Nach den Plagiatsvorwürfen …
Mehr… zu dem kürzlich erschienenen Buch Annalena Baerbocks hat das Wahlkampf-Team von Bündnis 90/Die Grünen seine kommunikative Strategie zurückgeschraubt. Ihr Parteivorsitzender Robert Habeck erklärt, dass man in der Politik einen öffentlichen Bereich betritt, in dem man gut und positiv erscheinen möchte. Dies berge aber auch die Gefahr einer Verführbarkeit „auf dicke Hose zu machen“ mit sich. Dadurch könne das Erscheinen einer Person, zu der dieses neu erstellte Bild nicht passt, verzerrt und das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger erschüttert werden. Denn auch für seine Partei ist mit das wichtigste Gut in diesem Wahlkampf das Vertrauen als Leitwährung, da eine Stimme der Wählerschaft die Übergabe von Verantwortung, Macht und Aufgaben an Personen ist, wofür die Wählerinnen und Wähler keine Zeit haben. Auf die Frage, ob nach den vermeintlichen Fehlern von Annalena Baerbock er sich vorstellen kön-ne, als neuer Kandidat für die Grünen anzutreten, verneint er dieses. Baerbock habe sich für dieses Amt aufgestellt und nominieren lassen, weshalb es jetzt auch ihre Pflicht sei diese Verantwortung zu übernehmen und diesen Wahlkampf erfolgreich zu führen. Die FAZ-Redaktuerin Helene Bubrowski sieht die Verantwortung Baerbocks wie Herr Habeck. Bei dem Punkt, wenn man eine politische Person aufbaut, belebt und mit Geschichten versieht, kann dieses Bild schnell bröckeln, sobald Ungereimtheiten auftreten. Bezogen auf Annalena Baerbock sei es das „Streber-Image“, welches sie bis jetzt stark geprägt hat. Sie arbeite sehr akribisch, gewissenhaft und detailverliebt. Doch durch die aktuellen Ereignisse entstehe ein Misstrauen, wodurch immer mehr auf alles geschaut werde, was sie jetzt angeht und ihre einzigen Eigenschaften schwinden, die sie für das Volk als Kanzlerin im Kontrast zu ihren Mit-bewerbern qualifiziere.
Den gesamten Talk findet ihr hier: https://kurz.zdf.de/snyIp/
Die NZZ meint:
Nicht nur bei Firmenübernahmen und im Mythos kann ein weisser Ritter die Geschicke wenden. Auch die Politik hat ihre Lohengrin-Momente. Verwickelt sich jemand in Widersprüche und will niemand ihm glauben, betritt manchmal ein strahlender Held in heller Rüstung die Szenerie. Er stellt den angegriffenen Ruf des oder der Bedrängten wieder her, weil sein eigener untadelig ist. Annalena Baerbock erlebte nun ihren persönlichen Lohengrin-Moment. Robert Habeck zog in einer Talkshow für sie in die Schlacht. So überzeugend machte Habeck seine Sache, dass am Ende klar war: Baerbock bleibt die falsche Kandidatin.
In aktuellen Umfragen zur Bundestagswahl im September rangieren Bündnis 90 / Die Grünen zwischen 17 und 19 Prozent. Sie steuern, nimmt man das Ergebnis von 2017 zum Massstab, auf einen Triumph zu. Die Verdoppelung der damals errungenen 8,9 Prozent scheint möglich. Andererseits lagen die demoskopischen Höhen bei 28 Prozent. Der Absturz ist fast ausschliesslich dem öffentlichen Wirken der Kanzlerkandidatin Baerbock zuzuschreiben. Ihr Lebenslauf stellte sich als permanenter «work in progress» heraus, bei Auftritten offenbarte sie Wissenslücken und Formulierungsschwierigkeiten, ihr Sachbuch «Jetzt» ist ein Potpourri unausgewiesener Fremdzitate. Wie kann eine solch verfahrene Lage gedreht werden?
Habecks Konzept war ohne Alternative
Der Co-Vorsitzende Habeck wäre selbst gerne Kanzlerkandidat geworden. Als ehemaliger Umweltminister von Schleswig-Holstein ist er ein Politprofi. Er weiss, dass die derzeitige Lage zu heikel ist, um sich in Schönrednerei zu ergehen. Auch an den Beschimpfungsfestspielen, mit denen führende grüne Politiker die Kritiker abkanzelten, mag er sich nicht beteiligen. Diese Strategie, so Habeck in der ZDF-Talkshow «Markus Lanz», sei unangemessen gewesen. Man dürfe «den Menschen keinen Scheiss erzählen». Retten kann einzig Selbstkritik, Zerknirschung ohne Unterwerfung. In dieser Disziplin brillierte er.
Das einzig sinnvolle, erwachsene Konzept zur Krisenbewältigung richtete sich dann in der Wirkung jedoch gegen die abwesende Kandidatin – obwohl die Strategie, wie gesagt, ohne Alternative war. Laut Habeck beherrscht Baerbock ihr Handwerk nicht, weil sie eine Anfängerin ist. Das Verdikt war zunächst nur auf die Talente der debütierenden Sachbuchautorin bezogen und klang an der Oberfläche verständnisvoll: «Bücher zu schreiben, ist Handwerk. Man lernt es. Manchmal gehen die ersten Bücher schief.»
Im Falle von Baerbocks Erstlingswerk «Jetzt» sei «das Handwerk nicht sauber genug beherrscht worden». Aber von wem? Von der Debütantin, von Baerbock, denn, so Habeck, «man schreibt in der Regel allein. Alle schreiben allein.» Baerbock hatte in einem Interview behauptet, niemand schreibe ein Buch allein.
Die Frau, die ihr Handwerk nicht beherrscht
Die Weiterungen dieses Urteils, das ein Urteil des routinierten Autors zahlreicher Sach- und Jugendbücher über eine Buchnovizin ist, liegen auf der Hand – und dürften Habeck bewusst sein. Was nämlich bleibt, wenn man von einer künstlerischen oder politischen Leistung das Handwerk abzieht? Zwei Dinge: Ehrgeiz und Leidenschaft. Habeck benannte sie klar. Auch Baerbock kenne «die Verführbarkeit, bisschen dicke Hose zu machen». Und sie sei «eine Frau, die von Leidenschaft für ihre Themen, für die Themen, durchdrungen ist und bereit ist, wie man ja sieht, hohe Risiken einzugehen». Von Kompetenz war während des langen Gesprächs nicht die Rede. Von Seriosität auch nicht.
Der weisse Ritter eilt einer strauchelnden Kollegin zu Hilfe und verstärkt mit seinem gewinnenden Einsatz ihr Trudeln. Baerbock ist in Habecks Deutung die Frau, die mangels Erfahrung ihr Handwerk nicht beherrscht. Was vom literarischen Handwerk gilt, setzt sich durch die Breite der Darlegung zum Urteil über fehlende politische Handwerkskünste fort.
Insofern wäre der geeignete Auftrittsort für Baerbock die Liebhaberbühne, wo es mehr auf Leidenschaft denn auf Kompetenz ankommt, und nicht die Weltpolitik. Vor diesem Fluchtpunkt seiner Deutungen verblasst Habecks Bekenntnis, die Grünen wollten in der bestehenden «Aufstellung» in die Wahlen ziehen. Faktisch ist Baerbock seit diesem Auftritt keine ernsthafte Kanzlerkandidatin mehr.