Da hat der Welt-Chefkommentator Torsten Krauel ja mal eine Meinung rausgehauen. Diese wird von den Leser weitgehend geteilt:
Wer beim Thema Klima mit radikaler Verbotspolitik …
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… liebäugelt, der sollte einen Blick auf China in den 1970er-Jahren wagen. Dort drückte die Regierung heftige Regeln für den Alltag durch, private Fernreisen waren tabu, sogar der Stromverbrauch war reguliert. Die Folge: Revolte.
Ende der 70er-Jahre gab es ein Land, in dem eine ökologische Radikalwende mitsamt ihrer Verbotskultur bereits seit dreißig Jahren Alltag war. Die Wende sollte nicht den Klimawandel stoppen, sondern die Gesellschaft gerechter machen. Im Ergebnis aber und auch in ihrem anfänglichen Idealismus ähnelte sie Zielen, die heute Befürworter einer ökologisch-gesellschaftlichen Radikallösung zu beseelen scheinen.
Es gab in jenem Land wirtschaftliches Nullwachstum, eine soziale Grundsicherung und eine nationale Mietpreisbremse. Der Stromverbrauch war streng reguliert. Die Belegung einer Wohnung nur durch eine Person war ebenso untersagt wie private Fernreisen. Inlandsflüge waren abgeschafft. Der Individualverkehr fand auf dem Fahrrad statt.
Die Luftqualität war in Land und Stadt fantastisch. Besonders an glasklaren Wintertagen, denn Heizbrennstoff war ebenfalls streng rationiert. Die Menschen hatten aber unglückliche Gesichter, wenn sie abends nach Hause radelten und dort im Winter weiterfroren oder wenn sie sich im Sommer durch Platzregen oder Staubstürme heimwärts kämpfen mussten.
Das Land war China, und dort kam im Sommer 1979 ein Film über Amerika ins Kino. Er begann mit einer klimapolitisch idealen Winterszene – eine unberührte Schneelandschaft, majestätisch davonschwebende Vögel, ein Fluss, das Ganze untermalt von einer elegischen Choralversion des Songs „When a child is born“. Die Kamera stand auf einer Anhöhe und glitt langsam empor, bis unterhalb ihres Standorts am Fluss ein Motiv ins Bild geriet, auf das die ganze Eingangssequenz dramaturgisch zugeschnitten war – eine vierspurige Autobahn mit dichtem Verkehr.
In dem Moment, an dem in einem Shanghaier Kino in einer bis auf den letzten Platz besetzten Vorstellung diese Autos sichtbar wurden, durchbrach ein vielhundertfaches, sehnsuchtsvolles Aufseufzen die konzentrierte Stille.
Der kollektive Seufzer war der Vorbote einer Revolte gegen die Verbotskultur und gegen die Radikalwende. Das Regime rettete sich nur dadurch, dass es alle Konsumverbote fallen ließ und scheinbar wider alle Vernunft einen Aufbaukurs einschlug, der die klare Winterluft in Smog verwandelte. Die Menschen nahmen den Smog in Kauf. Wohlstand und eine im Vergleich zum bisherigen Verbotsregime individuelle Alltagsfreiheit waren ihnen wichtiger.
China 1979 ist eine Warnung an diejenigen, die klimapolitisch auf zeitgleich erlassene vielfache Verbote und auf einen Radikalumbau der Wirtschaftsordnung setzen. Das geht fünf, zehn Jahre scheinbar gut; danach beginnen die Radikalität und die Verbotskultur, eine Eigendynamik zu entwickeln.
Radikalität erstickt die Suche nach Alternativen, Widerstand muss erst abgewehrt und mit steigenden Zweifeln an der Sinnhaftigkeit des ganzen Kurses erstickt werden, und wenn es erst einmal so weit gekommen ist, wird auch nicht mehr zwischen fundierter Kritik und Querulantentum unterschieden.
In solcher Stimmung obsiegt politisch, wer die konsequentesten Verbote vorschlägt, und Wissenschaftsdebatten ebenso wie kulturelle oder wirtschaftliche Sichtweisen werden zu Machtfragen, die Machtwillen generieren. Bei Corona hat man das im Wettlauf zwischen Laschet und Söder oder zwischen den wissenschaftlichen Denkschulen ansatzweise gesehen.
Das Verbot der privaten Hauskamine in London zur Vermeidung des Wintersmogs funktionierte, weil es zu dem Zeitpunkt nur einen einzigen Alltagsbereich betraf (und die positiven Folgen sofort sichtbar wurden). Dasselbe gilt für das Verbot der Glühbirne. Einzeln, mit zeitlichem Abstand, ist das durchsetzbar. Eine Verbotslawine, die die gesamte Lebensweise umstürzt, gebiert Gegenbewegungen. Auch das war bei Corona ansatzweise zu sehen.
Eine Radikalwende mag wie in China für eine begrenzte Zeit funktionieren. Die in jedem Radikalismus und jeder Verbotskultur angelegte totalitäre Versuchung aber und die Sehnsüchte der später Geborenen sind Faktoren, die solche Politik schließlich zum Scheitern verurteilen.
Deutschland wäre dann ebenfalls reif für einen kollektiven Kinoseufzer. Die Politik käme nur noch wie in China durch die komplette Rücknahme aller Verbote den Menschen zuvor, die wieder frei entscheiden wollen, wie sie leben möchten – und wenn dabei die Eisbären ausstürben, wäre ihnen das dann womöglich genauso gleichgültig wie den Chinesen die einst so klare Luft.
*Weil der Artikel und die Meinung außerordentlich wichtig für die Debatte/den Skandal „Energiewende“ sind, zitieren wir den Text & das Meinungsbild. Verweise, Grafiken und sämtliche Kommentare lesen Sie, wenn Sie WELTplus testen/abonnieren. Wir empfehlen WELTplus ausdrücklich: 30 Tage kostenlos testen.