Gemeinschaft lässt sich Ballweg erneut bezahlen. „Wir sind sehr dankbar für jede SCHENKUNG“, heißt es unter dem Video. Dazu seine IBAN.
Ob die Einnahmen, die er auf diese Weise generiert, tatsächlich nicht versteuert werden müssen, ist also fraglich. Der Würzburger Anwalt Chan-jo Jun, der sich seit Längerem mit den Querdenkern beschäftigt, erklärt: Wenn Ballweg aktiv um Schenkungen wirbt, lasse sich das mit Geld vergleichen, das Straßenmusiker in den Hut geworfen bekommen – die auch aktiv etwas tun, um das Geld zu bekommen.
Wie geschäftstüchtig Ballweg ist, zeigt auch ein Blick ins Markenregister. Dort hat er sich 19 Marken rund um den Begriff „Querdenken“ gesichert und verdient somit wohl auch an Shirts und Tassen mit dem Logo der Bewegung. Giulia Silberberger, die sich mit ihrem Verein „Der goldene Aluhut“ gegen Verschwörungstheorien engagiert, hat den „Querdenker“ bereits im vergangenen Jahr bei der Steuerfahndung angezeigt. Sie hält „Querdenken“ nicht für eine Bürgerbewegung, sondern für ein kommerzielles Konstrukt. Es sei „viel Geld am Staat vorbeigelaufen“, glaubt sie. Im Falle führender Köpfe der Bewegung könnte es sich nach ihrer Einschätzung um einen niedrigen Millionenbetrag handeln. Was aus dem Vorgang wird, ist offen. Ballweg beteuert, er halte „alle gesetzlichen Vorgaben ein“ und habe „von den Schenkungen keinerlei Einnahmen für sich privat verwendet“.
Reitschusters Blog wird zur wichtigen Quelle der „Querdenker“
Boris Reitschuster, ein Journalist, der nicht immer journalistisch handelt und der als Blogger große Erfolge feiert, gehört zwar nicht zu „Querdenken“. Doch auch ihn haben fragwürdige Thesen zum Pandemiegewinner gemacht. Der Thinktank Initiative Quorum sieht in ihm eine der „wichtigsten Quellen von Verschwörungsnarrativen für die postsowjetischen Corona-Leugner*innen“. Die Reichweite des einst beschaulichen Blogs Reitschuster.de ist in der Pandemie steil nach oben gegangen.
Heute kann die Seite bei den täglichen Aufrufen mit kleineren etablierten Medienmarken konkurrieren. Reitschuster befeuert auf Grundlage wissenschaftlich zweifelhafter Argumente Skepsis am Coronavirus und seiner Gefährlichkeit und warnt vor schweren Nebenwirkungen von Impfungen. Deutschland habe „bereits den Weg der Demokratie verlassen“, schreibt er.
Ehemalige Weggefährten des Journalisten sind ratlos. Reitschuster war einst ein gefragter Russlandexperte. Für den „Focus“ berichtete er rund 15 Jahre lang aus Moskau. Glaubt dieser Mann selbst, was er heute seinen treuen Anhängern erzählt? Oder geht es ihm vor allem ums Geld? Ein Mann, der Reitschuster aus seiner Zeit in Moskau kennt, versucht sich an einer Erklärung: In seinem Inneren habe Reitschuster immer an seine Rolle als Kämpfer für Gerechtigkeit geglaubt. Und er sei empfänglich für Schmeicheleien. So auch für den Zuspruch aus fragwürdiger Richtung. Geld, da ist der ehemalige Weggefährte sicher, sei höchstens ein Teil der Motivation.
Für Reitschuster macht sich seine spezielle Berichterstattung wohl bezahlt. Der Web-Analysedienst „Similarweb“ sieht Reitschuster.de unter den 1000 am besten besuchten Seiten Deutschlands. Finanziert wird das Blog neben Werbung auch durch freiwillige Unterstützer. Sogenannte „Seitenpaten“ zahlen monatlich einen festen Betrag von bis zu 50 Euro. Sie unterstützen Reitschuster gern, auch öffentlich. Als eine Bank Reitschusters Konto kündigt, bittet ein AfD-Politiker bei Twitter um die neuen Kontodaten. Er wolle seinen Dauerauftrag umstellen. Als Reitschuster im Februar live von einem rechten Aufmarsch in Berlin berichtet, steckt ein Demonstrant dem Journalisten Bargeld zu. Abgesehen davon, dass sich ein neutraler Journalist kein Geld zustecken lässt von jemandem, über den er berichtet: Für ein gutes Leben dürften die Zuwendungen reichen. Videos, die Reitschuster für seine Webseite aufnimmt, zeigen ihn auf dem Balkon seiner Wohnung im Berliner Westen, von Maklern als „Luxusneubau“ beworben.
Andere Köpfe der Szene haben sich ins Ausland abgesetzt. „Querdenken“-Pionier Bodo Schiffmann zeigte sich über Wochen hinweg immer wieder in Tansania. Einst war Schiffmann ein angesehener Experte für Schwindelerkrankungen, heute schwadroniert er – nachweislich falsch – von Kindern, die durch das Tragen von Schutzmasken gestorben seien. Laut einer Recherche von „T-Online“ kostet die „Chele Chele Villa“ in Arusha, die in mehreren Videobotschaften des Arztes zu erkennen war, pro Tag mehr als 400 Dollar.
Dass Schiffmann, gegen den laut Medienberichten in Deutschland mehrere Verfahren – unter anderem wegen Volksverhetzung – laufen, nur wenig später öffentlich um Geld bat, um angebliche Ausstände in der Höhe von mehr als 103.000 Euro auf seinem Geschäftskonto auszugleichen, machte seine Anhänger nicht stutzig. Keine zwei Tage später verkündete Schiffmann sichtlich bewegt, dass das Konto nach den eingegangenen Geldgeschenken nun nur noch 5600 Euro im Minus sei.
Am späten Donnerstagabend meldete sich Schiffmann erneut bei Telegram zu Wort. Die Unwetter in Teilen Deutschlands seien schrecklich, es würde lange dauern, bis staatliche Hilfen ankämen. Deshalb habe er selbst angefangen, via Paypal Geld zu sammeln. Wer genau das Geld am Ende bekomme, darüber werde noch abgestimmt. Davon unbeeindruckt zückten Menschen noch in der Nacht ihr Portemonnaie: Bereits in den ersten sieben Stunden kamen fast 20.000 Euro zusammen.
Aktualisierung Montag, 19. Juli, 8:30 Uhr: Mittlerweile hat Bodo Schiffmann bei Paypal 335.763 Euro gesammelt. „Das Geld dieser Sammlung geht zu 100 % an die Hochwasseropfer“, steht unter dem Aufruf. In einem Video erklärte er dann aber: Er habe für 12.000 Euro pro Tag eine Firma für „Aufräumarbeiten“ im Katastrophengebiet beauftragt.
Artikel 2
Nach dem verheerenden Hochwasser in Ahrweiler sind nicht nur Hilfsorganisationen angerückt, sondern auch Corona-Leugner. Manche von ihnen verbreiten gefährliche Falschinformationen. Wie können die Behörden im Chaos unterscheiden zwischen Helfern und Demagogen?
Wer saubere oder zu leichte Schuhe trägt, fällt in diesen Tagen auf in Ahrweiler. Nach dem verheerenden Hochwasser mit mindestens 125 Toten stehen Wasser und Schlamm noch immer zentimeterhoch in vielen Straßen des rheinland-pfälzischen Ortes. Helfer, die Schutt entfernen, tragen Gummistiefel, die tagelangen Aufräumarbeiten haben Spuren auf ihrer Kleidung hinterlassen.
Am Dienstag steht ein Mann mit strahlend weißen Sneakern vor dem Impfbus, den die Landesregierung eilig organisiert hat. Dutzende warten auf ihre Schutzimpfung gegen das Coronavirus. Sorge herrscht, dass die Infektion sich unter den Helfern, die in diesen Zeiten keine Rücksicht auf Abstand nehmen können, rasant verbreitet.
Der Mann in den weißen Sneakern ist offenbar nicht zum Helfen gekommen. Er filmt mit seinem Handy die Menschen, die auf ihre Impfung warten, überträgt das Video ins Internet. „Ich stehe jetzt hier in Ahrweiler und bin sprachlos. (…) Hier stehen Leute, anstatt zu helfen“, sagt er.
Dass es ihnen allein um Hilfe geht, ist fraglich
Der Mann gehört wohl zu einer größer werdenden Gruppe von Menschen aus der Coronaleugner-Szene, die seit Tagen nach Ahrweiler strömen. Einige von ihnen sind bereits seit dem Wochenende da und packen an. Sie behaupten: Der Staat habe versagt. Bundeswehr, THW und Feuerwehr seien kaum präsent, würden die Hilfe der vielen Freiwilligen sogar blockieren. Ohne sie, „Querdenker“, Ex-Soldaten, Landwirte und andere Freiwillige, sei die Versorgung längst zusammengebrochen.
Andere kamen erst unter der Woche nach Ahrweiler. Darunter Neonazis, der als „Volkslehrer“ bekannte Holocaustleugner Nikolai N., Reichsbürger und zahlreiche in der Verschwörungsszene bekannte Blogger und Youtuber, darunter die als „Hutmacherin“ bekannt gewordene Rechtsanwältin Viviane Fischer. Auch Gruppen wie die „Schüler gegen Maskenpflicht“ haben ihr Kommen angekündigt.
Dass es ihnen allein um Hilfe geht, ist fraglich. Die Behörden vor Ort warnen vor Desinformationskampagnen und einer Instrumentalisierung der Katastrophe. Am Mittwochabend fährt ein im Stile eines Polizeiautos lackiertes Fahrzeug mit der Aufschrift „Friedensfahrzeug“ durch Ahrweiler. Ähnliche Gefährte waren im vergangenen Jahr immer wieder bei „Querdenken“-Demonstrationen gesichtet worden.
Per Lautsprecherdurchsage behaupten die Insassen, alle offiziellen Hilfskräfte würden aus der Region abgezogen. Die Bundeswehr sieht sich zu einer Richtigstellung gezwungen: Es handele sich um eine Falschmeldung. Man sei weiter in vollem Umfang vor Ort. Aktionen wie diese werfen Fragen auf. Was planen die „Querdenker“ im Krisengebiet? Welche Rolle spielen sie wirklich bei den Aufräumarbeiten? Und können Behörden und Anwohner im Chaos der Aufräumarbeit überhaupt unterscheiden zwischen Helfern und Demagogen?
„Veteranen“ richten Einsatzzentrale ein
Vor einer Grundschule im Ortskern von Ahrweiler wurde ein Schild angebracht. „Lebensmittelausgabe“ steht darauf. Darunter der Link zu einer Website. Der Link ist zwar falsch. Führen soll er aber wohl zur Seite einer Vereinigung, die sich „Veteranen Pool“ nennt und sich nach eigenen Angaben aus „gedienten Soldaten der Bundeswehr sowie der ehemaligen NVA“ zusammensetzt, die „für das Recht und die Freiheit des Deutschen Volkes einstehen“.
Diese mutmaßlichen Veteranen haben die Grundschule seit mehreren Tagen „beschlagnahmt“, wie sie es nennen, und hier ein „Kommandozentrum“ errichtet. Geführt wird die Zentrale offenbar von einem Mann namens Maximilian E. Er war früher Oberstleutnant beim Kommando Spezialkräfte (KSK) und ist mittlerweile in Pension. Seine Uniform trägt er immer noch, auch wenn er das streng genommen nicht mehr darf, sagt er selbst.
Der Ex-Soldat ist in der Vergangenheit bei „Querdenken“-Demonstrationen aufgetreten. Jetzt organisiert er in Ahrweiler Hilfseinsätze und die Annahme und Ausgabe von Spenden. Eine Erlaubnis der Stadt, die Schule dafür zu nutzen, hat er nicht. Der „Veteranen Pool“ beruft sich auf die Ausnahmesituation. Das tut die Gruppierung seit Monaten. „Wir sind im Krieg“, verlautete ein Administrator der Berliner Telegram-Gruppe der Veteranen einmal. Der Verband der Reservisten der Deutschen Bundeswehr distanzierte sich deutlich von den Ansichten der Gruppierung. Sie richtete sich gegen alle Werte, „die wir gemeinsam vertreten“.
Am Mittwoch gegen 14 Uhr meldet sich ein weiteres Mitglied in einem von den „Veteranen“ im Hochwassergebiet erstellten Telegramchat zu Wort. In einer Sprachnachricht behauptet der Mann, der sich Axel nennt: „Die Polizei behindert die Querdenker.“ Hilfeleistungen würden blockiert, Frauen würden weinen, Polizisten hätten das Schulgebäude, das mühsam wieder freigeschaufelt worden sei, wieder verdreckt. Sie hätten „nichts Besseres zu tun, als die Maskenpflicht zu kontrollieren“. „Leute, beschützt die ‚Querdenker‘“, appelliert er an seine Kameraden.
Es ist ein Narrativ, das sich hartnäckig hält – auch in anderen Chatgruppen und Telegramkanälen mit Bezug zur Verschwörungsszene. Während Querdenker Hilfe leisteten, würden die offiziellen Stellen diese zu verhindern versuchen.
Mit der Realität vor Ort hat das wenig zu tun. Hier erlebt man ein Miteinander verschiedenster Organisationen und Menschen. Bundeswehrsoldaten, THW, Polizisten, Einheimische und Helfer aus dem Umland schaufeln zusammen Schlamm und Unrat aus den von der Flut beschädigten Häusern. Freiwillige verteilen Wasser und Nahrungsmittel. Nach den politischen Ansichten jedes Einzelnen fragt niemand.
„Dann könnte ein Bürgerkrieg enstehen“
Auch die Polizei Koblenz widerspricht gegenüber WELT den Behauptungen, die Beamten würden freiwillige Helfer in ihrer Arbeit behindern. „Wir können das nicht bestätigen. Wir raten lediglich davon ab, mit dem privaten Pkw in das Katastrophengebiet anzureisen“, sagt eine Sprecherin. Es sei immer wieder vorgekommen, dass Straßen zugeparkt worden seien, die für Rettungskräfte benötigt würden. Die Rettungs- und Sucheinsätze hätten Vorrang. Private Helfer sollten ihre Autos daher außerhalb abstellen.
Das Verhältnis zwischen der selbsternannten „Einsatzleitung“ vor Ort und der Polizei ist dennoch angespannt. Anfang der Woche macht in Kreisen des „Veteranen Pool“ die Nachricht die Runde, die Polizei plane eine Auflösung des „Kommandozentrums“ in der Grundschule. In der Telegram-Gruppe der Koordinatoren wird die Stimmung nun offen feindselig.
„Spinnen die jetzt komplett?“, fragt ein Nutzer, der sich „Wickinger Walhalla“ nennt, in die Runde. Auf einem seiner Profilbilder bei Telegram ist das von Rechtsextremisten benutzte Symbol der schwarzen Sonne zu sehen, dazu die Worte „Frontkämpfer Germania“. „Sollten die das versuchen, dann könnte ein Bürgerkrieg entstehen“, droht die Person.
Auch der Arzt und Corona-Leugner Bodo Schiffmann behauptet in einem Video, die Polizei sei mit einer „Hundertschaft“ an der Grundschule aufgetaucht, da dort Querdenker vor Ort seien. Die Polizei Koblenz dementiert dies. Konkrete Pläne zur Räumung der Schule gebe es nicht. „Aber wir haben die Situation natürlich genau im Auge.“
Bodo Schiffmann und das Geld
Schiffmann ist eine zentrale Figur der „Querdenken“-Szene. Auch zur Hochwasserkatastrophe in Ahrweiler meldet er sich immer wieder in Videos zu Wort. Schiffmann hat in der vergangenen Woche beim Bezahldienst Paypal einen sogenannten „Money Pool“ eröffnet, eine Spendensammlung für die Betroffenen. Der Link kursiert in zahlreichen Telegramgruppen und anderen sozialen Netzwerken.
Das Bundesinnenministerium erklärt auf WELT-Anfrage, die Behauptungen und die damit verbundenen Aufrufe seien bekannt. Diese zielten darauf ab, das Vertrauen in die staatlichen Maßnahmen und Strukturen zu beschädigen. Es werde dazu geraten, „sich ausschließlich an Spendenaktionen zu beteiligen, die von offiziellen Hilfsorganisationen organisiert werden“.
Denn was mit dem von Schiffmann gesammelten Geld tatsächlich passiert, ist völlig offen. „Jede Rechnung wird in unserem Kanal offengelegt und ihr werdet genau sehen, wer was bekommt“, behauptet Schiffmann. Passiert ist das bislang nicht. Auch konnte der Arzt bis zu diesem Zeitpunkt nicht schlüssig erklären, wie genau er die großen Summen verwendet.
Die anfängliche Behauptung, er zahle der Firma „Zintel Bau“ pro Tag 12.000 Euro, um Schutt von den Straßen zu beseitigen und diese wieder befahrbar zu machen, weist deren Geschäftsführer Marcus Zintel in einem Video zumindest zurück. Er bedanke sich für das Angebot, lehne es aber „dankend ab“. Zunächst habe er „umsonst“ gearbeitet, sagt Zintel. Am Sonntag habe er vom Landesbetrieb Mobilität einen Auftrag für Instandsetzungsarbeiten bekommen. Der Landesbetrieb bestätigt auf Anfrage, Zintel habe den Auftrag erhalten, die Befahrbarkeit von Teilen der B267 für den Katastrophenschutz wiederherzustellen.
Auch Versuche Schiffmanns, Dixiklos in die Region zu liefern, scheiterten zwischenzeitlich. In einem Video erklärte er, ein Anbieter habe sein Angebot zur Bereitstellung zurückgezogen, da er die Toiletten nur an offizielle Stellen liefere. Tatsächlich befinden sich vor Ort bereits jetzt Hunderte Dixiklos. Unter anderem zur Verfügung gestellt von der Herstellerfirma. TOI TOI & DIXI habe eine Task Force gegründet, „die in enger Abstimmung mit zentralen Koordinationsstellen wie Feuerwehr oder THW in den von der Flutkatastrophe betroffenen Orten steht“, heißt es auf der Unternehmensseite.
Menschen sind dankbar für jede Hilfe
Vor Ort bekommen die meisten Menschen von Schiffmanns Treiben nichts mit. Für sie geht es noch immer nur um eines: das Nötigste zu retten. Auf „Querdenken“ angesprochen, wiegeln Anwohner ab. „Die spielen nun wirklich keine Rolle“, sagt eine Frau. Den Namen Bodo Schiffmann habe sie noch nie gehört.
Ohnehin ist für die Menschen in Ahrweiler in diesen Tagen egal, wer hilft. Die Hauptsache ist, dass etwas passiert. Hunderte Freiwillige tun ihren Teil. Und so fällt es auch nicht weiter ins Gewicht, dass vor Ort auch die umstrittene islamische Ahmadiyya-Jugend aktiv ist und die rechtsextreme türkische Atib-Gemeinde kostenloses Essen, Fladenbrot, Fleisch und Reis an die Helfer verteilt.
Vor der Grundschule, der „Einsatzzentrale“ des „Veteranen Pool“, kommen am Mittwochnachmittag weitere Helfer an. Zwei junge Männer warten auf ihre Einweisung. Sie würden zu einer Art „Männerbund“ gehören, hätten über Telegram Kontakt zu den „Veteranen“ vor Ort aufgenommen, erzählen sie. Wie die Menschen hier mit anpackten, beeindrucke sie. „Und keiner trägt eine Maske“, sagt einer der beiden, ein Tischler, der sich extra eine Woche frei genommen habe, um zu helfen.
„Wir halten nicht viel von der Pandemie“, sagt er. Sein Freund korrigiert ihn: „,Plandemie‘, sagen wir. Denn das war alles von oben geplant.“
Auch der Deutschlandfunk stößt in das gleiche Anti-Querdenker-Horn. Wobei ich gerne mal wüsste, woran man die Querdenker so erkennt. Und weshalb Querdenker das THW beschimpfen sollten?
Das Technische Hilfswerk beklagt, dass seine Helferinnen und Helfer in den Hochwassergebieten mit Beleidigungen und Angriffen zu kämpfen haben. Dahinter stünden vor allem Menschen aus der sogenannten Querdenker-Szene.
THW-Vizepräsidentin Lackner sagte dem Sender RTL, es gehe so weit, dass Helferinnen und Helfer beschimpft würden. Wenn die Mitarbeiter mit Einsatzfahrzeugen unterwegs seien, würden sie mit Müll beworfen. Hinter den Übergriffen stünden Menschen aus der sogenannten Querdenker-Szene, die sich als Betroffene der Katastrophe ausgäben, aber auch einige frustrierte Flutopfer. Es seien noch keine Einsätze wegen der Vorfälle abgebrochen worden, doch die Situation sei für die ehrenamtlichen Helfer psychisch belastend, erklärte Lackner.
Die Einsatzkräfte seien bei ihrer Arbeit teils auch gefilmt worden – von Personen, die sich nicht als Pressevertreter erkenntlich gemacht hätten. Das THW habe zum Schutz veranlasst, dass die Kollegen ihr Namensschild von der Kleidung abnehmen durften.
In den vergangenen Tagen hatte es immer wieder Berichte über Aktivitäten von Querdenkern in den Hochwassergebieten gegeben. [Pfahler geht medial viral] In Ahrweiler wurde ein sogenanntes Familienzentrum vom Jugendamt geschlossen.
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