Henryk M. Broder ordnet die „Volksverhetzung“ ein:
MehrDer Staat will gegen Gegner der Corona-Politik vorgehen, die sich den „gelben Stern“ anheften. Das ist bemerkenswert – denn sonst interessiert sich die Politik selten dafür, wer den Holocaust relativiert. Und der Umgang mit den „Ungeimpften“ wirft mitunter Fragen auf, die einen Blick in die deutsche Geschichte nahelegen.
Der Paragraf 130 ist einer jener Gummiparagrafen, bei denen es vor allem auf die Auslegung ankommt. Er kommt selten zur Anwendung, weil er auf Voraussetzungen beruht, die ihrerseits schwammig sind und mit dem Grundrecht auf Meinungsfreiheit kollidieren. Ein Beispiel, das Rechtsgeschichte geschrieben hat, ist der Satz „Soldaten sind Mörder“, erschienen in einem Beitrag von Kurt Tucholsky in der „Weltbühne“ vom 4. August 1931. Carl von Ossietzky, der verantwortliche Redakteur der pazifistischen Wochenzeitung, wurde wegen „Beleidigung der Reichswehr“ angeklagt und mit der für damalige Zeiten sensationellen Begründung freigesprochen, dass „keine bestimmte Anzahl von Personen gemeint wäre“ und auch nicht klar sei, „dass gerade die Angehörigen der Reichswehr, die am Weltkrieg teilgenommen haben, gemeint seien“. Strafbar sei eine Ehrkränkung nur, „wenn sie sich auf Personen, nicht aber auf eine unbestimmte Gesamtheit“ bezöge.
Ein halbes Jahrhundert später musste sich auch die Justiz der Bundesrepublik mit dem Tucholsky-Satz beschäftigen, jahrelang und über viele Instanzen, bis das Bundesverfassungsgericht 1994 entschied, es liege kein Fall von Beleidigung und Volksverhetzung vor.
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