Beispiel Polen
MehrDie neue deutsche Außenministerin ist bei ihrem Antrittsbesuch in Warschau mit einer Liste polnischer Unzufriedenheiten, Vorhaltungen und Forderungen gegenüber Berlin konfrontiert worden. Ihr polnischer Kollege Zbigniew Rau würdigte zwar zu Beginn einer zwanzig Minuten währenden Stellungnahme, dass Annalena Baerbock nach ihren Vorstellungsvisiten in Paris und Brüssel gleich nach Warschau gekommen sei: Das sei „eine große Freude“ und die Fortsetzung einer „schon guten Tradition“ und ein „symbolisch sehr wichtiges Element“. Doch nachdem Rau diese Geste als ein Zeichen guter Nachbarschaft und gegenseitigem Respekt gewürdigt hatte, kam er zu der Angabe, dass „es auch Dinge gibt, bei denen wir uns erheblich unterscheiden“.
Er skizzierte kurz das historische Schicksal Polens im 20. Jahrhunderts als Beute zweier grausamer Besatzungsmächte, Deutschlands und der Sowjetunion, umriss die polnische Einschätzung der aktuellen russischen Aggression, stellte anschließend fest, dass Polen niemals einverstanden sein werde mit einer Welt, die in Einflusssphären von Großmächten aufgeteilt sei, und eröffnete dann seine Liste von Vorwürfen mit der Bemerkung, zur Stärkung dieser Gefährdung habe auch Deutschland beigetragen.
Auch historisch nicht alle Fragen gelöst
Schon 2004 habe die polnische Regierung den damaligen deutschen Außenminister Joschka Fischer eindringlich gewarnt vor dem Bau der ersten russischen Erdgaspipeline Nord Stream 1 durch die Ostsee nach Deutschland. Nun sei 17 Jahre später wieder eine deutsche Außenministerin, die zur Partei der Grünen gehöre, im Amt, und eine zweite Nord Stream Pipeline sei kurz vor der Fertigstellung. Polen werde sich weiter dagegen wenden, dass dieses Projekt vollendet werde. Auch historisch seien viele Fragen zwischen Deutschland und Polen „nicht so gelöst, wie es dem Gefühl der Gerechtigkeit“ vieler Menschen entspreche.
Noch immer warte Polen auf die Rückführung geraubter Kunst und einen Wiedergutmachungs-Mechanismus für zerstörte Kulturgüter. Auch der Blick in die Zukunft war dem polnischen Außenminister Anlass zu Sorge. Er bezog sich auf die Aussagen im Koalitionsvertrag der neuen deutschen Regierung, in dem die Weiterentwicklung Europas hin zu einem föderalen Staat postuliert wird. Rau sagte: „Wir sind nicht interessiert an der Förderalisierung Europas“.
Baerbock erwiderte, sie freue sich, dass das deutsche Koalitionsabkommen im Ausland so deutlich studiert werde, und setzte dann ein eigenes Erlebnis aus dem Jahr 2004 gegen die Rau’schen Mahnungen. Sie habe damals, auch mit Joschka Fischer, auf der Oderbrücke zwischen Frankfurt und Slubice gestanden und den Beitritt Polens zur EU gefeiert. Sie sagte Grundsätzliches: für die neue Bundesregierung werde „die nie endende Verantwortung immer Verpflichtung bleiben“. Und sie sagte Bestimmtes: „Es gehöre zu einer freundschaftlichen Beziehung dazu, auch über Differenzen zu reden. Deshalb habe sie mit Rau auch über „das Thema Rechtsstaatlichkeit“ gesprochen. Sie wolle da keinesfalls öffentliche Ratschläge geben, aber sie wünsche sich „auf jeden Fall eine Lösung, die Europa stärker macht“.
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Allein der letzte Satz des Zitats belegt, in welch traumtänzerischen Allgemeinplätzen sich die neue Außenministerin bewegt.