CO2-Neutralität: Das ist das aktuelle Schlagwort
MehrWELTplus führt ein Interview mit Professor Robert Schlögl, Direktor am Berliner Fritz-Haber-Institut der Max-Planck-Gesellschaft, in dem dieser davor warnt, dass die bisherigen Weichenstellungen die Energiewende scheitern lassen werden.
Die wichtigsten Fragen und Antworten:
WELT: Kann die deutsche Energiewende gelingen?
Robert Schlögl: So, wie wir die Dinge momentan angehen – sicher nicht. Hierzulande stellt man sich die Energiewende noch immer so vor, als könne man konventionelle Kraftwerke einfach nach und nach durch Wind- und Solaranlagen ersetzen. Doch so einfach ist es leider nicht. Weil Strom aus Sonne und Wind nicht beständig und planbar zur Verfügung steht, sondern wetterbedingt hohen Schwankungen unterliegt, sind große Änderungen im System der elektrischen Energieversorgung erforderlich.
WELT: Bei einem Überangebot von erneuerbarer Energie müsste man sie doch nur speichern und könnte sie zu einem späteren Zeitpunkt nutzen, wenn die Nachfrage größer als das aktuelle Angebot ist.
Schlögl: In der Theorie klingt das gut. Doch in der Praxis ist das Speichern von elektrischer Energie alles andere als einfach. Batterien haben bezogen auf ihr Gewicht noch immer eine sehr kleine Kapazität. Zudem sind sie teuer und haben eine recht begrenzte Lebensdauer.
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WELT: Ich entnehme Ihren Worten, dass Sie kein Befürworter von elektrisch angetriebenen Autos sind?
Schlögl: Nein, so kann man das nicht sagen. Ich bin durchaus dafür, dass Fahrzeuge aller Art elektrisch angetrieben werden. Denn Elektromotoren arbeiten sehr viel effizienter als Verbrennungsmotoren. Der Strom für diese Motoren sollte allerdings nicht aus einer Batterie kommen, sondern von einem besonderen Verbrennungsmotor geliefert werden, in dem synthetische Kraftstoffe verbrannt werden. Die Turbine versorgt eine kleine Batterie mit der Energie, die zum Betrieb des Elektromotors benötigt wird. Diese verglichen mit reinen Elektrofahrzeugen kleine Batterie kann überdies die beim Bremsen zurückgewonnene Energie aufnehmen.
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WELT: Auch Wasserstoff wird bereits seit Jahren als Energieträger für eine nachhaltige Zukunft diskutiert. Wie sehen Sie das? Wäre Wasserstoff nicht eine gute Alternative zu den synthetischen Treibstoffen?
Schlögl: Wasserstoff hat den großen Vorteil, dass er nicht in einem Kreislauf geführt werden muss. Überall gibt es Wasser, aus dem Wasserstoff gewonnen werden kann. Und überall gibt es Sauerstoff, den man zum Verbrennen von Wasserstoff braucht. Der große Nachteil ist indes seine niedrige Energiedichte. Es muss viel Energie aufgewendet werden, um Wasserstoff hinreichend zu verdichten. Der Transport und die Speicherung von Hochdruck-Wasserstoff ist mithin keine ganz einfache Sache, zumal der Umgang mit diesem Gas trotz wunderbarer Sicherheitstechnik nicht ganz ungefährlich ist. Wenn man dennoch bei bestimmten Anwendungen Wasserstoff als Energieträger nutzen will, dann sollte man ihn besser an ein Trägeratom oder -molekül binden. Wasserstoff ist immer der erste molekulare Speicherstoff für erneuerbare Energie. Die Natur macht uns das vor. Lebende Zellen nutzen Wasserstoff als Energieträger, doch eben nicht pur in molekularer freier Form, sondern an organische Moleküle gebunden. Diese biologischen Wasserstoffspeicher sind für technische Anwendungen zu komplex. Doch bereits vor rund 20 Jahren ist es Forschern der Firma Toyota gelungen, dieses Prinzip in die Welt der Technik zu übertragen. Die Flüssigkeit Dibenzyltoluol kann Wasserstoff mit einer großen Energiedichte speichern, für die man sonst einen Druck von 700 bar benötigen würde.
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… Im Straßen- oder Flugverkehr halte ich jedoch synthetische Kraftstoffe für überlegen.
WELT: Ein synthetischer Kraftstoff ist im Prinzip also Benzin, das nicht aus Rohöl hergestellt, sondern unter Verwendung von CO2 synthetisiert wird?
Schlögl: Ja und nein. Wenn man schon die Möglichkeit hat, einen Kraftstoff zu designen, dann wird man dafür Moleküle auswählen, die rückstandslos verbrennen. Das ist ja bei Benzin bekanntlich nicht so. Neben Kohlendioxid entsteht immer auch Ruß. Das ist unvermeidlich. Damit ein synthetischer Treibstoff ohne Rußbildung verbrennt, müssen in das betreffende Molekül bereits Sauerstoffatome eingebaut sein. Methanol ist so ein Beispiel. Es verbrennt rückstandslos mit einer farblosen Flamme. Brennendes Benzin hat die gelbe Farbe einer Kerzenflamme. Und die stammt von Rußpartikeln.
WELT: Dann wäre also Methanol der Kraftstoff der Zukunft?
Schlögl: Nein, nicht ganz. Das Methanol bereitet ein paar technische Schwierigkeiten. Besser wären verwandte Moleküle, diverse Oligomere oder Dimethylcarbonate. Aber das sind Details. Wir Chemiker wissen genau, wie ein idealer synthetischer Kraftstoff aussehen muss. Das ist kein Problem.
WELT: Angenommen, wir würden in Deutschland den gesamten Straßen- und Flugverkehr mit synthetischen Treibstoffen abwickeln – könnten wir die dafür benötigten Mengen hierzulande überhaupt aus erneuerbaren Energiequellen produzieren?
Schlögl: Auf gar keinen Fall. In Deutschland und ganz Mitteleuropa gibt es einfach nicht genug erneuerbare Energien, um den Bedarf an synthetischen Kraftstoffen zu decken. Die Grundidee der Energiewende, dass wir in Deutschland energieautark sein wollen, ist absolut unsinnig. Das ist allein von den Größenordnungen her schlicht unmöglich. Wir importieren heute 80 Prozent unserer Energie aus dem Ausland und das wird sich voraussichtlich in Zukunft nicht wesentlich ändern. Also müssen wir erneuerbare Energien in eine transportierbare Form bringen. Sie müssen global handelbar sein, damit es hierzulande und weltweit eine CO2-neutrale Zukunft geben kann. Neue Stromtrassen sind alleine jedenfalls nicht die Lösung.
WELT: Die Länder, die heute Erdöl und -gas exportieren, könnten also künftig zu Lieferanten von synthetischen Treibstoffen werden?
Schlögl: Absolut. …
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WELT: Dann läuft die Sache wohl darauf hinaus, dass wir bei Staaten, von denen wir heute Erdöl beziehen, künftig klimaneutrale Kraftstoffe einkaufen. Unsere Klimawende wird dann gleichsam von fernen Drittländern getriggert, aber sie findet statt. Ist das nicht die Hauptsache? Und Sie haben ja selber gesagt, dass wir nicht energieautark werden können.
Schlögl: Deutschland kann nicht energieautark werden. Europa insgesamt könnte es aber schon eher. In Südeuropa gibt es genug Sonnenenergie, die nicht lokal gebraucht wird, um ausreichende erhebliche Mengen an synthetischen Kraftstoffen zu produzieren.
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WELT: Wir haben bislang über elektrische Energie und Kraftstoffe für die Mobilität gesprochen. Doch auch beim Heizen von Wohnungen wird viel CO2 freigesetzt. Warum ist darüber bislang kaum debattiert worden?
Schlögl: Das Erzeugen von Wärme ist tatsächlich die größte Quelle für Kohlendioxid – sowohl bei den Haushalten als auch in der Industrie. Insofern ist dies ein sehr wichtiges Thema. Warum dennoch in den vergangenen Jahren kaum darüber gesprochen wurde, liegt an einem Verdrängungsmechanismus, der im Jahr 2011 in Gang gesetzt wurde. Die deutsche Politik hat damals postuliert, dass es in Deutschland nur noch Null-Energiehäuser geben solle. Diese Vision ist wenig realitätsnah. Eine bis heute spürbare Folge ist die Wärmeschutzverordnung, die auch zur einer deutlichen Steigerung der Baukosten geführt hat, ansonsten aber wenig sinnvoll ist. Ich bin davon überzeugt, dass sich eine klimaneutrale Gebäudeheizung ebenfalls nur mit synthetischen Treibstoffen erreichen lässt. In diesem Fall wäre wohl synthetisches Erdgas, also Methan, die beste Lösung. Man könnte es über existierende Leitungen transportieren und in Blockheizkraftwerken verbrennen. Ohne Blockheizkraftwerke wird es nicht gehen, wenn wir CO2-neutral werden wollen. In diesen Kraftwerken lässt sich das entstehende Kohlendioxid abfangen und dann wieder zu den Produktionsanlagen von synthetischem Erdgas bringen. Das ist nicht individuell in jedem Wohnhaus leistbar.
Soweit wesentliche Aussagen aus dem WELTplus-Interview. Wir empfehlen ausdrücklich das Abonnement WELTplus. 2,49 € pro Woche, die bestens investiert sind!
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Morgen, am Sonntag ab 11:00 Uhr lesen Sie, welche Rolle Deutschland weltweit in Sachen Klimawandel mit seiner Energiewende spielt. Ich verrate nicht zu viel: Eher eine kleine. Wieso, weshalb, warum? Morgen mehr!
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