… Afghanistan
Warum war absehbar, dass die afghanische Armee nicht wie Berserker kämpfen würde?
MehrGanz einfach. Die Amerikaner haben nicht nur angekündigt, ihre eigenen Truppen abzuziehen. Eigentlich sollte danach die afghanische Armee durchaus stark genug gewesen sein, sich gegen die Taliban zu behaupten. Aber die Amerikaner haben nicht nur ihre Soldaten abgezogen, sondern auch die logistische Unterstützung.
Die über das ganze Land verstreuten afghanischen Garnisonen wussten nicht, wie sie im Ernstfall Nahrung, Treibstoff und Munition bekommen sollten. Die Firmen, die die afghanischen Flugzeuge und Hubschrauber am Laufen hielten, haben sich ebenfalls „verabschiedet“. Die Amerikaner zogen auch ihre modernen Aufklärungs-Drohnen ab.
Die Soldaten wurden also im wesentlichen fast „blind“ und ohne die Garantie des Einfliegens von Verstärkungen oder – im Falle einer Niederlage einer Garnison – des Ausfliegens zurückgelassen (s. dazu auch New York Times, D. Sanger, „Taliban Sweep in Afghanistan…“, 14.8.21).
Sodann hat natürlich die Ankündigung, irgendwann die lokalen Helfer aus Afghanistan herauszuholen (eine Ankündigung, der erst jetzt Taten folgen) nicht zum Vertrauen der afghanischen Soldaten in ihre Chancen beigetragen.
Es hat sich wohl eine „Die-Ratten-verlassen-das-sinkende-Schiff“-Mentalität eingestellt.
Ein Bundeswehr-General hat berichtet, dass die Kampfmoral der afghanischen Einheiten nur so lange intakt war, wie westliche Offizieren anwesend waren. War das nicht der Fall, brach sie oft zusammen.
Afghan troops „looked at what was in front of them, and what was behind them, and decided it’s easier to go off on their own“, meint der ehemalige US-General Joseph Votel, selbst lange in Afghanistan.
Hat sich denn niemand an die Schnelligkeit erinnert, in der die irakische Armee nach dem Abzug der Amerikaner unter den Angriffen des IS zerbröselte? Leiden unsere westlichen Entscheidungsträger an Amnesie??
Aber am wichtigsten ist wohl die Tatsache, dass die Soldaten die Taliban nicht als das nationale Unglück ansehen, wie es der Westen tut. Schließlich sind das Moslems wie sie. Und mit denen wird ja doch irgendwie auszukommen sein.
Kämpfen für ein von Ausländern abhängiges, extrem korruptes Regime? Keine tolle Alternative.
Da wird vielen Soldaten ein Taliban-Sieg im Vergleich nicht allzu schrecklich erschienen sein. Zumal sie sich ja ausrechnen konnten, als gut „westlich-modern“ ausgebildete Truppe den Taliban sogar nützen zu können, wenn sie sich ihnen später anschliessen.
Die „verwestlichten“ Afghanen stellen mit Sicherheit nicht die Mehrheit der Bevölkerung, auch wenn es aus der Bevölkerung vereinzelt militärischen Widerstand gegen die Taliban gab (siehe den Artikel von Ex-Botschafter R.E. Neumann in der ‚Washington Post‘ vom 24. Juli, „Afghan resistance to the Taliban needs US support – and a big morale boost“).
Aus Afghanistan herauszugehen war prinzipiell richtig. Aber WIE es gemacht wird, ist erbärmlich.
Jetzt schimpfen alle über den BND. Der habe keine zutreffenden Lagebilder geliefert. Seit dem Mai dieses Jahres, als das Verfassungsgericht die erlaubten Tätigkeiten des BND sehr eingeschränkt hat, sei der Dienst taub und blind.
Dabei hat der berühmte 1. Senat, der für seine bahnbrechenden, hochvernünftigen Urteile bekannt ist, dem BND nur ganz unwesentliche Werkzeuge aus der Hand genommen. Nämlich die zur Spionage.
Das Gericht hat dem BND hingegen keineswegs verboten, in seinen Berichten Gendersprache zu verwenden oder moralische Lageberichte zu erstellen.
Das ist im modernen Deutschland doch viel wichtiger.