Etwa 800 Aktivistinnen und Aktivisten haben am Freitag die Bahnstrecke vor dem Kohlekraftwerk Neurath im rheinischen Braunkohlerevier blockiert. Sie durchbrachen eine Polizeikette und besetzten sieben Gleise, wie eine Sprecherin der Polizei Aachen sagte. Die Lage sei „ruhig und stabil“. Hunderte verbrachten auch die Nacht zum Samstag auf den Gleisen .[…]
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…. die Einsicht zu verdanken, die mich zu dem krassen Titel
Das Ende des Rechtsstaats
bewegt hat:
Sie galt als wichtige Zeugin. Die Aussage der Kriminalhauptmeisterin bestätigt zwar genau das, was der Kronzeuge der Anklage, ein Koch, im sogenannten Chemnitz-Prozess in den Vernehmungen bei der Polizei ausgesagt haben soll. Doch ob man dem Gesagten wirklich Glauben schenken kann, blieb danach weiter offen.
Dabei beruht der gesamte Prozess gegen den knapp 24 Jahre alten Syrer Alaa S., der sich seit dem 18. März vor der 1. Strafkammer des Landgerichts Chemnitz unter anderem wegen gemeinschaftlichen Totschlags verantworten muss, einzig auf der Aussage des Kochs. Weitere Beweise, die S. als (Mit-)Täter überführen könnten, gibt es nicht.
Zur Tatzeit arbeitete der Koch im Döner-Lokal „Alanya“, 20 bis 50 Meter von dem Ort entfernt, wo er im Nachgang zum Chemnitzer Stadtfest in den frühen Morgenstunden des 26. August den Angeklagten beobachtet haben will, wie der auf den kurz danach verstorbenen 34 Jahre alten Daniel H. einstach. Oder nur einschlug? Das arabische Wort, das der Kronzeuge benutzte, kann beides bedeuten. Der Dolmetscher entschied sich offenbar fürs Stechen.
Seit Wochen bemüht sich das Gericht herauszufinden, ob Alaa S. tatsächlich der Täter ist, und kommt dabei kaum voran. Weit mehr verdächtig als Alaa S. ist ein Iraker namens Farhad Ramazan A., den mehrere Zeugen übereinstimmend als jenen „kleinen Mann“ beschreiben, der zunächst in eine Auseinandersetzung mit dem späteren Opfer verwickelt gewesen sei, die dann zu einer Schlägerei ausartete. A. gehörte auch jenes Messer, das zwischen Verkaufsständen des Stadtfestes gefunden wurde, und an dem sich Spuren – nicht vom Angeklagten Alaa S., sondern von A. – befanden.
Was man bisher über Daniel H. nicht wussteA. allerdings ist flüchtig. Ein dritter Ausländer, mit Vornamen Yousif, der zunächst ebenfalls tatverdächtig erschien und deswegen bis 18. September in Untersuchungshaft saß, musste wieder freigelassen werden, da sich keine Anhaltspunkte für seine Tatbeteiligung fanden. Die Staatsanwaltschaft konnte also nur Alaa S. präsentieren, den zumindest der Koch gesehen haben will. Doch ob S. tatsächlich Daniel H. niedergestochen hat? Es erscheint noch immer so fraglich wie zu Beginn des Prozesses.
Die Aussage des Kronzeugen ist wenig belastbar
Der Koch redet nämlich heute so und morgen anders. Erst behauptete er gegenüber der Kriminalbeamtin, gesehen zu haben, wie Alaa S. mit stichähnlichen Bewegungen auf das Opfer eingewirkt habe. Er habe das beobachtet, weil es draußen Geschrei gegeben und er daraufhin aus dem Verkaufsfenster des „Alanya“ geschaut habe. Er habe als „Haupttäter“ einen kleinen und einen großen Ausländer gesehen. Der Große habe die Stichbewegungen ausgeführt. Ein Messer allerdings habe er nicht gesehen.
Dann änderte er diese Aussage. Nicht von Stichbewegungen habe er gesprochen, korrigierte er, sondern von Schlägen. Von Faustschlägen. Es sei falsch protokolliert worden. Der Dolmetscher habe falsch übersetzt. Vor dem habe er Angst.
Das Gericht lädt den Dolmetscher vor. Der beteuert die Richtigkeit seiner Übersetzung. Der Koch wird erneut geladen. Er erscheint mit drei Personenschützern plus Anwalt und Dolmetscher und soll wiederholen, was er bei der Kriminalbeamtin sagte. Er schweigt. Warum? Weil er Angst habe. Vor wem? Er sei bedroht worden. Von wem? „Viele Leute haben mich bedroht“, sagt er. Namen? Die kenne er nicht.
„Es gab Leute, die habe ich zum ersten Mal gesehen. Leute, die den Angeklagten kennen.“
„Woher rührt die Angst?“, fragt Verteidigerin Ricarda Lang.
„Ich habe keine Anhaltspunkte“, übersetzt der Dolmetscher.
„Haben Sie außer mit der Polizei mit anderen Leuten gesprochen, was Sie gesehen haben?“, fragt die Verteidigerin weiter. Nein, er habe mit niemandem gesprochen. Allerdings hatte sein Chef, der Lokalbesitzer, die Polizei informiert, dass sein Koch Beobachtungen gemacht habe.
„Ich rede mit den Leuten doch nicht“, entrüstet sich der Koch vor Gericht. „Die reden Türkisch, Arabisch, Afghanisch. Ich verstehe die Leute nicht.“
Und mit dem Chef? „Ich kann nicht Deutsch. Ich verstehe ihn nicht und er mich nicht.“
„Haben Sie Ihrem Chef gesagt, welche Personen Sie gesehen haben?“, fragt die Verteidigerin weiter. – „Nein.“
„Stimmt also nicht, was Ihr Chef hier sagte?“ – „Nein.“
Die Polizei bot dem Koch seinerzeit Zeugenschutz an. Er wollte aber lieber in seinem Umfeld bleiben, er brauche keinen Zeugenschutz. Verteidigerin Lang, misstrauisch geworden, fragt, ob er Angst habe, sich wegen einer Falschaussage strafbar zu machen? Er schweigt. „Sind Sie bereit, vor Ort an einer Nachstellung mitzuwirken?“ – „Nein.“
Andere Zeugen haben plötzlich Erinnerungslücken
Beim Ermittlungsrichter hatte der Koch die „stichähnlichen“ Bewegungen noch vorgemacht, es gibt eine Videoaufnahme davon. Die Verteidigerin fordert ihn auf, diese Bewegungen vor Gericht zu wiederholen. Er weigert sich. Warum? „Einfach so“, antwortet er.
Andere Zeugen vom Tatort wollen oder können sich nicht erinnern: Weil sie zum Teil stark alkoholisiert waren, weil es in dem Durcheinander chaotisch zugegangen sei, weil alles so schnell ablief in dem „Knäuel“, weil es zu dunkel war, weil man nichts Falsches sagen wolle. „Fünf Zeugen verorten den Angeklagten mehr oder weniger am Tatort“, resümiert der Leiter der Mordkommission die Beweislage. Mehr oder weniger? In der Woche nach der Tat hätten sich die Ereignisse überschlagen, eine geordnete Arbeit sei nicht möglich gewesen. Und dann sagt er einen aufschlussreichen Satz: „Wir mussten schnell Ergebnisse liefern.“
Viele Zeugenaussagen passen nicht zueinander. Wo passierte die Tat? Wann und wie lief sie ab? Wo befand sich Alaa S.?
Dass er in jener Nacht in dem Döner-Imbiss etwas zu Essen bestellte, ist unstrittig. Ebenso, dass er mit anderen Ausländern nach draußen ging, als dort Unruhe entstand. Aber dann? Konnte der Koch überhaupt etwas sehen? War das Fenster, aus dem er hinausgeschaut haben will, nicht vollgestellt mit Geschirr und Fladenbrot? Noch nicht einmal jener Mann, der selbst einen Messerstich abbekommen hatte – von wem? –, kann genaue Angaben machen. „Der Daniel wurde von einer Person angegriffen“, lässt er den Dolmetscher sagen. Doch gesehen habe er den Angriff nicht. „Daniel war schon am Boden, als der mit dem Messer zustach“, erklärt er. Wer war „der“? Andere Zeugen vom Tatort wollen gesehen haben, wie das stehende Opfer am Nacken gepackt und von vorn und von hinten attackiert wurde. Von wem? Der Zeuge will Alaa S. auf einem Foto erkannt haben als einen, der bei der Schlägerei „dabei gewesen“ sei. Aber sicher sei er sich nicht, schränkt er ein.
Wurden zu Beginn des Chemnitz-Prozesses bereits Zweifel laut, ob dieses Strafverfahren jene Genugtuung bringen werde, auf die die Angehörigen des Getöteten hoffen, und ob es die aufgebrachten Bewohner von Chemnitz befriedet, die einen Schuldigen hinter Schloss und Riegel wissen wollen, so hat sich daran nichts geändert. Ein irakischer Kurde bringt es auf den Punkt, es klingt wie das Motto dieses Prozesses: „Ganz genau bin ich nicht sicher.“ Verteidigerin Lang tut zusammen mit ihrem Kollegen Frank Wilhelm Drücke ein Übriges und weist immer wieder auf die Mängel der Anklage, die Fehlerhaftigkeit der Ermittlungen und vor allem auf die Unzuverlässigkeit mancher Dolmetscher hin.
Die Polizistin und der Dolmetscher
Nicht nur im Chemnitz-Prozess wird selten simultan gedolmetscht. Die Qualifikation der zahlreichen Dolmetscher, die seit 2015 von der Polizei und den Gerichten benötigt werden – kaum je wird sie infrage gestellt. Der Bedarf ist riesig. Selbst Personen mit deutscher Staatsbürgerschaft erscheinen häufig mit Dolmetscher vor Gericht.
Dabei sind die erheblichen Unterschiede in deren Leistungen gar nicht zu überhören. Was verhandeln die fremdsprachigen Zeugen mit den Übersetzern, wenn sie murmelnd die Köpfe zusammenstecken?
Oft entspinnt sich nach einer Frage des Gerichts zwischen beiden eine längere Diskussion, die niemand im Saal versteht, ehe ein knappes „Ja“ oder „Nein“ übermittelt wird. Hat der Dolmetscher nur die Frage erklärt oder den Zeugen auch beraten, was er am besten antworten soll? Die Richter fragen längst nicht mehr nach.
Anders Verteidigerin Lang: „Haben Sie gefragt, ob der Dolmetscher wörtlich übersetzt?“, will sie von der Kriminalbeamtin wissen, die den Kronzeugen vernommen hat. „Nein. Aber ich gehe davon aus.“
„Haben Sie den Dolmetscher gefragt, ob der Koch zwischen Selbst-Gesehenem, Vermutungen, Schlussfolgerungen und Gehörtem unterscheidet?“ – Nein, das sei kein Thema gewesen. So geht es in einem fort. Am Ende der Aussage der Kripobeamtin stehen nur noch Fragezeichen.
Nun will das Gericht den Tatort besichtigen und die Sichtverhältnisse überprüfen – am 13. Juni nachts um 0.30 Uhr im „Alanya“. Aber ob das diesen Prozess erhellen wird, bleibt fraglich.
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Neuregelungen bei der Abschiebungshaft
Mit dem Geordnete-Rückkehr-Gesetz werden unter anderem die Voraussetzungen der Abschiebungshaft geändert. So sollen die Voraussetzungen für Sicherungshaft abgesenkt werden, um ein Untertauchen zu verhindern. Ferner wird die sogenannte Vorbereitungshaft auf Gefährder ausgeweitet. Neu eingeführt wird zudem eine „Mitwirkungshaft“. Sie soll eine Vorführung aus der Haft ermöglichen, wenn der Ausländer bestimmten Anordnungen zur Mitwirkung bei der Identitätsklärung keine Folge leistet. Darüber hinaus enthält der Gesetzentwurf eine Klarstellung im Rahmen des Ausreisegewahrsams, dass das Kriterium Fluchtgefahr nicht vorliegen muss.
Zusätzlich zu den bisherigen knapp 500 speziellen Abschiebungshaftplätzen sollen zudem durch ein vorübergehendes Aussetzen des Trennungsgebots von Abschiebungs- und Strafgefangenen bis zu 500 weitere Plätze in Justizvollzugsanstalten für den Vollzug der Abschiebungshaft genutzt werden können. Des Weiteren soll einem Ausländer nach Ablauf der Frist zur freiwilligen Ausreise der Termin einer geplanten Abschiebung nicht angekündigt werden dürfen, um ein Untertauchen des Betreffenden zu verhindern. Informationen zum konkreten Ablauf einer Abschiebung werden strafrechtlich als Geheimnis eingestuft. Machen Amtsträger oder „besonders verpflichtete Personen“ dem Abzuschiebenden oder Dritten solche Informationen zugänglich, können sie sich demnach strafbar machen und andere Personen wegen Anstiftung oder Beihilfe belangt werden.
Einführung einer neuen Duldungskategorie
Eingeführt werden soll auch eine neue Duldungskategorie „für Personen mit ungeklärter Identität“. Sie soll Ausreisepflichtigen erteilt werden, deren Abschiebung aus von ihnen zu verantwortenden Gründen nicht vollzogen werden kann, etwa weil sie ihrer Passbeschaffungspflicht nicht nachkommen oder über ihre Identität oder Staatsangehörigkeit täuschen. Die Betreffenden sollen den Angaben zufolge keine Erwerbstätigkeit aufnehmen dürfen; auch soll eine Wohnsitzauflage ausgesprochen werden können.
Außerdem kann künftig die Verletzung von Mitwirkungspflichten während des Asylverfahrens in größerem Umfang als bisher zu Leistungseinschränkungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz führen. Asylbewerber, bei denen feststeht, dass Deutschland nicht für die Prüfung des Asylantrags zuständig ist, und deren Überstellung durchgeführt werden kann, sollen nur noch Anspruch auf eingeschränkte Leistungen haben. „Vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer, denen bereits in einem anderen EU-Mitgliedstaat internationaler Schutz zuerkannt wurde, der fortbesteht, haben nur noch Anspruch auf Überbrückungsleistungen“, heißt es in der Vorlage weiter.
Zu den vom Innenausschuss hinzugefügten Ergänzungen zählt unter anderem, dass zur Ergreifung eines abzuschiebenden Ausländers dessen Wohnung von der zuständigen Behörde betreten werden kann. Auch soll ein ausreisepflichtiger Ausländer in Ausreisegewahrsam genommen werden können, wenn er die Frist zur Ausreise um mehr als 30 Tage überschritten hat. Ferner vorgesehen ist unter anderem, dass erwachsene Asylbewerber ohne Kinder bis zu eineinhalb Jahren statt wie bisher bis zu sechs Monaten in Erstaufnahmeeinrichtungen wohnen sollen.
… ein Kreuzfahrtschiff blockiert und stundenlang an der Abfahrt gehindert. Die Aktivisten näherten sich am Sonntag mit Booten der am Ostseekai festgemachten „Zuiderdam“, wie die Polizei mitteilte. Einige der Aktivisten kletterten auf den Bug und die Festmacherleinen des Schiffes. Andere erklommen einen Baustellenkran, der sich auf dem Gelände des Kais befand.
Die Gruppe „Smash Cruiseshit“ erklärte, sie wolle mit der Aktion den Schadstoffausstoß des Kreuzfahrtschiffes unterbrechen und auf die Arbeitsbedingungen an Bord aufmerksam machen. „Teilweise nur 2 Euro Stundenlohn und 72 Stunden Arbeit. Diese Ausbeutung muss aufhören!“, schrieben die Aktivisten auf Twitter, und: „Kreuzfahrtschiffe tragen zur Erhitzung des Planeten bei – durch Rußpartikel, die sich auf Eisbergen in der Arktis absetzen, schmilzt das Eis dort noch schneller.“
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Fast wünsche ich mir, dass die Erde in 3 bis 5 Jahren implodiert. Dann wäre endlich Ruhe im Karton.
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Spaß beiseite:
Wenn in Zukunft jeder Mann und jede Frau aus berechtigten oder unberechtigten Gründen machen kann, was sie wollen, wenn die rechtsstaatlichen Mechanismen umgangen, missachtet werden, dann implodiert zumindest unser Rechtsstaat!
… hat in Deutschland meist einen religiösen Hintergrund. Das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in Deutschen Bundestag hervor.
Die Abgeordneten hatten gefragt, wie viele nicht-vollstreckte Haftbefehle jeweils den einzelnen Phänomenbereichen der PMK zuzuordnen sind. Nach Angaben der Bundesregierung waren bis zum Stichtag 28. März 2019 im Polizeilichen Informationssystem (Inpol-Z) sowie im Schengener Informationssystem (SIS II) insgesamt 5.980 offene Haftbefehle zu Personen mit politisch motiviertem Hintergrund ausgeschrieben. Davon entfielen 657 auf die politisch rechts motivierte Kriminalität und 141 auf die politisch links motivierte Kriminalität. Den bei weitem größten Anteil machte der Phänomenbereich „politisch motivierte Kriminalität – religiöse Ideologie“ mit 4.503 offenen Haftbefehlen aus. 225 Haftbefehle konnten dem Phänomenbereich „politisch motivierte Kriminalität – ausländische Ideologie“ zugeordnet werden. 19 Haftbefehle entfielen nach Angaben der Bundesregierung auf „Spionage/Proliferation/Landesverrat“, weitere 435 Haftbefehle auf den Phänomenbereich „politisch motivierte Kriminalität – nicht zuzuordnen“.
Die Bundesregierung weist in ihrer Antwort darauf hin, dass es sich bei dem dem jeweiligen Haftbefehl zugrunde liegenden Delikt nicht zwingend um eine politisch motivierte Straftat handeln muss. Die Zuordnung der jeweiligen Person zu einem (Phänomen-)Bereich der PMK erfolge durch die datenbesitzende Stelle unter Berücksichtigung der dort vorliegenden Erkenntnisse.
… Deutschlands kommt nicht allein ins Erfurter Steigerwaldstadion. Bevor Thilo Sarrazin den Parksaal betritt, in dem etwa 550 Menschen auf ihn warten, haben sich mehrere Personenschützer im fußballfeldgroßen Raum postiert. Sarrazin hat in den vergangenen neun Jahren über zwei Millionen Bücher verkauft, aber für seine Bekanntheit, seinen Erfolg, seine Lust am peniblen Widerspruch zahlt er einen hohen Preis. Er wird bedroht, offen, anonym, frei bewegen kann er sich nicht mehr.
Fast drei Dutzend Lesungen hat Sarrazin in diesem Jahr schon hinter sich gebracht, in denen er sein im vergangenen Jahr erschienenes Buch „Feindliche Übernahme. Wie der Islam den Fortschritt behindert und die Gesellschaft bedroht“ präsentiert. Doch die Lesung in der thüringischen Landeshauptstadt am Mittwochabend fällt aus dem üblichen Rahmen. Denn Sarrazin, gegen den inzwischen das dritte Parteiausschlussverfahren in der SPD läuft, ist von einem Sozialdemokraten eingeladen worden.
Es sei „einiges unternommen worden, um diese Veranstaltung zu verhindern“, eröffnet der Gastgeber den Abend um Punkt 19 Uhr. Als Ende März bekannt wurde, dass der sozialdemokratische Stadtrat und Landtagsabgeordnete Oskar Helmerich ausgerechnet den SPD-Außenseiter Sarrazin zu einer Wahlkampfveranstaltung einladen würde, ging die Thüringer Parteiführung sofort auf Distanz. Trotz großen Drucks sagte Helmerich den Termin nicht ab. „Ideologischer Bevormundung muss man die Stirn bieten!“, ruft er in den Saal und erntet Applaus. Dann ruft jemand: „Verräter!“
Bevor Helmerich vor drei Jahren in die SPD eintrat, war er ein führendes Mitglied der Thüringer AfD. Er verließ die Partei, weil er den rechtsradikalen Kurs von Björn Höcke nicht länger mittragen wollte. Mit der AfD verbindet ihn seitdem eine innige Feindschaft, wie auch der Zwischenruf zeigt. In der SPD halten ihn dagegen manche für ein „U-Boot der AfD“ und fordern, er möge die Partei verlassen. Helmerich, der Gastgeber, sitzt politisch zwischen allen Stühlen. Aber heute Abend geht es nicht um ihn. Die Bühne gehört Sarrazin. Seinetwegen haben die Gäste 24 Euro Eintritt bezahlt, jetzt muss er auch liefern.
Und das tut er. Sarrazin beklagt gleich in seinem Eingangsreferat, dass die Politik in Deutschland inzwischen nur noch „verdrängt, was man nicht sehen will“. Kaum ein Kritiker hätte sein Buch wirklich gelesen, im öffentlich-rechtlichen Rundfunk käme er, Sarrazin, gar nicht mehr vor. Noch nie sei „eine einzige Aussage von mir rechtlich angegriffen worden“ sagt er weiter, um dann zum eigentlichen Thema des Abends zu kommen: dem Islam.
Er habe den Koran gelesen und vor allem Düsternis gefunden: Intoleranz und Gewalt. Der Islam behindere „Wissbegier und Emanzipation, Meinungsfreiheit und Demokratie“; die Verneinung des Individuellen im Islam und die Moderne seien schlicht „nicht kompatibel“. Die hohen Geburtenraten von muslimischen Frauen seien voller „demografischer Sprengkraft“, diese Religion habe bisher keinen Beitrag zu Wissenschaft und Technik geleistet. So geht das etwa 20 Minuten, am Ende von Sarrazins Vortrag bleibt vom Islam und der muslimischen Welt, in der immerhin 1,57 Milliarden Menschen leben, im Grunde nur ein Häufchen Asche übrig. „Ich kann mich ja irren“, sagt Sarrazin, „dann soll man mir halt widersprechen.“
Für diesen Widerspruch sind zwei Mitglieder der Erfurter Ahmadiyya-Gemeinde in den Parksaal gekommen, die Publizistin Maryam Hübsch und der Gemeindesprecher Suleman Malik. Man kennt diesen Schlagabtausch: Sie werfen Sarrazin vor, nur bestimmte Suren aus dem Koran zu zitieren, und betonen gleichzeitig Friedfertigkeit und den festen Willen zur Reform.
Sarrazin kontert, dass die Anhänger der in Britisch-Indien gegründeten Ahmadiyya-Bewegung ja selbst in islamischen Ländern verfolgt würden. Muslime, die sich gegen die politische Brutalisierung des Islam stemmen und ihren gesetzeskonformen Weg in säkularen Gesellschaften gehen wollen, sind für ihn eigentlich eine statistische Anomalie. Der Trend sieht anders aus, sagt er, wenn der Islam an die Macht komme, werde er zur Ideologie.
Im Grunde könnte das eine interessante Debatte werden, denn auch Sarrazin räumt ein, dass es „drei blutige Jahrhunderte“ gedauert habe, bis sich Europa von der Herrschaftsideologie des Christentums befreien oder die angestammte Religion im Abendland doch zumindest in Schach gehalten werden konnte. Aber nicht wenige im Publikum scheint dieser christliche Rückblick in die islamische Gegenwart zu überfordern.
Am Ende zeigt sich die tiefe Kluft
Wenn Hübsch oder Malik das Wort ergreifen, setzt im Parksaal sofort ein Murmelchor ein, der anschwillt, bis gebrüllt wird. „Geh doch in dein Land!“, ruft ein Erfurter Hübsch zu. Sie trägt Kopftuch, aber sie ist die Tochter eines Deutschen, wurde in Frankfurt geboren. Sie ist nicht willkommen im Steigerwaldstadion, sie wird geduldet. Sarrazin ermahnt das Publikum, die Beiträge seiner Kontrahenten „jetzt einfach mal auszuhalten“. Es klingt gönnerhaft.
Auch Wolfgang Tiefensee, der Chef der Thüringer SPD, ist im Saal. Aufs Podium will er nicht. In einer zehnminütigen Rede betont er, was alle längst wissen: Das hier sei keine Veranstaltung der SPD. Sarrazin sei ein „sehr intelligenter Mann“ (Beifall), aber man müsse doch darüber nachdenken, „was aus seinen Thesen folgt, wo das hinführt“ (Buh-Rufe).
Andere gehen ohne Buch nach Hause. Am Ausgang hat die Ahmadiyya-Gemeinde einen Info-Stand aufgebaut, junge Muslime verteilen „Fakten und Argumente“ zum Thema Islam, „eine Antwort auf die Vorwürfe der AfD“. Suleman Malik sagt, es seien auch Antworten auf Sarrazin. Manche Besucher packen die Broschüre ein, sie kostet nichts. Andere werden wütend: „Ihr verseucht mit euren Moscheen unser ganzes Land“, brüllt ein älterer Herr einen jungen Muslim an, der die Heftchen verteilt. „Sie sind ja radikal!“, gibt der zurück. Der Mann baut sich drohend auf, ein Freund zerrt ihn aus dem Stadion, „bringt doch nix!“. Beim Rausgehen ruft der Deutsche dem Muslim noch zu: „Man sieht sich im Leben immer zwei Mal!“
Es klingt nicht wie die Verabredung zum Dialog. Oskar Helmerich glaubt, es wäre eine erfolgreiche Veranstaltung gewesen.
[…] Nahles beschwört die großen Zeiten der Sozialdemokratie in Bremen herauf: „Als ich vor 30 Jahren in meinem Dorf in der Eifel in einem tief schwarzen Eck – könnt ihr Euch nicht vorstellen – einen SPD-Ortsverein gegründet habe, da habe ich oben in den Norden geguckt und da stehen diese beiden Worte ‚freie Hansestadt‘ – für mich immer damals schon auch und ich hab mich an Euch auch immer orientiert, für Weltoffenheit, für guten sozialen Zusammenhalt und dafür, dass es hier bei Euch in Bremen keine Rolle spielt – anders als das bei mir damals war – woher man kommt.“[…]
Bremen: Fest in Clan-Hand. Da wacht sogar der SPD-Stammwähler auf!