Mathematikstudent Patrick Schönherr zeigt, …
… wie Inzidenzwerte fehlerhaft ermittelt werden:
Der FOCUS berichtet wie einige andere Medien ausführlich. Das Magazin lässt Viola Priesemann kritisch zu Wort kommen:
Mehr[…] So nahm etwa Physikerin Viola Priesemann vom Max-Plank-Institut auf Twitter Stellung dazu.
Laut ihr greift das Video „ein wichtiges Thema“ auf. Vermehrtes Testen werde „kurzfristig bestraft‘“, da man dann mehr Infektionsketten entdecke. Langfristig lohne es sich aber, gibt die Physikerin zu bedenken. „Denn es stoppt die Ketten.“
Allerdings kontert Priesemann daraufhin Schönherrs Theorie: „Das Video hört sich logisch an, macht aber eine falsche Annahme. Und also ist die Schlussfolgerung falsch.“
Schönherr gehe in seinem Video davon aus, das Tests zufällig gemacht würden. „Das ist nicht der Fall“, so die Physikerin. „Menschen werden nicht zufällig getestet, sondern meistens, weil es einen Verdachtsmoment gibt.“ Dazu zählten etwa Symptome, Kontakte oder ein positiver Schnelltest.
„Folgeergebnisse nicht zutreffend“
Laut Priesemann müsse man zwischen zwei Kausalitäten unterscheiden:
- Fall A: Es werden mehr Fälle gefunden, weil mehr getestet wird.
- Fall B: Es wird mehr getestet, weil es mehr Verdachtsfälle gibt.
„Am Ende spielen beide Beiträge eine Rolle“, erklärt sie. „Aber im Video wird angenommen, dass wirklich allein und nur A zutrifft.“ Alle weiteren Rechnungen nach dieser Folie bauen auf dieser falschen Annahme auf. Also sind die Folgeergebnisse nicht zutreffend.
„Nach der Rechnung in dem Video könnte man die Inzidenzen im Landkreis ganz einfach drücken“, warnt Priesemann zudem. Man mache für jeden Test auf Verdacht einen Test bei Personen, die sehr wahrscheinlich negativ sind (oder einen Zufallstest). „Schon ist die Inzidenz (fast) halbiert.“
Priesemann macht danach ebenfalls einen Lösungsvorschlag: „Am besten wäre es, wenn wir, genauso wie UK, ein Screening hätten, also rund 100.000 Zufallstests, die jede Woche ein objektives Bild des Ausbruchsgeschehen liefern. – Dann müssten wir hier nicht diskutieren.“
Tübingen, das Saarland und viele weitere ´Modellregionen` testen keine Verdachtsfälle, sondern Menschen, die Einkaufen gehen wollen!
Auch in Kitas und Schulen werden praktisch alle Schüler ohne jeglichen Verdacht getestet.
Positive Schnelltests werden nach dem Zufallsprinzip bei symptomlosen Menschen eruiert.
Deshalb trifft praktisch nur Fall A zu.
Eine ausführliche Erläuterung und Kritik an Priesemann:
Patrick Schönherr behandelt zwei Aspekte
- Nachweis der Fehlerhaftigkeit der Berechnung
- Lösungsvorschlag zwecks Fehlerbeseitigung
ad 1)
In die Berechnung einer Kennzahl, der Inzidenz gehen mehrere Variablen ein und ergeben dann die Lösung, den Inzidenzwert. Bei der üblichen Berechnung des Inzidenzwertes ist eine Variable (Positive Ergebnisse) abhängig von anderen Variablen (Anzahl der Tests/Negative Testergebnisse), die aktuell nicht in die Berechnung einfließen. Somit wird der Inzidenzwert praktisch wertlos. Warum? Die Zahl der Tests, die Anwendung der Tests in welchen Bereichen und bei welchen Personengruppen ist beliebig steuerbar.
ad 2)
Patrick Schönherrs Lösungsvorschlag nimmt zunächst die Gesamttestrate Deutschlands als Grundvariable zur Berechnung des Inzidenzwertes. Gäbe es auch die Gesamttestraten von Kreisen, könnte, sollte man diese verwenden. Da die in aller Regel aber nicht bekannt sind, ist die Testrate Deutschlands gesamt nahe an der Realität.
Die Annahme in der Priesemann-Argumentation, dass es die Kausalitäten, die Fälle A und B gibt, ist richtig. Ihre Schlussfolgerung ist allerdings fragwürdig. Allein durch Beobachtung und politische Vorgaben (Modellregionen) erkennt man, dass vermehrt Gesunde = Menschen ohne Symptome getestet werden (Kindergärten, Schule, öffentliche Testzentren, in die man nur ohne Symptome darf, Tests zweck Erlangung eines Tagestickets), also Fall A. Selbst bei Verdachtsfällen werden haufenweise asymptomatische Menschen getestet (Kontaktverfolgung), die dann zumindest teilweise A zuzuschlagen sind. Wird die Testanzahl erhöht, wird vor allem die Dunkelziffer ausgedünnt. Siehe Tübingen.
Der Lösungsvorschlag von Frau Priesemann, ein Screening mit Zufallstests zu machen, ist rührend.
- Bereits am 31.3.2020 hat die Statistikerin Katharina Schüller genau das in einer change.org Petition gefordert.
- Viviane Fischer 26.3.2020 eine Open Petition für eine Baseline-Studie gestartet.
Passiert ist nach einem Jahr: Nichts.
Ein typisches Beispiel dafür, wie mangelnde Information zu falschen theoretischen Schlüssen führt. Frau Priesemann hat sich offenbar nicht die Test-Strategie des RKI angeschaut. Danach soll zwar hauptsächlich derjenige getestet werden, der Symptome zeigt. Aber natürlich werden auch andere Menschen getestet. Wenn Hausärzte einen vagen Verdacht haben, oder einfach auf „Nummer Sicher“ gehen wollen, können sie jeden testen. Und auch andere werden getestet, genauer:
„1. Symptomatische Personen
2. Asymptomatische Personen im Gesundheitswesen, anderen vulnerablen Bereichen und bei
Kontaktpersonen…
3. Präventive Testungen bei asymptomatischen Personen in weiteren Lebensbereichen.“
(Zitat aus „Nationale Teststrategie – wer wird in Deutschland… getestet“, RKI.)
Wie repräsentativ die Corona-Tests in Deutschland für die gesamte Bevölkerung sind, lässt sich daher glasklar mit dem alten Spruch zusammenfassen:
‚NICHTS GENAUES WEISS MAN NICHT‘.
Daraus folgt: Die Inzidenz-Zahlen sind von EXTREM begrenztem Nutzen.
Siehe zum Thema Inzidenz jetzt auch den frischen Artikel in der ‚Bild‘ mit Prof. Dr. Matthias Schrappe, „Mehr Corona-Tests sorgen für hohen Inzidenzwert“. Ich habe das ja heute morgen schon in meinem Kommentar zu den beiden „Reporter-Genies“ vom ZDF so dargelegt.
Zitat des Tages:
„Weitreichende Lockdown-Massnahmen wie Ausgangssperren oder erneute Schulschliessungen sollten nicht im statistischen Blindflug veranlasst werden, sondern auf Grundlage sauberer und verlässlicher Daten“ (Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer). –
Neues Gerücht dazu: Die Inzidenz wird jetzt umbenannt in „Blindzidenz“.
Das RKI hat gesagt, dass die tiefen Infektionszahlen über Ostern wohl den geringeren Test-Zahlen geschuldet seien: weniger Leute gingen zum Arzt, viele Praxen seien geschlossen.
Lieber Leser, halten Sie das auch so: Wenn Sie über die Feiertage ernsthaft krank werden und Ihr Hausarzt ist in Urlaub, dann gehen Sie nicht etwa ins Krankenhaus. Nein, Sie vergessen die Tatsache, dass es in unseren Breiten stets offene Spitäler gibt und warten, bis Sie todkrank sind, und Ihre Hausarztpraxis wieder geöffnet hat.
Wirklich?