Die Spannungen zwischen Russland und dem Westen machen eine gefährliche Abhängigkeit Deutschlands deutlich: Nicht nur Erdgas importieren wir aus dem Osten, sondern auch Öl und Kohle. Kraftwerken, Fabriken und Hausheizungen droht bei einem Lieferstopp der Stillstand.
Im Falle einer Eskalation des Ukraine-Konflikts hätte Deutschland Schwierigkeiten, am Weltmarkt ausreichend Ersatz für womöglich ausbleibende russische Energielieferungen zu bekommen. Über entsprechende Daten und Analysen von Energieexperten berichtet WELT AM SONNTAG.
Nach zum Teil noch unveröffentlichten Daten der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) betrug die Energieabhängigkeit Deutschlands im Jahre 2020 insgesamt 64 Prozent. Die Energieabhängigkeit ist definiert als Verhältnis von Nettoimporten und verfügbarer Bruttoenergie.
Den neuen BGR-Zahlen zufolge hatte Russland einen Anteil von 34 Prozent an den deutschen Erdöl-Importen. Bezogen auf den deutschen Verbrauch betrug der Anteil russischer Erdgas-Lieferungen knapp über 50 Prozent.
Industrie hat keine Ersatzmöglichkeit
Die Steinkohlen-Importe stammten zu 45 Prozent aus Russland. Steinkohle-Kraftwerke haben aktuell einen Anteil von 9,3 Prozent an der Deckung des deutschen Strombedarfs.
„Energierohstoffe in dieser Größenordnung lassen sich nicht kurzfristig substituieren“, sagte Martin Pein, Energieexperte der BGR. „Eine Marktstellung, wie sie Russland bei Kohle, Gas und Öl hat, schnell und vollständig zu ersetzen ist äußerst schwierig bis unmöglich.“
Ähnlich äußerte sich Hubertus Bardt, Leiter Wissenschaft des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW Köln): „Die Möglichkeiten der Substitution von Gas durch andere Energieträger sind beschränkt“, sagte er. Das sei bestenfalls in kleinen Teilen der Stromproduktion möglich.
„Das Potenzial, Gas- durch Kohlekraftwerke zu ersetzen, dürfte unter zehn Prozent des Gasverbrauchs liegen“, sagt der IW-Wissenschaftler. „In der Industrie gibt es praktisch keine nennenswerte kurzfristige Ersatzmöglichkeit, bei der Hausheizung auch nicht.“