Der Massentourismus …
Mehr… ist eine vergleichsweise junge Erscheinung. Er markierte den Wandel der alten Industrie- zur modernen Dienstleistungsgesellschaft. Laut einer Studie des Bundeswirtschaftsministeriums erwirtschaftete die Branche im Jahr 2015 einen Umsatz in Höhe von 290 Milliarden Euro und beschäftigte 2,9 Millionen Menschen. Dazu kommen noch die Beiträge der deutschen Auslandstouristen zum Abbau unserer Leistungsbilanzüberschüsse. In der Dienstleistungsbilanz hatte der grenzüberschreitende Reiseverkehr im Jahr 2018 ein Defizit von mehr 43 Milliarden Euro ausgewiesen, so die Bundesbank in ihrem Bericht zur deutschen Zahlungsbilanz. Das sind nüchterne Zahlen, die die Bedeutung des Massentourismus für unsere Wertschöpfung und die europäische Stabilität ausdrücken.
Leider wurden sie gestern Abend nicht genannt, wahrscheinlich um uns Zuschauer nicht zu verunsichern. Denn ein Kollaps dieser Branche hätte weitreichende Folgen: Die dort Beschäftigten müssten ihre Konsumausgaben reduzieren, aus Steuerzahlern würden Transferbezieher und schließlich müsste der Staat seine Ausgaben senken. Dann bräuchte wohl auch niemand mehr die Reiseexperten in den vom Steuerzahler subventionierten Verbraucherzentralen. So informierte uns Annabel Oelmann über die Komplexität des Reiserechts in bisher saturierten Wohlstandsgesellschaften. Sie sei „Vorständin der Verbraucherzentrale Bremen“, so die Redaktion. Schlechtes Deutsch ist zweifellos ein Hobby, das wir uns weiter leisten könnten. Das ginge sogar mit reduzierten Rundfunkbeiträgen.
„Man reißt uns den Boden weg“
So war „Sommer, Sonne, Sicherheitsabstand: Was bleibt vom Urlaub 2020?“ ein gelungener Titel dieser Sendung, um die Unzulänglichkeiten unseres Umgangs mit der Pandemie auszudrücken. Dieser wird immer noch als bloße Komforteinbuße wahrgenommen, wo halt notfalls auch einmal auf einen Urlaub verzichtet werden kann. Der auf Mallorca lebende Schauspieler Uwe Ochsenknecht wies auf seine Erfahrungen als Angehöriger der Nachkriegsgeneration hin, die „mit dem Verzicht aufgewachsen“ sei. Der Inhaber eines Gastronomiebetriebes geriet aber mit diesem grundsätzlichen Bekenntnis in einen betriebswirtschaftlichen Widerspruch. Der Verzicht bedeutete die Pleite seines Ladens, somit Einkommensverluste. Wobei er wiederum deutlich machte, sich im letzten Drittel seines Lebens den erarbeiteten Wohlstand verdient zu haben. Verzicht bedeutete in Wirklichkeit, diesen Anspruch auf den Respekt vor einer Lebensleistung aufzugeben. Das wollen einige in der Theorie, aber niemand in der Praxis, wenn es ihn selber betreffen sollte.
So kann sich Verzicht niemand mehr vorstellen, weil in den vergangenen siebzig Jahren lediglich nach einem persönlichen Schicksalsschlag verzichtet werden musste. Dieses fehlende Vorstellungsvermögen eines auf individuelle Selbstverwirklichung getrimmten Selbstverständnisses drückte sich bei der Reisekauffrau Meike Mouchtouris aus. Wer ihr zuhörte, hatte keinen Zweifel mehr an der Perspektivlosigkeit ihres Berufsstandes. Die eigentliche Aufgabe bestände in der Abarbeitung der zahllosen Stornierungen, die sicher geglaubte Einkommen aus dem vergangenen Jahr beträfen. Zugleich seien neue Buchungen die Ausnahme. Man „reißt uns den Boden weg“, so ihre Schlussfolgerung. Frau Mouchtouris wollte sich aber gleichzeitig nicht vorstellen, dass der administrativ verordnete Ruin ihr persönliches Schicksal zu sein hat: Auf diese Idee kommen auch nur sozialpolitisch überversorgte ARD-Kommentatoren in den „Tagesthemen“, die bisweilen über die grundlegende Veränderung von „Lebensstilen, Konsumverhalten und Wirtschaft“ räsonieren. Die Reisekauffrau aus Lohmar ist aber halt kein ARD-Chefredakteur namens Rainald Becker, sondern lebt in der Wirklichkeit. So appellierte sie an den anwesenden Tourismusbeauftragten der Bundesregierung für weitere Staatshilfen, um die Branche und sich selbst zu retten.
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Die komplette Sendung vom 18.5.2020:
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