Das Risiko war bekannt: Regenmengen wie diese Woche hat es in Deutschland immer wieder gegeben, historische Chroniken lesen sich wie Blaupausen für die aktuelle Hochwasser-Katastrophe, und Gefahrenkarten zeigen das Flutrisiko. Doch Politiker, Behörden und Medien verweisen auf den Klimawandel als Ursache – dabei ist der Katastrophenschutz in Deutschland auf dem Stand eines Entwicklungslandes. Ein unglaublicher Skandal.
Mindestens 156 Menschen sind gestorben, weil es stark geregnet hat in Deutschland. Es waren Regenmengen gefallen, mit denen in Deutschland schon immer gerechnet werden musste und die seit jeher gelegentlich vorkommen. Dieselben Orte, die diese Woche von Regenfluten verwüstet worden sind, wurden schon in der Vergangenheit auf ähnliche Weise heimgesucht, wie Chroniken belegen.
Heutzutage sind Menschen Unwettern nicht mehr ausgeliefert: Meteorologen erkennen gefährliches Wetter Tage im Voraus, moderner Katastrophenschutz sollte Menschen in Risikozonen rechtzeitig helfen können. Entwicklungsländer wie Bangladesch und Mosambik ist es gelungen, auf solche Weise die Opfer durch Extremwetter binnen weniger Jahrzehnte drastisch zu reduzieren, teils mit deutscher Entwicklungshilfe.
Deutschland selbst aber scheitert daran, seine Bürger vor den im globalen Vergleich eher harmlosen Naturereignissen im eigenen Land zu schützen. Statt Nächstenliebe gegenüber vom Wetter bedrohten Landsleuten wird hierzulande Fernstenliebe zur Schau gestellt: Klimaschutz soll die Deutschen in der Zukunft vor Unwetter bewahren.
Die Ausrede
Politiker schoben die Flutkatastrophe auf den Klimawandel, beispielsweise Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD), Innenminister Horst Seehofer (CSU), CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet, Karl Lauterbach (SPD), Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt. Doch zu suggerieren, das Unwetter wäre ohne Klimawandel wesentlich anders verlaufen oder Klimaschutz würde solche Katastrophen verhindern, ist falsch. Die Ausrede dient Politikern zur Entlastung von eigener Verantwortung und nützt den Trittbrettfahrern der Klimakrise.
Der Umgang mit dem Extremregen diese Woche ist ein unglaublicher Skandal, für den sich vor allem Behörden und die öffentlich-rechtliche Medien ARD und ZDF rechtfertigen müssen. Sie müssen sich fragen lassen, ob sie wenigstens jetzt angesichts des unnötigen Todes Dutzender Menschen zu einem angemessenen Umgang mit Naturgefahren finden wollen.
Vergangenen Sonntag, am 11. Juli, warnte der private Wetterdienst Kachelmannwetter vor Starkregen, Hochwasser, Überflutungen im Laufe der Woche in Westdeutschland, andere meteorologische Dienste zogen nach. Am 13. Juli schickte der Deutsche Wetterdienst (DWD) eine „Amtliche Gefahrenmeldung“, die ziemlich präzise vorhersagte, was in den folgenden zwei Tagen geschehen sollte.
Das European Flood Awareness System (EFAS) hatte zuvor für Westdeutschland eine Warnung vor „extremen“ Überflutungen herausgegeben. Von einem „monumentalen Versagen“ der Behörden spricht nun EFAS-Hydrologin Hannah Cloke angesichts der Katastrophe im Magazin „Politico“. Sie hätte erwartet, dass Anwohner in Sicherheit gebracht worden wären. Aber die Bürger hätten die Warnung anscheinend gar nicht erhalten. „Das ist sehr, sehr ernst“, sagte Cloke.
„Es bestehen Unwetterwarnungen“
Die Wetterberichte der öffentlich-rechtlichen Medien waren zurückhaltend geblieben, wie schon vor Extremwettern der vergangenen Jahre. Die „Tagesschau“ der ARD meldete am 13. Juli lediglich lapidar: „Es bestehen Unwetterwarnungen“, ohne genauer auf mögliche Gefahren einzugehen. Das „Heute Journal“ sagte „kräftigen Dauerregen“ voraus, „80 Liter pro Quadratmeter“ könnten zusammenkommen – der Deutsche Wetterdienst hatte zuvor korrekterweise örtlich mehr als das Doppelte in Aussicht gestellt.
Das „Heute Journal“ schaffte es auch am Abend des 14. Juli in seinem Wetterbericht, das Wort Unwetter nicht zu erwähnen, als es längst in Gange war. Die Ansagerin sprach von „ergiebigem Regen“ und davon, dass es „heftig schütten“ werde. Dafür widmete sich die Sendung am nächsten Tag ausführlich der Naturkatastrophe. Moderator Claus Kleber legte dar, wie die globale Erwärmung angeblich hinter dem Wetterereignis steckte.
Der Verweis auf den Klimawandel ist grob irreführend. Zwar macht die globale Erwärmung Starkregen wahrscheinlicher. Der Deutsche Wetterdienst, der auch beim Thema Klimawandel eine seriöse Rolle spielt, kann aber noch keine langfristige Zunahme von Extremniederschlag hierzulande feststellen.
Der Klimawandel ist ein großes Problem, insbesondere wegen vermehrter Hitze und steigender Meere. Aber Regenmengen wie diese Woche hat es in Deutschland immer wieder gegeben. Wetterchroniken lesen sich wie Blaupausen für die aktuelle Katastrophe: Bad Münstereifel, das auch jetzt wieder von Regenmassen verwüstet wurde, erlebte im Mittelalter zahlreiche ähnliche Desaster. „Im Jahre des Herrn 1416 war zu Münstereifel ein großes Gewässer acht Tage nach Sankt Peter und Paul in der Nacht“, heißt es in einer Chronik. 200 Menschen seien ertrunken, die Stadttore samt Mauern seien von Wassermassen mitgerissen, hundert Häuser zerstört worden.
Wie viele andere Ortschaften an Flüssen wurden auch jene an den Ufern der Ahr wiederholt von Hochwasserkatastrophen getroffen. „Das Elend übersteigt jeden Begriff“, berichten Zeitzeugen über das Ahr-Hochwasser vom Juni 1910 mit 52 Toten. Am 21. Juli 1804 kosteten Überschwemmungen nach Extremregen an der Ahr gar 63 Menschenleben, 129 Wohnhäuser, 162 Scheunen, 18 Mühlen und 30 Brücken, wie in Aufzeichnungen zu lesen ist. Die gesamte Ernte der Region sei vernichtet worden.
Das Vergessen von Naturgefahren nennt der Klimahistoriker Christian Pfister „Katastrophenlücke“. Er verweist auf die Schweiz: Von 1882 bis 1976 war das Land von Naturkatastrophen weitgehend verschont geblieben, und als sich in den 1980er-Jahren der eigentliche Normalzustand mit gewaltigen Überschwemmungen wieder einstellte, wurden die Fluten als neues Phänomen empfunden, waren jedoch Alltag gewesen in früheren Jahrhunderten. Die Schweiz hatte ihr Risikobewusstsein verloren, sagt Pfister.
Deutsche Behörden verfügen über Gefahrenkarten für an Flüssen gelegene Orte. In der Akte „Bewertung des Hochwasserrisikos in Rheinland-Pfalz“ listet das Land Hunderte bedrohte Städte auf, samt Schätzungen möglicher Schäden und betroffener Anwohner nach Starkregen. Bad Neuenahr an der Ahr, das diese Woche verwüstet wurde, konnte der Tabelle zufolge bei Hochwasser mit fünf Millionen Euro Schaden und 3169 geschädigten Menschen rechnen.
Dennoch gab sich die Ministerpräsidentin des Landes, Malu Dreyer (SPD), überrascht. Eine solche Katastrophe habe die Region noch nie gesehen. Es gebe nun „keine Zeit mehr zu verlieren beim Klimaschutz“. Dreyers Kommentar verdeutlicht die schreckliche Ignoranz vieler Politiker beim Thema Wettergefahren.
Anstatt zu erkennen, dass der Katastrophenschutz versagt hat und verbessert werden müsse, weisen Politiker in Sachen Regen-Katastrophe auf den Klimawandel, also quasi auf „höhere Gewalt“. „Die Berichte sind erschütternd“, kommentierte Bundesforschungsministerin Anja Karliczek (CDU). „Wir müssen in der Klimaforschung und in der Energieforschung vorankommen, um den Klimawandel zu stoppen, der solche Extremlagen befördert.“
Die globale Erwärmung bietet auch Wissenschaftlern, die es nicht so genau nehmen mit dem Sachstand, beste Profilierungschancen. Dominierende Figuren sind Forscher, die auf pessimistischste Klimawandelfolgen setzen und gleichzeitig den Plan zur Verhinderung der Katastrophe parat zu halten behaupten – stillschweigend verbunden mit dem Versprechen, die Orientierung an ihrer Person könne einen Ausweg garantieren. Wissenschaftler oder Wettermoderatoren, die sich anmaßen, überall die Klimakatastrophe am Werk zu sehen, werden mit Medienpräsenz belohnt.
So auch diese Woche: Einer bei Journalisten beliebten Theorie zufolge bringt die Erwärmung Höhenwinde vermehrt ins Schlingern, den sogenannten Jetstream. In der Folge würden Wetterlagen länger verharren, Regen einen Ort verstärkt unter Wasser setzen. So referierte es auch Claus Kleber am Mittwoch im „Heute Journal“.
Die Theorie dient als Joker, sie kann scheinbar die Verschärfung vieler Wetterkatastrophen auf einmal erklären: Bei Hochwasser, Dürren, Waldbränden, Kältephasen wird sie hervorgeholt. Dass zahlreiche Studien, publiziert in den wichtigsten Fachmagazinen, der Theorie widersprechen, bleibt gewöhnlich unerwähnt: Eine Häufung verharrender Wetterlagen konnte beispielweise für Mitteleuropa nicht festgestellt werden. Ob der Jetstream verstärkt schlingert und sich die globale Erwärmung überhaupt auswirkt wie behauptet, erscheint vielen Experten zweifelhaft.
Dennoch kam nach der Hochwasserkatastrophe diese Woche kaum ein deutsches Medium ohne die politisch nützliche Jetstream-Theorie aus. Sie hilft dem Katastrophenschutz aus der Patsche, der mit angeblich neuen Gefahrendimensionen vom eigenen Versagen ablenken kann. „Diese Wetterlage konnte in dieser Heftigkeit nicht so frühzeitig vorhergesagt werden, um noch mehr Maßnahmen zu treffen“, sagt Thomas Linnertz, der in Rheinland-Pfalz den Katastrophenschutz koordiniert, dem „Redaktions-Netzwerk Deutschland“. „So viele Vorsichtsmaßnahmen können Sie gar nicht treffen, wie da Wasser vom Himmel prasselte“, behauptet Linnertz.
19 Jahre nach der Hochwasserkatastrophe an Elbe und Donau, nach der eigentlich bessere Vorkehrungen getroffen werden sollten, hat sich nichts getan. Schon damals war der Klimawandel Thema, weniger der Hochwasserschutz. „Wir hatten die Vorstellung, dass sich so etwas wie 2002 nicht wiederholen sollte“, sagt Hochwasser-Expertin Cloke.
Doch in Deutschland zählt Klimaschutz. Seine Warnsysteme hingegen sind auf dem Stand eines Entwicklungslandes: Der „Nationale Warntag“ im vergangenen September, an dem die Reaktion von Behörden auf eine simulierte Naturgefahr getestet werden sollte, endete mit einem Desaster. Das Schutzsystem versagte, nicht mal Handy-Meldungen wurden pünktlich verschickt. Jetzt rächt sich, dass Sirenen abmontiert wurden, deren Heulen früher unmissverständlich auf Gefahren hinwies. Der WDR verwies nun auf seine Warnmeldungen im Internet.
Ob aus Starkniederschlag eine Katastrophe wird, hängt neben funktionierendem Katastrophenschutz vor allem ab von Bebauung, Bodenversiegelung, Begradigung von Flüssen, dem Landschaftstyp und Drainagesystemen. Wasser, das nicht versickern oder abseits von Siedlungen ablaufen kann, schwillt zur oberirdischen Flut, von engbebauten Straßen oder Bergtälern kanalisiert. Nach ausdauerndem Regen angeschwollene Flüsse, die nicht mehr ungehindert ihre Auen fluten können, überschwemmen Ortschaften – zwei Drittel der natürlichen Auenflächen in Deutschland sind keine Auen mehr.
Sturzfluten weniger gefährlich
Viele Länder haben ihren Schutz vor Regenfluten verbessert, das belegen Statistiken: Trotz globaler Erwärmung sind sowohl Sturzfluten als auch Flusshochwasser weniger gefährlich als früher. Bezogen auf die zunehmende Bevölkerung, richten Regenfluten global immer weniger Schaden an – viele Länder sind mittlerweile vorbereitet auf Wetterextreme.
Doch die Klimadebatte in Deutschland erstickt einen konstruktiven Diskurs über Umweltgefahren. Die globale Erwärmung ist hierzulande kein wissenschaftlich-technisches Thema mehr, sondern Teil eines gesellschaftlichen Kulturkampfes. Die Warnung vor dem Klimawandel dient der politischen Einordnung, wer differenziert, wird als Klimaleugner diskreditiert.
Der Klimawandel ist ein ernstes Problem, das am besten sofort gestoppt werden sollte. Aber gesellschaftliche Zielkonflikte verzögern eine globale Energiewende. Umso wichtiger wäre funktionierender Katastrophenschutz.
Doch der versagte nun auch in Südbayern, wo am Samstag Einwohner von Fluten überrascht wurden. Am Vorabend hatte der Wetterbericht des „Heute Journal“ gemeldet, dass es am Samstagnachmittag am Alpenrand „ganz ergiebig schütten kann“. Am Samstagabend musste dort wegen Starkregen der Katastrophenfall ausgerufen werden. Das „Heute Journal“ meldete gleichzeitig: „Am Alpenrand regnet es noch recht stark, mit Unwetter ist aber erstmal nicht zu rechnen.“
*Weil der Artikel und die Meinung außerordentlich wichtig für die Debatte „Katastrophenschutz/Klimawandel“ sind, zitieren wir den Text & das Meinungsbild. Verweise, Grafiken und sämtliche Kommentare lesen Sie, wenn Sie WELTplus testen/abonnieren. Wir empfehlen WELTplus ausdrücklich: 30 Tage kostenlos testen.