Aber wie?
Zwei Leserbriefe aus den Aachener Nachrichten liefern eine Spur:
Nun wissen wir ja bereits seit Anfang der 70er Jahre, dass die Welt wie wir sie kennen untergehen wird. Der Ostblock, in dem unter Führung der Sowjetunion die Wirtschaft geplant wurde, hat bereits ein feines erstesUntergangsbeispiel geliefert. Nun müsste sich doch endlich die kapitalistische Wirtschaftsordung verabschieden.
Deshalb ist mal richtig spannend, wie ein verhältnismäßig junger Weltenretter, der 36-jährige Politologe Norbert Nicoll aus Belgien, die Sache sieht. Dass er einen Nerv getroffen hat, belegen die Leserbriefe oben.
Credo: Nicht immer Mehr, sondern ausreichend – Suffizienz/für früher: Nur die ´wahren`Bedürfnisse befriedigen – soll das Motto des Wirtschaftens sein. Es gebe halt Grenzen des Wachstums.
MehrZu den Details:
[…] Für die Menschen im Norden hat die Cowboy-Ökonomie in den vergangenen 250 Jahren Wohlstand gebracht. Sie verfügen über immer mehr materielle Güter, sie leben länger, sie sind gesünder. Deshalb klammern sich immer noch viele an das Modell. Doch selbst in den wohlhabenden Ländern profitieren inzwischen nicht mehr alle gleichermaßen von der Entwicklung. Unsere Gesellschaft spaltet sich zunehmend in Arm und Reich. Im Süden sieht es noch schlimmer aus. Bis auf eine kleine Elite sind die Menschen dort lediglich Zulieferer von Rohstoffen, die wir im Norden verbrauchen. Sie werden nicht nur ausgebeutet, damit es uns angeblich besser geht. Sie müssen auch noch die Folgelasten wie Kriege und eine rasante Umweltzerstörung tragen.
Eine simple Schuldzuweisung: Der Westen – hier Norden genannt – hat die Schuld am Elend der Welt. Die spaltet sich immer mehr auf. Immer ärmer – immer reicher. Das kennen wir doch. Es ist die alte Leier.
Nehmen wir als Beispiel die Smartphones. Die meisten Menschen im Norden besitzen eines dieser Geräte. Jedes von ihnen verbraucht durchschnittlich 71 Kilogramm an Rohstoffen. Diese werden oft in der Dritten Welt unter mörderischen Arbeitsbedingungen gefördert. Oder schauen wir auf Elektro-Autos. Ihre Batterien brauchen Kobalt. Beim Abbau des Rohstoffs sterben im Kongo täglich Menschen. Wir verschieben die tatsächlichen Kosten für unsere Art zu leben seit langer Zeit in die Länder des Südens. Wir praktizieren eine imperiale Lebensweise.
Die Beispiele sind markant. Und natürlich stimmen sie. Doch würde z. B. kein Kobalt abgebaut, bliebe es einfach in der Erde. Die Menschen hätten keine Arbeit im Kongo. So wie die Näherinnen in Bangladesh. Wenn H&M dort nicht produzieren würde. So hat alles zwei Seiten.
[…] Unendliches Wachstum auf einem endlichen Planeten kann es allein schon aus mathematischen Gründen nicht geben.
Da unterliegt der Politologe (Weiß nichts, kann aber alles erklären) einem Irrtum. Jeden Tag wird die Erde mit Unmengen (Sonnen-)Energie versorgt. Energie, die z. B. dazu führt, dass der Lebenszyklus der Fauna, Flora usw. immer wieder von vorne beginnt. Energie, die dazu führt, dass Menschen leben können und geboren werden. Menschen, welche die Energie, die sie über ihre Nahrung aufnehmen in wie auch immer geartete Projekte (Infrastuktur, Städtebau, Landwirtschaft, Forschung usw., usw.) investieren. Es kommt darauf an, was der Mensch aus der unendlich auf die Erde strömende Energie macht.
Der Mensch im Norden war da offensichtlich erfolgreicher, als der Mensch im Süden. Der Norden/Westen versorgt als „Gegenleistung“ den Süden mit (Über-) Lebensmitteln. Der Hunger ist weltweit massiv gesunken. Absolut. Trotz einer sich stark vermehrenden Menschheit. 1990 z. B. lebten 5,3 Milliarden Menschen auf der Welt. Es hungerten damals weit über 200 Millionen Menschen mehr als heute bei 7, 3 Milliarden Menschen.
Die Menschheit wächst und wächst. Da liegt ganz sicher das Hauptproblem. Vor allem dann, wenn immer mehr Menschen in Gesellschaften hinzukommen, die ihr Leben nicht selber bewältigen können. Z. B. in afrikanischen.
Einen Masterplan für den notwendigen Umbau unserer Wirtschaft hin zu mehr Nachhaltigkeit und Solidarität hat bisher niemand. Natürlich ist das eine wichtige Leerstelle der Postwachstums-Diskussion. Aber Gesellschaften lassen sich nun einmal nicht am Reißbrett entwerfen. In der Vergangenheit haben das vor allem linke Utopien versucht – mit wenig Erfolg. Konturen einer zukünftigen Ökonomie sind aber trotzdem schon zu erkennen. Beispielsweise steuern wir auf eine stärkere Regionalisierung der Wirtschaft zu.
Nach der Ehrlichkeit kommt der Traum. Die Regionalisierung der Wirtschaft. Das machen doch schon die Menschen in Afrika. Es scheint mir nicht der Königsweg zu sein.
Lässt es sich überhaupt gut leben ohne Wachstum?
Nicoll: Natürlich. Wir müssen uns nur fragen, was gutes Leben bedeutet. Verstehen wir darunter, einen dritten Fernseher oder ein neues Auto zu kaufen? Wenn es uns um noch mehr materiellen Besitz geht, ist die Frage zu verneinen. Vielleicht heißt gut zu leben ja, Zeit zu haben, um beispielsweise Freundschaften wieder intensiver pflegen zu können. Immer mehr Menschen stellen fest, dass sie dazu kaum noch in der Lage sind. Sie rennen und rennen und bleiben doch wie der Hamster im Rad auf der gleichen Stelle. Ist es da nicht besser, unser Leben zu entschleunigen und einen Zeitwohlstand zu gewinnen?
Typische Sozialromantik! Und: Wer will kann ja entschleunigen. Z.B. die vielen Hartzis. Die können ja all´ das machen. Freundschaften, z. B an der Tafel, pflegen statt konsumieren. Und nicht so viel von Solidarität reden. Das ist natürlich ironisch gemeint. Hinweis für unsere Schwerversteher.
Das klingt nach einer Ökonomie des Verzichts.
Nicoll: Verzicht ist der falsche Begriff. Ich plädiere für eine Suffiziensstrategie. Wir sollten eine Gesellschaft anstreben, in dem die Menschen nicht auf das Notwendige verzichten, sondern auf das, was nicht notwendig ist. Leider wird dieses Denken von der Politik nicht gefördert. Sie konzentriert sich fast ausschließlich auf Effizienzstrategien. Sicher ist es wichtig, bessere Fertigungsverfahren und umweltfreundlichere Produkte zu entwickeln. Doch damit alleine bekommen wir die Probleme nicht in den Griff.
Was ist das Notwendige? Auf was soll verzichtet werden? Herr Nicoll soll doch einfach mal an dem Produktangebot eines Supermarktes aufzeigen, was notwendig ist, was nicht. Muss es wirklich 20 Teesorten geben, eine riesige Fleischtheke, Obst aus aller Welt? Herr Nicoll sollte aber gleichzeitig den Weg aufzeigen, was die Menschen machen sollen, die die Produkte, die wegfallen produzieren. Sie merken, es wird schwierig, oder?
Diskutieren wir doch zum Beispiel darüber, ob eine Stadt, in der es deutlich weniger Autoverkehr gibt und in der Kinder wieder draußen spielen können, nicht erstrebenswerter ist als eine Stadt, die in Lärm und Abgasen erstickt.
Ich kenne das. 1954 geboren habe ich in einer solchen Stadt – Aachen – gespielt. Es war eine schöne – heute verachtete – Zeit. Aber mein Vater – und viele andere auch – wollten Mobilität. 1966 hatten wir ein Auto. Und viele andere auch. Es wurden immer mehr. Wie will man das denn regulieren. Wie in der DDR? Nein, heute versucht man es mit Angstmache. Das aber ist sicher kein Weg!
Wie wollen Sie für solche Ideen Menschen begeistern, die mit ihrem Einkommen nur knapp über die Runden kommen?
Nicoll: Indem wir unsere Gesellschaften wieder gerechter machen. Dazu gehört natürlich eine materielle Umverteilung von oben nach unten. Das wäre gerade in Deutschland notwendig. Hier hat die Ungleichheit in den vergangenen 15 Jahren in nahezu skandalösem Ausmaß zugenommen. Daneben müssen wir wieder über kürzere Arbeitszeiten diskutieren. Zudem sollten wir auf Bildung setzen, um Menschen die Problemlage zu vermitteln und ihnen eine Perspektive zu geben.
Das Zauberwort: Gerechter.
Meine Meinung: Jeder bekommt das, was er verdient. Weniger arbeiten bedeutet weniger Verdienst. In Not geratenen Menschen wird geholfen. Im Kleinen: Sozialstaat; im Großen: Versorgung Afrikas mit Lebensmitteln.
Wer nichts Vernünftiges gelernt hat, kann immer noch Politiker werden.
Wie Bildung den Menschen die Problemlage vermitteln soll, bleibt Herrn Nicolls Geheimnis.
Oder meint er mit Bildung das stramm-linke Politikseminar?
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Der Buchtrailer zu Nicolls Buch ist ebenso schwach, wie das Interview:
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