Der Deutsche Ethikrat …
… hat sich in seiner Empfehlung für eine Ausweitung der Impfpflicht ausgesprochen. Allerdings ist umstritten, für wen diese gelten soll. Einige Mitglieder wollen nämlich nur eine bestimmte Gruppe in die Pflicht nehmen.
Als Bund und Länder Anfang des Monats den Deutschen Ethikrat um eine Einschätzung zur allgemeinen Impfpflicht baten, hofften sie auf ein klares Signal. Schließlich spaltet das Thema nicht nur die öffentliche Debatte, sondern auch die regierenden Ampel-Parteien selbst. Während noch vor ein paar Monaten keine einzige Fraktion solch einen Schritt forderte, sprechen sich mittlerweile reihenweise Spitzenpolitiker für eine Impfpflicht aus.
MehrDoch insbesondere durch die FDP geht dabei ein tiefer Riss: Bereits vergangene Woche legte eine Gruppe von 20 Bundestagsabgeordneten rund um Wolfgang Kubicki (FDP) einen Gruppenantrag vor, der sich klar gegen die Einführung einer Impfpflicht ausspricht. Es ist der erste Antrag von mehreren, die für die Bundestagsdebatte im Frühjahr erwartet werden. Kanzler Olaf Scholz (SPD) hatte zuvor vorgeschlagen, das Thema ohne Fraktionszwang, sondern als Gewissensentscheidung jedes einzelnen Abgeordneten zu behandeln. Zuletzt war dies bei der Abstimmung zur Organspende im Januar vergangenen Jahres der Fall.
Doch die vom Deutschen Ethikrat nun am Mittwoch veröffentlichte 27-seitige Stellungnahme kommt zu keiner eindeutigen Handlungsempfehlung. Mit der Überschrift „Ausweitung einer gesetzlichen Impfpflicht“ wird zwar dafür plädiert, die einrichtungsbezogene Impfpflicht, die bereits etwa für Pfleger und Krankenhaus-Mitarbeiter beschlossen wurde, zu erweitern – umstritten bleibt darin jedoch die Frage, für wen.
Von den 24 Ratsmitgliedern haben 20 der Empfehlung zugestimmt. Diese teilt sich in zwei Positionen auf.
Position eins: nur Ältere und Vorerkrankte
Sieben von 20 Ratsmitgliedern plädieren demnach dafür, eine Ausweitung der Impfpflicht auf erwachsene Personen zu beschränken, die in Bezug auf Covid-19 besonders vulnerabel sind, etwa Ältere und Vorerkrankte. „Die Auswahl der einzubeziehenden Personen orientiert sich an dem Ziel, eine Überlastung des Gesundheitswesens, speziell der Intensivstationen, zu vermeiden“, heißt es in dem Papier. Die konsequente Umsetzung einer beschränkten Impfpflicht „erscheine als ausreichend“, um eine Überlastung des Gesundheitssystems zu erreichen. Bei den über 60-Jährigen bestehe nach wie vor eine Impflücke von über drei Millionen Menschen.
Besonders gefährdete Personen zur Impfung zu verpflichten, erscheine dabei verhältnismäßig, heißt es weiter. Da Ältere und andere Angehörige von Risikogruppen individuell höhere Risiken dafür tragen, intensivpflichtig zu werden, weise eine Impfung für sie einen „besonders hohen persönlichen Nutzen“ auf – sodass ihnen eine verpflichtende Impfung auch „eher abverlangt“ werden könne. Zudem fielen angesichts des gesteigerten Eigennutzens einer Impfung deren mögliche Nebenwirkungen „weniger ins Gewicht“.
Solch eine Beschränkung könne zudem auch „als ein Beitrag zur Gerechtigkeit und Solidarität“ verstanden werden. Denn solange im vergangenen Jahr keine Impfungen zur Verfügung standen, zeigten sich weniger gefährdete Menschen durch die Hinnahme teils massiver und lang anhaltender Freiheitsbeschränkungen „in hohem Maße solidarisch“ gegenüber Älteren und Vulnerablen.
Zudem gebe es eine Reihe von „Ungewissheiten und Umsetzungsproblemen“, heißt es, welche vorher geklärt werden müssten, bevor eine allgemeine Impfpflicht für alle Bürger verabschiedet würde.
Position zwei: alle impfbaren Erwachsenen
Im weiteren Verlauf des Papiers wird die zweite Position erörtert: 13 Ratsmitglieder befürworten die Ausweitung auf alle in Deutschland lebenden impfbaren Erwachsenen. Zu Beginn steht in der Begründung: „Leitend für die Empfehlung einer allgemeinen gesetzlichen Impfpflicht ab 18 Jahren ist das Ziel einer nachhaltigen, dauerhaft tragfähigen und gerechten Beherrschung der Pandemie, das heißt das Erreichen einer kontrollierten endemischen Situation.“
Dazu reiche, da sind die Mitglieder überzeugt, ein schrittweises Vorgehen bei einer Impfpflicht nicht aus. Sie bleibe „immer hinter den Wellen der Pandemie“ und erhöhe die Gefahr einer ständigen Wiederkehr „von Kontaktbeschränkungen aller Art“ – unter denen insbesondere Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene zu leiden hätten. Eine allgemeine gesetzliche Impfpflicht liege daher nicht nur im Interesse vulnerabler Gruppen, sondern auch im Interesse der jungen Generation.
Zudem sei eine sinnvolle Einteilung in Risikogruppen „schwierig“, da neben dem Alter vielfältige weitere Risikofaktoren berücksichtigt werden müssten. Es habe sich gezeigt, dass eine Priorisierung zu zeitlichen Verzögerungen führen könne. Auch könne eine „Risikostratifizierung“ ungerecht sein, weil gesetzliche Grenzziehungen „stets Elemente von Willkür aufweisen und zu Stigmatisierungen sowie weiteren Konflikten innerhalb der Gesellschaft führen können“.
Darüber hinaus müssten auch diejenigen geschützt werden, die sich entweder nicht impfen lassen können oder denen die Impfung keinen verlässlichen Schutz gegen schwere oder tödliche Erkrankungen bietet. Zudem trage eine Eindämmung des Gesamtinfektionsgeschehens dazu bei, die „hohe Anzahl“ von Long- und Post-Covid-Patienten zu reduzieren. Dies erfordere aufgrund der hohen Infektiosität der Delta- und Omikron-Variante „zwingend eine sehr hohe Impfquote in der Gesamtbevölkerung“. Diese sei ohne die Einbeziehung auch jüngerer Erwachsener in eine allgemeine gesetzliche Impfpflicht nicht zu erreichen.
Welches Ethikratmitglied welche der beiden Positionen unterschrieben hat, wird aus dem Papier nicht deutlich. Vorsitzende des Ethikrats ist Alena Buyx, Medizinethikerin an der Technischen Universität München. Zu ihren drei Stellvertretern gehören der Jurist Volker Lipp von der Universität Göttingen, der Philosoph Julian Nida-Rümelin und Susanne Schreiber, Professorin für Theoretische Neurophysiologie an der Humboldt-Universität in Berlin.