Darum geht es:
MehrDieter Nuhr hat den Clip für die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) produziert. Zum Jubiläum. Vor 100 Jahren wurde die Vorgängerorganisation «Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft» gegründet:
«Es greift einem ans Herz, wenn man heute hört, wie mancher junge und alte Gelehrte nicht mehr in der Lage ist, ein grosses Werk, an dem er Jahrzehnte gearbeitet hat, überhaupt nur drucken zu lassen»: So klagte der deutsche Reichsfinanzminister Joseph Wirth im Sommer 1920. Die Sorge des Zentrums-Politikers teilten damals viele im Land der Kriegsverlierer. Im Herbst gründeten mehrere Akademien und Universitäten deshalb die «Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft». Sie sollte helfen, die Folgen der internationalen Isolation abzufedern und für eine zumindest rudimentäre finanzielle Förderung zu sorgen.
Heute, im Jubiläumsjahr, ist die Gemeinschaft nicht wiederzuerkennen. Vorbei ist ihre Not, und fort ist auch der traurige Name. Als Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) hat sich der Bonner Verein zur zentralen Selbstverwaltungsorganisation der Wissenschaft des Landes entwickelt. Für die Förderung «wissenschaftlicher Exzellenz» stehen pro Jahr 3,3 Milliarden Euro zur Verfügung. Fast das ganze Geld kommt vom Staat, also von den Steuerzahlern. Und weil die DFG stolz auf ihre Geschichte ist, hat sie im Sommer eine Kampagne gestartet, die auch an den harten Anfang erinnern soll: «DFG2020» lautet der Titel. Und: «Für das Wissen entscheiden».
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Bis vor kurzem hatte kaum jemand ausserhalb der Organisation etwas davon mitbekommen. Das änderte sich, als sie am vergangenen Donnerstag einen 30 Sekunden kurzen Audiobeitrag des Kabarettisten Dieter Nuhr im Netz veröffentlichte. Binnen weniger Stunden empörte sich ein wachsender Chor von Nutzern. Nuhr sei ein «Corona- und Klimawandelverharmloser», schimpfte einer. Nuhr habe sich über die Aktivisten von «Fridays for Future» lustig gemacht, klagte ein anderer. Ein Dritter, der nach eigenen Angaben in der Wissenschaft arbeitet, nannte Nuhr einen «beleidigenden Menschen», ehe er ihn als «Abfall» bezeichnete.
Die DFG gab sich standhaft, zumindest für ein paar Stunden. Jeder, dessen Statement «für das Wissen» stehe, sei bei der Kampagne willkommen, teilte sie am Donnerstagabend auf Twitter mit. Doch schon am Freitagvormittag folgte die Kehrtwende: «Wir nehmen die Kritik, die vielen Kommentare und Hinweise ernst und haben den Beitrag von Dieter Nuhr von der Kampagnen-Website entfernt.»
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Ein Sprecher der DFG teilte der NZZ auf Anfrage mit, dass Nuhrs Botschaft erstmals am 21. Juli verbreitet worden sei, zunächst auf der Website der Kampagne und über den Youtube-Kanal der DFG. Beides habe keine nennenswerten Reaktionen zur Folge gehabt. Das habe sich am 30. Juli geändert, als der Beitrag auch auf Twitter erschienen sei. Dort habe es unmittelbar darauf eine «intensive Diskussion» gegeben, bei der sich «nicht zuletzt zahlreiche Stimmen aus der Wissenschaft und aus wissenschaftsaffinen Kreisen mit deutlicher Kritik an der generellen Haltung von Herrn Nuhr zur Wissenschaft» geäussert hätten.
Den Moment des Sinneswandels muss man hier im Wortlaut wiedergeben: «Im Verlaufe und im Lichte dieser Diskussion sind wir dann selber in zumindest einem zentralen Punkt zu einer anderen Einschätzung der Haltung von Herrn Nuhr zur Wissenschaft und auch des Beitrags gekommen. Dieser Punkt betraf den Satz «Und wer ständig ruft ‹Folgt der Wissenschaft›, hat das offensichtlich nicht begriffen.» Dies erschien uns in dem nun deutlicher gewordenen Kontext als – auch unnötiger – Seitenhieb auf aktuelle Debatten in und um Wissenschaft und deren Akteure, den wir nicht mit den Anliegen der Kampagne (. . .) in Übereinkunft bringen konnten.»
Die Löschung von Nuhrs Beitrag löste eine zweite Welle der Empörung aus. Kritische Stimmen kamen dabei auch aus der Wissenschaft. Der Münchner Soziologe Armin Nassehi etwa nannte die Reaktion der Forschungsgemeinschaft falsch, weil sie im Netz nur «die üblichen Drehbücher» in Gang gesetzt habe. Der Mainzer Historiker Andreas Rödder bezeichnete das Einknicken der DFG als «sehr bedenklich». Die Selbst-Konformisierung der Wissenschaft gefährde die intellektuellen Grundlagen der demokratischen Öffentlichkeit. Der Kabarettist selbst schrieb auf Facebook, dass er das Verhalten der DFG «gruselig» finde.
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Update 5.8.2020
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Offener Brief (12/2019) an Dieter Nuhr in Sachen AfD-Bashing: Hier klicken
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