[…] Es war ein grauenhafter Anblick:
MehrIn den vergangenen Monaten bargen libysche Behörden und internationale Hilfsorganisationen in Tarhuna, südöstlich von Libyens Hauptstadt Tripolis, Hunderte Leichen aus Massengräbern. Anwohner berichteten, die Opfer seien gefoltert, angezündet oder lebendig begraben worden – darunter auch Kinder. Verantwortlich für diese Kriegsverbrechen ist offenbar die Kanijat-Miliz, eine marodierende Terrorgruppe, die an der Seite von General Chalifa Haftar kämpfte.
Die Bergung der teilweise verkohlten Leichen ist nur ein weiteres trauriges Kapitel in der Geschichte Libyens, die seit dem Sturz des langjährigen Machthabers Muammar al-Gaddafi im Jahr 2011 von brutalen Konflikten und Machtkämpfen geprägt ist. Zigtausende Menschen starben, Städte und Dörfer wurden zerstört, Millionen Menschen haben ihr Zuhause verloren. Vor dem Ausbruch der Corona-Krise führte das Chaos des Bürgerkrieges zu einer weitgehend unkontrollierten Fluchtbewegung aus Libyen in Richtung Europa. Eine Bewegung, die sich nach Abklingen der Corona-Pandemie jederzeit wiederholen kann. Denn der Migrationsdruck ist groß: Das Mittelmeerland gehört zu den wichtigsten Transitstaaten für Millionen Migranten aus Afrika.
Seit Monaten beraten die EU-Außenminister bei ihren Treffen regelmäßig über Libyen. So auch heute. Für die Europäische Union (EU) hat Libyen höchste Priorität, aus gleich mehreren Gründen. Der wichtigste lautet: Die EU will unbedingt verhindern, dass regionale Akteure wie Russland, die Türkei, die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) und Ägypten ein ölreiches Land mit Meereszugang, das direkt vor der europäischen Haustür liegt, endgültig unter sich aufteilen. Das würde die Sicherheitsinteressen Europas verletzen.
Hinzu kommt, dass die Führer dieser autoritären Staaten dann auch künftig die Migrationsströme von Libyen in Richtung Italien und Malta kontrollieren könnten. Die Lage ist aus Sicht der EU schon heute schlimm genug: Insbesondere der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan kann nach Belieben nicht nur die Schleusen für Migranten aus der Türkei nach Europa öffnen, sondern auch die illegale Migration aus Libyen in Richtung Norden steuern. Erdogan hatte zuletzt die von den Vereinten Nationen (UN) und der EU anerkannte libysche Einheitsregierung unter Ministerpräsident Fajis al-Sarradsch durch sein militärisches Eingreifen gegen die Truppen von Haftar gerettet. Dafür wird sein Einfluss in dem Land nun immer größer.
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