Immer wieder – ich habe den Eindruck, immer öfter – …
… gibt es Berichte und Meinungen, die sich kritisch mit der Corona-´Strategie` (ein Lockdown nach dem anderen verbunden mit Angst- und Panikmache) auseinandersetzen. War es bisher Andreas Rosenfelder, der kritische Anmerkungen darlegte, ist es nun Thomas Vitzhum, der sich mit einem klugen WELTplus-Artikel* hervortut.
MehrPolitiker und Forscher überbieten einander mit düsteren Szenarien für die nächsten Monate. Begründet wird das mit der Sorge vor der Verbreitung der wenig erforschten Coronavirus-Mutanten. Dieser Kurs birgt das Risiko, dass das Vertrauen der Bürger weiter sinkt.
Keine Schule bis Ostern. Kein Einkaufen, kein Haareschneiden, kein Restaurant, kein Kino, kein Konzert mindestens bis weit in den April. 100.000 Ansteckungen mit dem Coronavirus – jeden Tag. Kein saisonaler Effekt durch steigende Temperaturen. Dazu Ausgangsbeschränkungen, Einschränkungen des Aktionsradius. Grenzkontrollen? Exportverbot für wichtiges Material? Alles möglich.
Diese Nachrichten aus einer dystopischen Welt könnten aus dem Jahr 2020 stammen. Aus den Monaten Januar bis März. Als sich die Corona-Nachrichten überschlugen. Damals hatten die Bürger das Gefühl, der Boden unter ihren Füßen würde schwanken, das Leben, das sie kannten, sich auflösen.
Doch es sind keine Forderungen, Prophezeiungen, Prognosen von vor einem Jahr. Es sind mögliche Zustandsbeschreibungen der Welt des Jahres 2021. Glaubt man Politik und Wissenschaftlern, ist das die Realität der kommenden Monate. Dass die Schulen bis Ostern nicht öffnen sollen, stellte Thüringens Kultusminister Helmut Holter (Linke) in Aussicht. Auch CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt hält ein Öffnungsszenario nicht einmal für diskutierbar.
Von bis zu 100.000 Ansteckungen pro Tag sprach der Virologe Christian Drosten von der Berliner Charité mit Blick auf das mutierte Coronavirus B1.1.7. Dass sich das Virus in dieser vermutlich aggressiveren Form durchsetzen wird, davon ist Kanzleramtsminister Helge Braun (CDU) überzeugt. Der Virologe Adam Grundhoff ist sicher, dass die Inzidenz, also die Zahl der Neuinfektionen auf 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen, dann nach drei Monaten bei dem 5000-Fachen der heutigen liegen werde.
Von Grenzkontrollen zu Nachbarn, die das Virus nicht in den Griff bekommen, geht Kanzlerin Angela Merkel (CDU) aus. Und ein Exportverbot von Corona-Impfstoffen aus der Europäischen Union überprüft Bundesgesundheitsminister Jens Spahn.
Die wenigen, die eine Diskussion über mehr Freiheiten für Geimpfte anfangen, werden von der Mehrheit niedergezischt. Argument: Noch seien es viel zu wenige, die geimpft sind. Die Debatte erweckt den Eindruck, als teilte keiner die Hoffnung, dass sich an diesem Zustand mittelfristig etwas ändern werde. „Der Sommer wird uns nicht retten“, sagte am Montag der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach im Ton der Apokalypse.
An diesem Montag trat der neue verschärfte Lockdown in Kraft, der bis zum 14. Februar gilt. Doch in der Mühsal der Gegenwart hält sich offensichtlich keiner mehr lange auf. Die Entscheider und ihre Berater blicken weit über dieses Datum hinaus, so als seien die nächsten drei Wochen läppisch, als müssten sie gar nicht mehr ertragen, erduldet, hingenommen werden.
Dabei sind die Infektionszahlen so niedrig wie zuletzt vor ungefähr drei Monaten. Tendenz sinkend. Hielte der Trend, würde die berühmte 50er-Inzidenz in der zweiten Februarwoche tatsächlich erreicht.
Ebenfalls am Montag teilte der Impfstoffhersteller Moderna mit, dass sein Vakzin auch gegen die mutierten Viren wirke. Am Freitag soll zudem in der EU der dritte Impfstoff zugelassen werden, der der Firma AstraZeneca.
Es gibt also auch gute Nachrichten. Und dennoch, so hoffnungslos, so aussichtslos und perspektivlos, so pessimistisch war die politische Debatte über den Fortgang der Krise seit Langem nicht. Mut machen wenige.
Ein schleichender Vertrauensverlust
Der CSU-Gesundheitspolitiker Georg Nüßlein forderte ein Lockdown-Ende Mitte Februar. Die Sorge vor etwas, „das vielleicht eintreten könnte“, sei keine ausreichende Begründung für den Lockdown. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) will die Wiederöffnung von Schulen und Friseuren. Der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, verlangte Perspektiven von der Politik.
Nun soll keiner sagen, dass es keine Perspektiven gibt. Horrorszenarien sind schließlich auch Perspektiven. Allein, wohin führen sie? Schaffen düstere Prognosen Vertrauen? So wie das vor einem Jahr der Fall war?
CDU-Präsidiumsmitglied Norbert Röttgen fasste im WELT-Interview zum Jahresende zusammen, was damals geschah: „Das positive Moment ist, dass die Politik durch ihr entschlossenes, rationales und ehrliches Verhalten in der ersten Welle der Pandemie bei vielen Menschen einen enormen Vertrauensgewinn erzielt hat. Statt die Situation schönzureden, wurde wissenschaftlicher Sachverstand in dieser Phase der Unkenntnis hinzugezogen. Es galten die Kriterien rationaler Geeignetheit – und nicht das, was politisch opportun war.“
Politiker und Forscher haben damals eingestanden, nicht zu wissen, womit sie es zu tun haben. Vertrauen entstand, weil sie damals ihr Nicht-Wissen erklärten. Das Klischee, wonach Politiker stets mehr wissen, als sie zugeben, galt anscheinend nicht mehr. Die ehrliche Zurschaustellung der eigenen Unkenntnis schuf die Basis für die Akzeptanz der Corona-Maßnahmen. Das wirkt noch heute nach.
Aber das Vertrauen erodiert. Die Zustimmung zu den Maßnahmen sinkt. Nicht nur aus Ermüdung, wie landläufig behauptet.
Der schleichende Vertrauensverlust ist auch Resultat der politischen Kommunikation. Es gab in den vergangenen zehn Monaten unzählige Beteuerungen, dass man über das Virus inzwischen deutlich besser informiert sei als noch zu Beginn der Pandemie. Lange wurde so getan, als resultierte das Handeln aus neuen Erkenntnissen. Dazu kamen Ende des Jahres noch die Erfolge bei der Impfstoffentwicklung. Wissen ist Macht – das Sprichwort schien wieder zu gelten.
Und jetzt? Nun wird der Beweis angetreten, dass Unwissen offenbar noch mehr Macht bedeutet; Macht nämlich für jene, die auf Basis von Unsicherheit erneut weitestreichende Entscheidungen für das Leben der Bürger treffen. Das aktuelle Tun wird mit Unwissen über die Virusmutante begründet. Aus der Sorge vor seiner Verbreitung resultiert die aktuelle Lockdown-Politik.
Darüber aber, was diese Mutante auslöst, wie sie wirkt, wie ansteckend sie ist, welche Gruppen sie vor allem betrifft, darüber gibt es noch immer intensive Auseinandersetzungen und Forschung. Letzte Sicherheiten gibt es wenige. Der Aussage etwa, dass die Variante mehr Todesfälle bedeutet, folgte kurz darauf das Dementi, dass man es so genau doch nicht wisse. Vieles ist also unsicher.
Der desillusionierende Satz des Kanzleramtsministers
Dennoch werden mit Selbstsicherheit neue Negativszenarien entworfen. Kanzleramtsminister Braun gab sich am Sonntag bei „Anne Will“ sogar absolut überzeugt, dass sich die Virusmutante hierzulande durchsetzen werde: „Wir sehen ja momentan, dass wir jetzt in mehreren Krankenhäusern auch schon mit der Mutante zu tun haben. Das heißt, das ist bei uns im Land angekommen, und deshalb wird sie irgendwann so wie in anderen Ländern auch dann die Führung übernehmen und wird Probleme machen.“
Gibt es dafür Zahlen? Evidenz? Studien? Die wissenschaftlichen Berater des Kanzleramts stellen häufig Modellierungen auf; doch bei den Präsentationen bleibt die Öffentlichkeit außen vor. „Wir wollen sie so lange wie möglich aus dem Land raushalten und da, wo sie schon ist, eben sehr niedrig halten“, fügte Braun mit Blick auf die Mutante hinzu und schob trotzdem den völlig desillusionierenden Satz nach: „Das wird man auf Dauer nicht schaffen.“
Die Situation mutet also kurios an: Da paart sich derzeit totale Unsicherheit über die Virusmutation mit letztgültiger Sicherheit. Das hat Folgen. So erodiert Vertrauen.
Hinzu kommt das offensichtlich schlechte Management in vielen Bereichen. Etwa bei den Impfungen, die mit ständigen Versäumnissen von Behörden und Politik einhergehen. Oder beim Schutz der Alten- und Pflegeheime, in denen sich immer noch massenhaft Corona-Ansteckungen ereignen.
Die Gesundheitsämter sind noch immer nicht in der Lage, mit einer funktionierenden einheitlichen Software zu arbeiten, und noch immer können nicht mehr Kontakte gleichzeitig nachvollzogen werden als zu Beginn der Pandemie. Zudem werden häufig Daten nicht oder nicht vollständig übermittelt; vier Wochen lang, zwischen Weihnachten und Mitte Januar, war keiner Corona-Statistik zu trauen.
„Ich kann nur sagen: Ohne Perspektive hält so was niemand lange durch. Mit Perspektive deutlich länger. Deshalb würde ich mir wünschen, die Bundeskanzlerin würde noch einmal eine Ansprache halten, in der ein solcher Optimismus zum Ausdruck kommt. Ich glaube, dass das den Menschen sehr guttäte“, sagte der Psychiater und Stressforscher Mazda Adli, Chefarzt der Fliedner Klinik in Berlin in einem Interview.
Das war im März 2020. Es gilt wohl mehr denn je.
________________________________________
*Weil der Artikel außerordentlich wichtig für die Debatte um die „Meinungsfreiheit“ ist, zitieren wir den Text. Verweise und Kommentare lesen Sie, wenn Sie WELTplus testen/abonnieren.
Wir empfehlen WELTplus ausdrücklich: 30 Tage kostenlos testen.
________________________________________