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Verhältnis von Wissenschaft und Politik
Das Szientismus-Paradox
Wissenschaftler als Talkshowhelden, die Politik setzt deren Wahrheiten um, denn das Haus brennt: Corona, Klima, Hitze, Krieg. Aber wenn sich Wissenschaft und Politik vermischen, verstärken sie Wissenschaftsskepsis und schwächen die politische Legitimation.
VON MATTHIAS SCHRAPPE am 30. Juli 2023
„Follow, listen to, unite behind science“, so schallt es allerorten. „Die“ Wissenschaft sagt, die Bürger sollen nicht auf die Straße, sollen mittags Siesta machen, Lockdown ist unumgänglich, und „die“ Politik setzt das um, wissenschaftlich fundiert, und zwar sofort. Politikberatung avanciert zur neuen Aufgabe, ja zur zentralen Pflicht der Wissenschaft.
Die Wissenschaft stellt ultimative Wahrheiten ins Schaufenster, die Politik sieht sich legitimiert und kann durchregieren. Bis zum Jahresende sei mit 1,2 Millionen Toten zu rechnen, so die versammelten Wissenschaftsorganisationen der Republik im April 2020, und die Kinder werden daran schuld sein, dass die Großeltern jämmerlich ersticken. In der FAZ vom 5.8.21 resümiert der Bonner Staatsrechtler Klaus Ferdinand Gärditz lakonisch: „Die Pandemie wurde zu einem populären Laboratorium angewandter Wissenschaftstheorie im demokratischen Prozess.“
Not und Krisen kennen kein Gebot
Ja, so kann man es auch sagen, wenn man nicht deutlicher werden will: Die Wissenschaft trumpft auf mit Wahrheiten, wo differente, wissenschaftlich abgeleitete Alternativen geboten wären, und die Politik sieht sich legitimiert, ohne die entsprechenden Konflikte im demokratischen Prozess hinreichend zu klären. Kollateralschäden (Kinder!) sind nicht der Rede wert, denn Not und Krisen kennen kein Gebot, es sei keine Zeit für umständliche Beratungen, zu Corona ebensowenig wie für Heizungs- und Energiegesetze.
Nur, die Analyse ergibt keine Win-win-Situation, sondern negative Auswirkungen auf beiden Seiten: Die schleichende Delegitimierung der Politik schreitet fort, da sie Konflikte und Wertentscheidungen nicht austrägt, und die Wissenschaft verengt ihren Diskurs immer weiter, sie halst sich Verantwortung für politische Entscheidungen auf, für die sie weder autorisiert noch legitimiert ist (und die ihr niemand danken wird). Natürlich ist ein intaktes Wissenschaftssystem für eine Gesellschaft extrem wichtig (Erkenntnisse, Innovationen, Handlungsalternativen), deswegen wird sie ja auch von dieser finanziert, und man sollte ihr zuhören. Also keine Wissenschaftsleugnung – aber auch keine Leugnung des eigenständig Politischen, des Ausfechtens von Interessen- und Wertekonflikten, so transparent wie irgend möglich.
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Quelle Zitat & kompletter Cicero-Artikel