Der AfD-Aufschwung in Umfragen …
… hat wenig bis nichts mit Nazi-Nostalgie oder Putin-Liebe der neuen Partei-Anhänger zu tun: Diese Menschen grauen sich vor dem, was gerade in Deutschland passiert. Und sie halten die Union nicht für mutig genug, sich dieser Entwicklung entgegenzustellen. …
In der vergangenen Woche wurde gemeldet, dass nur noch 54 Prozent der Deutschen es sich auf keinen Fall vorstellen können, irgendwann AfD zu wählen. Also eine Partei, die in den öffentlich-rechtlichen Medien und vielen Zeitungen so gut wie nie vorkommt, es sei denn, jemand aus ihren Reihen ist in einen Skandal verstrickt, über deren Programm wenig bekannt wird, eine Partei, deren Vertreter man fast nie interviewt, jedenfalls seltener als die Leute von der stark geschrumpften Linkspartei, eine Partei, die bei der Ämtervergabe in den meisten Parlamenten als einzige ignoriert wird, in einem Wort: eine Unpartei.
Es hat aber nichts genützt, die AfD zur Unpartei zu machen. Sie ist dabei, in den Umfragen die Grünen zu überflügeln. Im Osten wird die AfD, wenn der Trend so weitergeht, bald stärkste Partei. Ich halte dort auch absolute Mehrheiten inzwischen für denkbar, zumindest auf lokaler Ebene.
Ich kenne ein paar Leute, die AfD wählen oder kurz davor sind. Erstaunlicherweise findet niemand von ihnen diese Partei sonderlich attraktiv oder ihr Personal politisch sexy. Sie halten aber das, was gerade in Deutschland passiert, für eine Art woke Kulturrevolution, gerichtet gegen Leute wie sie und gepaart mit irrationaler, selbstzerstörerischer Klima-Panik. Diese Perspektive ist für sie ein solcher Horror, dass sie nach jedem Strohhalm greifen, und heiße der Halm AfD.
Der Aufschwung der AfD hat also für sie wenig bis nichts mit Nazi-Nostalgie zu tun, auch wenn viele Linke das selbstverständlich behaupten. Er hat für sie auch nichts mit einer Verliebtheit in Putin zu tun.
Viele wenden sich der Option AfD gerade aus antitotalitären Motiven zu. Sie haben den Eindruck, dass ihr Land sich zu einem historisch neuen Typus von Diktatur entwickelt, zu einem Land, in dem Freiheit und Bürgerrechte wenig gelten, wo Privatsphäre und Widerspruch nicht mehr selbstverständlich sind, wo Spitzel hofiert, aber die westliche Zivilisation und ihre Lebensweise verteufelt werden und wo eine wirtschaftlich und sozial geradezu suizidale Klima- und Migrationspolitik als alternativlos zu gelten hat.
Davor suchen diese Wähler Schutz, man kann sagen: verzweifelt. Der Union aber trauen diese Wähler nicht mehr den Mut zu, den es heute braucht, um die Interessen der Mehrheit auch mal gegen lautstarke Minderheiten zu verteidigen.
Zwei Welt- und Menschenbilder, eines unrealistisch
Im linken Berlin hatte die CDU Erfolg mit einem Wahlkampf, der fast an die Tage des Altchampions Helmut Kohl erinnerte, im linken Bremen präsentierte sie sich als Lightversion der Grünen und scheiterte, in Anbetracht der momentanen Stimmungslage wenig überraschend. Aber ist es überhaupt noch möglich, bürgerlich-liberale Politik zu machen?
Der neue Berliner CDU-Bürgermeister Kai Wegner nannte es „nicht akzeptabel“, wenn „Leute in Parks von Dealern angemacht werden“. Man werde in Parks auch wieder mehr Mülleimer installieren. Die Kreuzberger Grünen dagegen wollen das Müllproblem lösen, indem sie einfach alle Mülleimer entfernen, die Leute würden dann den Müll halt mit nach Hause nehmen.
Da erkannte man wie im Brennglas zwei grundverschiedene Welt- und Menschenbilder. Eines davon ist unrealistisch.
Ein Berliner Grüner quittierte Wegners Äußerungen mit dem Satz: „Der Kulturkampf von rechts beginnt.“ Mülleimer sind also rechts. Und Drogendealen ist links.
Es stimmt ja, es ist wirklich ein Kulturkampf im Gange, einer, bei dem die Linke seit Jahren auf der Siegerstraße reist. Inzwischen sitzen zum Beispiel in vielen Verlagen „Sensitivity Reader“, die verhindern sollen, dass ein falsches Wort oder ein falscher Gedanke erscheint. Die Frage ist, ob diese Entwicklung ungebremst für immer weitergeht oder ob doch irgendwer irgendwann ein Stoppschild errichtet.
In diesem Kampf ist es die wichtigste Waffe der Linken, jede Kritik an ihnen und jede, auch die winzigste politische Alternative, etwa einen an Kolonialismus und Patriarchat völlig unschuldigen Mülleimer, als „rechts“ zu diffamieren. Und „rechts“ bedeutet immer „rechtsradikal“, also „böse“. Bei „linksextrem“ dagegen denkt niemand mehr an Stalin, Mao und Pol Pot.
Auf diesen immer abgenutzteren Trick zur Demokratieverhinderung also fallen immer weniger Leute herein. Am klügsten wäre es, wenn die Union das Wort „rechts“ so offensiv verwenden würde, wie es die Homosexuellen mit dem einstigen Schimpfwort „schwul“ erfolgreich gemacht haben.
Aber ob sie den Mut dazu hat? Fest steht allerdings: Wer nicht kämpft, hat schon verloren.
Quelle Ausschnitt, Text & kompletter Artikel plus PDF* plus PDF*-Auszug Leserkommentare
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*Weil das Thema außerordentlich wichtig für die Fragestellung „AfD, Grüne, Wahlen, Deutschland“ ist, zitieren wir den Text als Text, als PDF und einen Kommentarauszug als PDF. Verweise und alle Kommentare der Leserschaft lesen Sie, wenn Sie WELTplus testen/abonnieren. Wir empfehlen WELTplus ausdrücklich: 30 Tage für 1 € testen. Achtung: Die Schnupperangebote können sich ändern!
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