Bundestag & Migration & Ausländerkriminalität aktuell: Debatte „Silvesterkrawalle“ 18.1.2023

Dr. Curio ungeschönt zur Lage

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Debatte zu Angriffen auf Polizei und Rettungskräfte in der Silvesternacht

Im Bundestag haben Vertreter der Regierungskoalition und der Opposition am Mittwoch, 18. Januar 2023, die gewalttägigen Angriffe gegen Rettungs- und Sicherheitskräfte in der Silvesternacht 2022/23 scharf verurteilt. Zugleich kam es in der von der CDU/CSU-Fraktion beantragten Aktuellen Stunde mit dem Titel „Die Silvesterkrawalle als Ausdruck von Respektlosigkeit gegenüber dem deutschen Staat und seinen Einsatzkräften“ zu einer scharfen Kontroverse über die Ursachen  der Übergriffe.

Union fordert „starken Staat“

CDU/CSU-Fraktionsvize Andrea Lindholz hob zu Beginn der Aktuellen Stunde hervor, dass von 145 in Berlin festgenommenen Randalierern zwei Drittel keine deutschen Staatsbürger seien. Das dürfe man nicht ignorieren.

Gegen solche Gewalt „helfen Polizei, Staatsanwaltschaft und klare politische Kante“, fügte sie hinzu. Die Lösung an dieser Stelle müsse „der starke Staat“ sein, „der sein Recht durchsetzt und alle schützt: Anwohner und Einsatzkräfte“.  

Integrationsbeauftragte: Nach Taten beurteilen, nicht nach Vornamen

Die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, Reem Alabali-Radovan (SPD), betonte, bei den „abscheulichen“ Vorkommnissen an Silvester habe es sich um „verrohte Jugendgewalt“ gehandelt, die konsequent bestraft werden müsse. Dabei müssten die Täter nach ihren Taten beurteilt werden „und nicht nach ihren Vornamen“.

Wer echte Problemlösungen wolle, müsse an die Ursachen von Jugendgewalt. Ethnie, Herkunft oder Religion erklärten nichts, sondern die sozialen Verhältnisse, in denen Menschen leben. „Die wichtigsten Risikofaktoren für solche Straftaten sind zudem Geschlecht und Alter, also männlich und jung zu sein“, fügte die Staatsministerin hinzu. Bei Integration gehe es nicht nur um geografische Herkunft oder Einwanderungsgeschichten, sondern auch um Chancen, Teilhabe und Perspektiven sowie um den „Respekt vor unserer Werteordnung“ und den Vertretern des Staates.  

AfD kritisiert „Kultur der Anmaßung“

Dr. Gottfried Curio (AfD) sagte, die Silvesternacht zeige die „grundsätzliche Verachtung mancher Migranten gegenüber dem deutschen Staat“. Bei einem „kleinen, gewissen Teil dieser Leute“ werde eine „Kultur der Anmaßung und der Grenzüberschreitung gegenüber dem Rechtstaat gepflegt“.

Wer Einsatzkräfte behindert und attackiert, müsse hart bestraft und sofort abgeschoben werden. Wer das Problem an der Wurzel packen will, müsse angesichts der „hohen Kriminalitätsrate migrantischer Gruppen endlich dementsprechend handeln, die geplanten Einwanderungspakete ad acta legen“, ein Aktionsprogramm gegen Ausländerkriminalität auflegen, abgelehnte Straftäter dauerhaft abschieben und „nicht immer weitere Hochrisikogruppen ins Land holen“.      

Jugendministerin warnt vor Vorverurteilungen

Lisa Paus (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, entgegnete, das Deutsche Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung betone in einer vorläufigen Analyse, dass die Silvesterkrawalle eben kein Migrationsthema seien. Die Ministerin nannte die Angriffe auf die Sicherheits- und Rettungskräfte in der Silvesternacht „unerträglich“ und forderte eine schnelle Bestrafung der Täter.

Ebenso wichtig sei eine Versachlichung der Debatte, mahnte Paus und warb dafür, das vom Bundesinnenministerium angekündigten Lagebild abzuwarten und dann die Tatsachen zu bewerten. Vorschnelle Bewertungen und Vorverurteilungen spalteten die Gesellschaft. Der Rechtsstaat sei deshalb stark, weil er individuelle Schuld aufarbeite und „nicht pauschal vorverurteilt nach Aussehen oder wie jemand mit Vornamen heißt“.

Linke wirft Union „Stimmungsmache“ vor

Gökay Akbulut (Die Linke) sagte, wer sich an solchen Straftaten wie in der Silvesternacht beteiligt, müsse selbstverständlich die rechtsstaatlichen Konsequenzen spüren. Akbulut warf zugleich der Union vor, die Ausschreitungen der Silvesternacht für ihre „Stimmungsmache“ gegen Migranten zu instrumentalisieren. „Die CDU vergiftet erneut die gesellschaftliche Stimmung in unserem Land und bereitet damit den Nährboden für rassistische Übergriffe“, kritisierte die Linken-Abgeordnete.

Dass es in den meisten Städten, in denen viele Migranten leben, weitestgehend ruhig geblieben sei, interessiere die Union nicht. Ohne jedes Fachwissen versuche sie einen Zusammenhang zwischen Herkunft und Kriminalität zu konstruieren. Was die CDU gerade betreibe, sei „zutiefst integrationsfeindlich“.

Justizminister plädiert für „abschreckende Strafen“

Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) mahnte, der Rechtsstaat müsse zeigen, dass er wehrhaft sei. Natürlich könne er den Justizbehörden in konkreten Ermittlungsverfahren nicht vorschreiben, was sie zu tun haben. Es gebe jedoch die gesellschaftliche Erwartungshaltung, dass die Taten der Silvesternacht zügig aufgeklärt werden. Bei Beweismitteln für einen hinreichenden Tatverdacht müsse schnell Anklage erhoben werden, und wenn sich ergebe, „dass die Beschuldigten Schuldige sind, dann brauchen wir auch abschreckende und angemessene Strafen“.

Wer Sachbeschädigung begehe, andere Menschen verletze oder Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte leiste, könne man „für mehrere Jahre ins Gefängnis stecken“. Hier gebe es kein Gesetzgebungsdefizit. „Wenn es ein Defizit gibt, dann ist es ein Gesetzdurchsetzungsdefizit“, betonte der Ressortchef.   

Union: Müssen über das Thema Integration sprechen

Alexander Throm (CDU/CSU) unterstrich, dass der Gewaltausbruch an Silvester in einem ungeahnten Ausmaß die Respektlosigkeit zeige, die in Teilen der Gesellschaft gegenüber dem Staat und seinen Repräsentanten bestehe. Dazu sei es in vielen Städten und vor allem Großstädten gekommen, doch habe Berlin eine „unrühmliche Spitze“ ausgemacht mit 145 Tätern. Dabei seien bei weitem nicht alle gefasst worden.

Bei den Tätern handele es sich überwiegend um junge Männer mit Migrationsgeschichte aus bestimmten Milieus und Stadtteilen. Deshalb müsse man auch über das Thema Integration sprechen. Dabei dürfe man nicht nur die „millionenfach gelungenen Integrationen in Deutschland“ loben, sondern auch die Probleme ansprechen. Wer die Realität nicht betrachte, sei selbst Teil des Problems, denn er könne die Ursachen nicht angehen.  

SPD: Auch eine Frage mangelnder Lebensperspektiven

Uli Grötsch (SPD) sagte, bei den Verdächtigen in Berlin handele es sich überwiegend um junge Männer mit Migrationshintergrund, doch dürfe man nicht die 1,4 Millionen Berliner mit Migrationshintergrund über einen Kamm scheren.

Es stehe völlig außer Frage, dass die Täter aus der Silvesternacht „hart und drastisch“ bestraft werden müssten. Es gehe aber in dieser Debatte auch um soziale Ursachen. „Es ist eben auch eine Frage mangelnder Lebensperspektiven“ und habe „nicht in erster Linie mit einem Migrationshintergrund oder mit Vornamen zu tun“, fügte Grötsch hinzu.

Grüne werfen Union Spaltung der Gesellschaft vor

Lamya Kaddor (Bündnis 90/Die Grünen) kritisierte, die Union habe bald nach der Silvesternacht die Vornamen der Täter wissen wollen, weil ihr die Auskunft nicht ausgereicht habe, dass es junge, alkoholisierte Männer seien. „Sie spalten und bringen Bevölkerungsgruppen gegeneinander in Stellung“, unterstrich Kaddor.

Die Union zeige auf Menschen mit Migrationshintergrund, ohne zu merken, dass mindestens jede vierte Person in Deutschland eine Einwanderungsgeschichte habe. Auch verkenne sie, dass während der Krawalle auf beiden Seiten Männer mit Migrationshintergrund gestanden hätten.                 

FDP gegen Strafverschärfungen

Stephan Thomae (FDP) wandte sich gegen Strafverschärfungen. Deren Abschreckungswirkungen gehe „gegen Null“. Wichtig sei, dass das Gesetz schon jetzt eine Verurteilung ermögliche. Man habe es also nicht mit Strafbarkeitslücken zu tun, und auch die Strafrahmen stimmten. Es müsse aber darauf geachtet werden, „dass davon auch Gebrauch gemacht wird“, mahnte Thomae.

Zugleich wandte er sich gegen die „furchtbare Vereinfachung“, dass „Migration und Kriminalität sozusagen ein- und dasselbe“ seien. Dies sei das Geschäftsmodell der AfD. (sto/18.01.2023)

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