Verschandeln Windräder ihre Umgebung? Für Robert Habecks Energie-Staatssekretär Oliver Krischer (Grüne) eine „Geschmacksfrage“. Er verrät, wie er blockierende Bundesländer beim Ausbau auf Kurs bringen will. Und was kommt bei den Strompreisen auf die Deutschen zu?
Quelle grün-rot-kursives Zitat & kompletter WELTplus-Artikel* mit allen Kommentaren/Verweisen
WELT: Herr Krischer, die Strompreise steigen so schnell wie nie. Bei langfristigen Lieferungen haben sich die Großhandelspreise seit Jahresbeginn verdoppelt; kurzfristig gekaufter Strom ist sogar dreimal so teuer geworden. Was kommt auf die Verbraucher 2022 zu?
Oliver Krischer: Die Weltmarktpreise für Gas, Öl und Kohle sind stark gestiegen. Beim Gas hat das insbesondere mit der Lieferzurückhaltung aus Russland zu tun. Wir sehen gerade wie fatal die Abhängigkeit von fossilen Gas- und Ölimporten ist, die die Verbraucher zum Spielball von geopolitischen Interessen machen.
Das wird die Verbraucher in 2022 auch bei den Strompreisen treffen, auch weil attraktive Wechselmöglichkeiten zu anderen Anbietern fehlen. Die Bundesregierung hat entschieden, die EEG-Umlage, mit der der Ausbau der erneuerbaren Energie finanziert wird, auf null zu senken. Das wird dafür sorgen, dass die Kunden beim Strompreis deutlich entlastet werden.
WELT: Zwischen 2010 und 2020 ist die Belastung für Stromkunden durch Steuern, Abgaben und Umlagen um rund 70 Prozent gestiegen – inwieweit werden sie nun entlastet?
Krischer: Die Kilowattstunde Strom kostet im Durchschnitt knapp 32 Cent, die EEG-Umlage wird ab Januar in einem ersten Schritt von 6,5 Cent auf rund 3,7 Cent abgesenkt, das sind rund 100 Euro für eine vierköpfige Familie im Jahr. Das spürt man also schon. Die neue Bundesregierung hat zudem entschieden, die EEG-Umlage, mit der der Ausbau der erneuerbaren Energie finanziert wird, zum Januar 2023 auf null zu senken. Das wird dafür sorgen, dass die Verbraucher weniger für Strom bezahlen müssen.
WELT: Dafür steigt der CO2-Preis beim Heizen und Kraftstoffen. Werden die Verbraucher am Ende also noch stärker zur Kasse gebeten?
Krischer: Der CO2-Preis, der für Emissionen von Kohlenstoffdioxid gezahlt werden muss und den die Koalition aus Union und SPD eingeführt hat, steigt 2022 um fünf Euro, er liegt dann bei 30 Euro pro Tonne CO2. In den kommenden Jahren geht es dann in kleinen Schritten weiter, wie es die letzte große Koalition beschlossen hat. Auf weitere Preissteigerung hat die Ampel-Koalition verzichtet, gerade weil wir die soziale Dimension im Blick haben. Angesichts der fossilen Energiepreisentwicklung konzentrieren wir uns darauf, Anreize für die Bürger zu geben, in CO2-freie Technologien wie den Einbau von Wärmepumpen, Fotovoltaikanlagen oder Pelletheizungen zu investieren.
WELT: Als Kompensation für steigende Kosten durch den CO2-Preis wurde im Koalitionsvertrag ein „Klimageld“ für die Verbraucher vereinbart, allerdings recht vage. Kommt das nun?
Krischer: Dieses „Energie-“ beziehungsweise „Klimageld“ ist dazu gedacht, zusätzliche CO2-Preiserhöhungen auszugleichen. Da es die nicht gibt, kann es naturgemäß auch eine Rückzahlung erst mal nicht geben.
WELT: Wieso denn das? Wir zahlen doch aufgrund des CO2-Preises schon jetzt mehr an der Tankstelle.
Krischer: Die Preissteigerungen an der Zapfsäule gehen nur zum geringsten Teil auf die CO2-Bepreisung zurück. Außerdem: Diese Einnahmen aus dem CO2–Preis fließen bereits an die Menschen zurück, so wie die große Koalition das auf grünen Druck am Ende beschlossen hatte, nämlich insbesondere in die Absenkung der EEG-Umlage zum Anfang des nächsten Jahres.
WELT: Die Energiepreise sind in Deutschland im internationalen Vergleich inzwischen so hoch, dass die Unternehmen einen Industriestrompreis fordern. Wie stehen Sie dazu?
Krischer: Wir haben zahlreiche Mechanismen, mit denen die Wirtschaft hohe Preise abfedern kann, zum Beispiel die besondere Ausgleichsregelung bei der EEG-Umlage. Was ich seitens der Industrie eher höre als den Ruf nach Preissenkungen ist die Forderung, möglichst schnell die erneuerbaren Energien auszubauen, damit eine zuverlässige und klimaschonende Energieversorgung gesichert ist.
Und dass die Firmen auch einen direkten Zugang zum Kauf dieses billigen Ökostroms bekommen. Momentan ist Strom aus Gas- und Kohlekraftwerken dreimal so teuer wie die Vergütungssätze für neue Wind- und Fotovoltaik-Anlagen. Wenn weiter teure Gas- und Kohlekraftwerke den Strompreis setzen, wird dieses Land schleichend deindustrialisiert.
WELT: Schlüsselbranchen im Land wie der Automobil- oder Maschinenbau, die Chemieindustrie oder die Stahlkocher sind extrem energieintensiv. Was plant die Ampel-Koalition, um die Unternehmen zu entlasten?
Krischer: Ein Beispiel: Wir unterstützen die CO2-freie Herstellung von Stahl durch sauberen Wasserstoff. Dazu fördern wir die Anlagen, die nötig sind, um diesen Wasserstoff zu erzeugen. Und wir klären die Frage der Beihilfen in Brüssel, damit eine Unterstützung bei den Investitionskosten rechtlich möglich ist. Wir wollen Transformations-Weltmeister werden, und ich sehe mit Bedauern, dass der erste grüne Stahl nicht aus Deutschland, sondern aus Schweden kommt.
WELT: Windkraft spielt eine zentrale Rolle beim Ausbau der erneuerbaren Energien, allerdings sind die Planungs- und Genehmigungsverfahren extrem lang. Was wollen Sie dagegen tun?
Krischer: In den vergangenen Jahren ist eine wahre Genehmigungs- und Verhinderungsbürokratie entstanden, deshalb fällt Deutschland im internationalen Vergleich beim Ausbau Windkraft- und Fotovoltaikanlagen zurück. Es ist absurd, wenn man zehn Jahre braucht, um ein Windrad aufzustellen. Wir müssen diese langen Vorlaufzeiten mindestens halbieren, um voranzukommen. Dazu gehört unter anderem zu schauen, wo wir Flächenpotenziale haben, beispielsweise durch die Überprüfung der Regeln für die Flugsicherungsradare, aber natürlich brauchen wir auch rechtliche Änderungen und unbedingt mehr Fachkräfte in den Genehmigungsbehörden.
WELT: Wird die Bundesregierung den Ländern die Freiheit lassen, den Mindestabstand zwischen Windrad und Wohnbebauung selbst festzulegen? Gerade in Bayern haben die strikten Abstandsregelungen ja fast zu einem Ausbaustopp der Windenergie geführt. Muss es da bundeseinheitliche Regelungen geben?
Krischer: Wenn ein Bundesland darlegt, dass es die zwei Prozent Fläche für Windkraft auch mit einer Abstandsregelung schafft: auch gut! Ich habe nur den Eindruck, dass die Länder, die besonders harte Abstandsregelungen haben, auch diejenigen sind, in denen besonders wenig Windkraft-Ausbau stattfindet. Es kann ja nicht sein, dass wir dann einzelne Länder haben, die ihren Beitrag leisten, andere aber nicht. Hier werden wir noch Gespräche führen müssen.
WELT: Wenn es nicht zu dieser Einigung kommt, schließen Sie eine Regelung des Bundes also nicht aus?
Krischer: Wir verstehen unsere Rolle als Bund schon so, dass wir solche Fragen im gemeinsamen Miteinander lösen. Aber wenn wir nicht zu einem gütlichen Einvernehmen kommen, müssen wir uns anschauen, welche Möglichkeiten zum Beispiel das Bundesbaugesetz bietet.
WELT: Was sagen Sie den Menschen, die das Gefühl haben, die zum Teil groteske Verspargelung der Landschaft mit Windenergie sei ein zu hoher Preis?
Krischer: Ich finde, das ist eine Geschmacksfrage. Wenn ich zum Beispiel mit Menschen in Schleswig-Holstein, wohl dem Land mit der höchsten Windrad-Dichte, rede, da wird das ganz anders beurteilt. Die sagen: Windräder gehören zum Landschaftsbild. Das wird natürlich unterschiedlich diskutiert. Aber die Frage ist natürlich immer: Was ist die Alternative?
Wenn Sie jetzt mal zum Beispiel ins Sauerland gehen: Da sind riesige Fichten-Forste über Hunderte Hektar praktisch tot, eine Landschaft, die sich in den letzten drei Jahren rigoros gewandelt hat infolge der Klimakrise: Da hat sich die Stimmung gegenüber der Windenergie geändert und ist definitiv offener geworden.
*Weil das Thema außerordentlich wichtig für die Fragestellung „Klimawandel“ ist, zitieren wir den Text. Verweise und Kommentare der Leserschaft lesen Sie, wenn Sie WELTplus testen/abonnieren. Wir empfehlen WELTplus ausdrücklich: 30 Tage kostenlos testen.