Und das ist gut so.
Es hat nämlich den Anschein, als sollte der Skandal unter den Teppich gekehrt werden. Der Skandla, dass auf der einen Seite sich Medizinscharlatane die Taschen vollgestopft haben, auf der anderen Seite eine solche Fake-Panik verbreitet wurde, dass die Bevölkerung völlig unnötig mit „Maßnahmen“ drangsaliert wurde.
Die Politik hat Unsummen …
… für zusätzliche Intensivbetten ausgegeben, für die es nie entsprechenden Bedarf gab. Ein genauer Blick zeigt: Lasche Vorgaben bescherten vielen Kliniken einen Geldsegen mit minimalem Gegenwert. Dass je etwas zurückgezahlt wird, ist unwahrscheinlich. …
… Was in der Luft lag im März 2020, bekam CSU-Chef Markus Söder als Erster zu fassen. Er sprach von Panik, die man jetzt nicht gebrauchen könne. Doch da hatten Furcht und Hast schon ganze Arbeit geleistet. Erst jetzt, im Ausgang der Pandemie, wird klar, wie schnell die Bundesregierung damals angesichts der Bilder aus Bergamo die Nerven verloren hatte – als dort so viele Menschen an Corona gestorben waren, dass sie mit Militärkonvois in Krematorien anderer Städte überführt werden mussten.
Auch wie teuer das kopflose Handeln war, zeigt sich nun deutlich. Das anschaulichste Beispiel dafür sind die horrenden Summen, die die Bundesregierung in den Aufbau von zusätzlichen Intensivbetten steckte.
Im März 2020 war die Lage in Deutschland noch kontrollierbar. RKI-Chef Lothar Wieler sprach von 2300 Corona-Fällen insgesamt und kündigte an, dass sich das neuartige Virus in Hotspots verbreiten werde, aber nicht in der Fläche.
Das war die Lage, in der der bayerische Ministerpräsident, neben sich Kanzlerin Angela Merkel, zum ersten Mal den Begriff „Panik“ in einer Pressekonferenz einführte. Was Söder und Merkel nicht erwähnten: Zu diesem Zeitpunkt waren sie schon dabei, Deutschland zur größten Intensivstation der Welt auszubauen, vorbei an Österreich, den USA, vorbei auch an Sinn, Verstand und Verhältnismäßigkeit.
Zwei Wochen danach jagte die Bundesregierung in zwei Tagen ein „Krankenhausentlastungsgesetz“ durch die Beratung im Bundestag, den zuständigen Ausschuss, zurück in den Bundestag zur Abstimmung und danach in den Bundesrat.
Jetzt, 15 Monate später, lichtet sich der Nebel. Und es wird sichtbar: ein Loch von mehr als 16 Milliarden Euro im Gesundheitsfonds der gesetzlichen Krankenkassen. 10,2 Milliarden Euro sind allein 2020 abgeflossen, als Prämien dafür, dass die Krankenhäuser Betten für Covid-Patienten frei hielten.
Hinzu kamen 686 Millionen Euro für zusätzliche Intensivbetten. Dafür gab es pauschal 50.000 Euro pro Bett. Wie das Bundesgesundheitsministerium (BMG) das Geld mit der insgeheimen Hoffnung „Geld ist die beste Medizin“ an die Kliniken überwies und was dann bei den Krankenhäusern damit geschah, das lässt sich inzwischen gut nachverfolgen.
Zunächst: Intensivbetten haben den Vorteil, dass sie nicht rechnerisch versickerbar sind. Sie sind physisch präsent, man kann sie suchen, man kann sie zählen, und man kann in jedem Krankenhaus fragen, ob es sie überhaupt gegeben hat. Und genau dabei brachten Recherchen von WELT überraschende Neuigkeiten ans Licht.
Der teuerste aller Corona-Fehler
Rein rechnerisch handelt es sich um 13.720 neue Intensiveinheiten für 686 Millionen Euro, alle beantragt, genehmigt und bezahlt. Das Antragsverfahren dazu hatte das BMG einfach gehalten. Den Klinikgeschäftsführungen war nicht viel mehr abverlangt worden als eine einzige Zahl: wie viele Betten sie einzurichten gedachten. Das Antragsformular des BMG liegt WELT vor.
Von „Rechnung“, „Beleg“ oder „Kostennachweis“ ist dort keine Rede. Unter „Intensivbett“ hatte sich das Ministerium ein einsatzbereites Bett mit Beatmungsgerät vorgestellt, dazu Ärzte und Pfleger. Doch auch von „Personal“ sei nie die Rede gewesen, sagen jetzt Vertreter der Krankenhäuser. Das zu erwarten sei „naiv“ gewesen. Im Antragsformular steht tatsächlich nichts davon.
Der Impfstoff, die Masken, die Schnelltests, die Intensivbetten – vier Beschaffungsskandale muss sich die Bundesregierung vorwerfen lassen, aber von allen sind die Intensivbetten mit Abstand der kostspieligste Fehler.
Schon vor der Pandemie war Deutschland beim Intensivbettenvorrat weltmeisterlich, kein anderes Land weltweit konnte mit diesem Bestand konkurrieren. Es hat während des gesamten Verlaufs der Pandemie keinen Tag gegeben, an dem es mit den sowieso vorhandenen Intensivbetten hätte eng werden können. Manche Bundesländer hatten mehr davon als Corona-Infizierte, mit oder ohne Symptome.
Den meisten Klinikmanagern dürfte das klar gewesen sein. Aber der Gelegenheit, mit den nachlässigen Fördergeldanträgen des Ministeriums ein paar Millionen oder ein paar Hunderttausend Euro gutzumachen, konnten viele nicht widerstehen. Wer sich mit wie viel bedienen ließ, zeigt eine Excel-Tabelle des BMG, die bis auf die Nachkommastelle genau auflistet, wer was und wofür eingestrichen hat. Bundesland für Bundesland. Klinik für Klinik.
Sehen Sie hier die Excel-Tabelle des BMG ein
Da sind zum Beispiel die Neurologischen Fachkliniken Beelitz. Ursprüngliche Zahl der Intensivplätze: null. Mit dem Geld aus dem BMG ließ sich das 133-Betten-Haus zwölf Intensivbetten bezahlen. Auf der Website brüstet sich das Haus aktuell sogar mit 23 Beatmungsplätzen. Demnach wäre inzwischen fast jedes fünfte Bett der Klinik ein Intensivbett. Kann da nicht der Verdacht aufkommen, es könne dort eventuell „potemkinsche Betten“ geben?
Insgesamt 19 Kliniken weist die Tabelle aus, die vor der Pandemie kein einziges Intensivbett vorzuweisen hatten. Und 178 Kliniken beantragten und erhielten eine Förderung, mit der sie ihre Intensivkapazitäten hätten verdoppeln, 27 sogar hätten verdreifachen müssen. Der Helios-Konzern (600 Millionen Gewinn im Jahr 2020) steigerte den Bestand um bis zu 440 Prozent (Helios Klinikum Leipzig).
Seriös managen lässt sich aber selbst großzügig gerechnet nur ein Kapazitätsaufbau um 30 Prozent, sagen Experten. 75 Prozent der insgesamt 828 Häuser in der Liste seien „überfördert“ worden.
234 Betten bezahlt, 25 gebraucht
Besonders weit hielten in Spahns Geldregen zwei Kliniken die Schürze auf: das Klinikum Stuttgart und das Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH). Beide erhielten je 11,7 Millionen Euro für jeweils 234 zusätzliche Intensivbetten. Das Klinikum Stuttgart hatte vor der Pandemie 90 Intensivbetten, Ende des vergangenen Jahres, also nach Abschluss der BMG-Zahlungen, waren es 115. Wo bitte sind also die vielen bezahlten Zusatzbetten geblieben?
Die gegenüber der Fördersumme fehlenden Intensivbetten seien als „Puffer“ zu verstehen, teilt der Kliniksprecher mit. Die Geräte dazu seien vorhanden, „sie stehen in den Notfalllagern“. Ein Medizinstatistiker kommentiert das lakonisch so: „234 Betten gefördert bekommen, 25 gebraucht? Das nenne ich eine gute Rendite.“
Ähnlich gut sieht die Bilanz für das UKSH aus. Dort gab es vor der Pandemie 172 Intensivbetten, derzeit werden 240 Betten betrieben. Die demnach fehlenden Plätze seien in „Reserve“ auf dem Campus, heißt es dazu.
Zusätzlich zu den 11,7 Millionen Euro für Betten flossen an beide Unikliniken insgesamt mehr als 150 Millionen Euro an „Ausgleichszahlungen“ von Bund und Land. Das steht im schroffen Kontrast zu den 39 Covid-Patienten, die auf dem Höhepunkt der Pandemie vom UKSH versorgt wurden. In Stuttgart waren es 31 Patienten auf dem Höhepunkt der Pandemie.
Das Intensivbettenwunder hat sich jedoch in der Praxis kaum heilsam ausgewirkt. Patienten in Deutschland sahen sich viermal häufiger auf die Intensivstation verlegt als in anderen Ländern. Nirgendwo wurde öfter beatmet, und nur einer von drei Corona-Intensivpatienten überlebte. Andere Länder kamen auf bessere Quoten.
Das alles ist dem BMG nicht verborgen geblieben. Nun verkündet Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, dass er Geld zurückfordern will. Die Länder sollen Kostennachweise und Belege einfordern. Gegebenenfalls wäre eine Rücküberweisung fällig. Dass daraus wohl nichts wird, ist nicht nur den Anwälten der Krankenhäuser klar. Zu ungefähr, zu schludrig war das Antragsverfahren. Im Bundesgesundheitsministerium wird man das intern wohl genauso gut wissen.
*Weil der Artikel und die Meinung außerordentlich wichtig für die Debatte/den Skandal „Corona/Intensivbetten“ sind, zitieren wir den Text & das Meinungsbild. Verweise, Grafiken und sämtliche Kommentare lesen Sie, wenn Sie WELTplus testen/abonnieren. Wir empfehlen WELTplus ausdrücklich: 30 Tage kostenlos testen.