Misstrauen gegen alle Politik – …
… auch wenn sie nicht immer gerechtfertigt und oft pauschal ist – wird zur Überlebensfrage, weil man sich eben nicht mehr darauf verlassen kann, dass da im System irgendwo noch Erwachsene sitzen, die verhindern, dass die Kinder aus lauter Gestaltungslust am Gasherd spielen, bis die Bude in die Luft fliegt.
Wann haben Sie zuletzt die zufällige Bekanntschaft eines Menschen gemacht, bei dem Sie im Gespräch nicht rasch auf die politische Großwetterlage zu sprechen kamen? Überhaupt scheint es kaum noch politisch indifferente Menschen zu geben, und wenn einer der Großsprecher der Ampel vor Mikrofone tritt, halten alle die Luft an und wappnen sich für das, was wohl als nächste Sau durchs Dorf getrieben wird. Der erhöhte Adrenalinpegel lässt die Leute alert und nervös werden, und diejenigen, die früher aus einem politischen Urvertrauen heraus „Ach, so schlimm wird’s schon nicht werden“ sagten, sind verstummt oder rufen nun verzweifelt: „Das können die doch nicht machen!“ Doch, sie können. Und sie werden.
Ohne zu sehr ins Detail zu gehen, zeichnet sich der Output unserer Legislative durch einige Mängel aus, die sich erst unmerklich, später beschleunigt als systemisch erweisen. Es gibt zum Beispiel keinerlei Bestandsschutz mehr, neue Gesetze werden hastig und ohne Folgenabschätzung durchgepeitscht, und Geld, das nicht eingenommen wird, wird hemmungslos drei- und vierfach ausgegeben. Man muss nicht den Geschäftsklimaindex bemühen oder der OECD lauschen, die Deutschland mittlerweile als Schlusslicht führt, um zu spüren, dass da gerade einiges gewaltig schiefgeht.
Der Blick geht nach oben, an die Spitze der Regierungsparteien, und man postuliert, das sei doch früher ganz anders gewesen. Früher, da hätten die Politiker noch Format gehabt, hätten ruhig und sachlich… Ich möchte widersprechen. Das kommt uns mit Abstand betrachtet vielleicht nur so vor. Natürlich haben die „sozialen Medien“ ihren Anteil daran, dass wir heute von Äußerungen und Plänen erfahren, die es früher nicht mal in die Rubrik „Vermischtes“ schafften. Doch früher hätten es solche Äußerungen auch nicht in Gesetzestexte geschafft. Die Qualität des politisch gedachten und geäußerten Schwachsinns war im Schnitt schon immer dürftig bis gefährlich und in vielen Fällen übergriffig. Und doch hat sich etwas Entscheidendes verändert: der politische Unterbau unserer Gesellschaft, also Institutionen wie Bildungssystem, Verwaltung, Justiz, Armee und einiges mehr.
Einem Parteitag der Jusos oder der Grünen Jugend zu lauschen, war auch vor 20 oder 30 Jahren schon eine Zumutung für jeden, der unserem Grundgesetz, der Marktwirtschaft und der freiheitlich-demokratischen Grundordnung zugeneigt war. Nur blieben die angezettelten Revolutionen und abgefeuerten Beschlüsse wie Pistolenkugeln im ballistischen Gel des Unterbaus der Gesellschaft stecken. Die absorbierte Energie ließ sich oft sogar in sinnvolle Beschäftigung lenken, wie etwa der prinzipiell richtige, aber in der Umsetzung von ideologischen Absolutismen befreite Umweltschutz zeigt. Kurz: Es gab überall in den Entscheidungsgremien von Parteien, Behörden, Universitäten und Ministerien „Erwachsene“, die die Maxime „so schlimm wird’s schon nicht werden“ verwirklichten, die Sauerei wegwischten, welche die geplatzten Seifenblasen hinterlassen hatten, mit sinnvollen Kompromissen den angestrebten Weltverbesserungen die Spitze nahmen und dem gierigen Nachwuchs vor dem Verzehr noch rasch die Alufolie von der Schokolade schälten.
Kinder an der Macht
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Quelle Ausschnitt, Zitat & kompletter Artikel von Roger Letsch
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Roger Letsch, Baujahr 1967, aufgewachsen in Sachsen-Anhalt, als dieses noch in der DDR lag und nicht so hieß. Lebt in der Nähe von und arbeitet in Hannover als Webdesigner, Fotograf und Texter. Sortiert seine Gedanken in der Öffentlichkeit auf seinem Blog unbesorgt.de