Die Erwartungen sind hoch, …
Mehr… wenn Biden sich mit den Staats- und Regierungschefs der EU trifft. Der US-Präsident beschwört eine neue transatlantische Einigkeit, aber die hat ihren Preis. Biden stellt harte Forderungen. Von der Leyen und Merkel geraten unter Druck.
Von einer transatlantischen Partnerschaft wird die Rede sein, wenn sich die führenden Köpfe von EU und USA am Dienstag zu ihrem Gipfel in Brüssel treffen werden. Mit dabei: US-Präsident Joe Biden, die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, EU-Ratspräsident Charles Michel.
Sie alle werden gemeinsame Interessen und Werte beschwören und eine gemeinsame Agenda preisen. Es ist der erste EU/USA-Gipfel seit über vier Jahren. Themen: Covid-19, Klima, Handel und Investitionen, Technologie, Außenpolitik. Was aber sind, neben aller diplomatisch verzuckerten Rhetorik, die Streitpunkte zwischen der Europäischen Union und Washington? Ein Überblick:
Impfstoff-Verteilung
Seit geraumer Zeit drängen die USA auf eine Freigabe der Impfpatente. Vor allem Deutschland hält dagegen, betont das Recht auf Patentschutz. Die EU hat, wie so oft, keine einheitliche Haltung.
Die Europäische Kommission ist gegen eine Freigabe, das Europäische Parlament hat sich dafür ausgesprochen. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen argumentiert, die geschützten Rechte am geistigen Eigentum müssten bestehen bleiben: „Das geistige Eigentumsrecht muss geschützt werden.“ Es sei die Grundlage für den Durchbruch bei den Covid-Impfstoffen gewesen.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte bei der EU-Impfstoffbestellung gebremst, indem er auf das französische Vakzin von Sanofi setzte, das bis heute nicht entwickelt ist. Macron steht nun auf der Seite von US-Präsident Joe Biden und wirbt für eine befristete Freigabe von Impfstoffpatenten. Geistiges Eigentum dürfe kein Hindernis für den Zugang zu Impfstoffen sein, sagt Macron.
Für diese Position machen sich auch Nichtregierungsorganisationen wie Oxfam stark. Die G-7-Staaten, deren Gipfel in Cornwall am Sonntag endete, versprachen, mindestens 870 Millionen Impfdosen zu spenden, die Hälfte davon bis Ende dieses Jahres. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) zeigte sich enttäuscht. „Wir brauchen mehr, und wir brauchen es schneller“, sagte WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus.
Reisefreiheit
Kürzlich trafen sich der Covid-Koordinator des Weißen Hauses, Jeff Zients, und Vertreter von EU/Schengen-Staaten virtuell. Ihr Thema: die seit März 2020 geltenden wechselseitigen Reisebeschränkungen infolge der Covid-Krise. Schon im April hatte von der Leyen den USA angeboten, die Beschränkungen für geimpfte Bürger aufzuheben.
Die Reaktion der USA: ein paar Worthülsen, wenn überhaupt. So lässt Biden von der Leyen seit Wochen zappeln, während immer mehr EU-Staaten geimpfte Amerikaner einreisen lassen.
Neulich nun argumentierte die EU, der Gipfel am Dienstag sei doch eine gute Gelegenheit für die USA, ihrerseits eine Lockerung der Beschränkungen anzukündigen. Doch das Weiße Haus reagierte abermals kühl. Es gebe weder aktuelle Pläne, die Beschränkungen aufzuheben noch einen konkreten Zeitplan für eine Öffnung.
Mehrere EU-Staaten verwiesen auf die wachsende Frustration ihrer Bürger über die Art und Weise, wie die USA Ausnahmen vom Einreiseverbot organisierten. Außerdem bemängelten sie die Rückstände in mehreren US-Botschaften und die Schwierigkeiten von Europäern, ein US-Visum zu erhalten. Ob sich in dieser Sache am Dienstag etwas bewegt? Von der Leyen, nach dem Desaster der Impfstoff-Bestellung stärker denn je um ihr Image bedacht, bräuchte dringend einen solchen Erfolg.
Verteidigung
Der Streit ist alt, aber noch längst nicht überwunden. Die Nato-Staaten hatten sich 2014 darauf geeinigt, ihre Verteidigungsetats bis 2024 auf zwei Prozent der Wirtschaftsleistung zu erhöhen. Die USA (über-)erfüllen diese Zielmarke klar. Etliche Nato-Staaten, die zudem der EU angehören, hinken hinterher. Prominentes Beispiel: Deutschland. Im vorigen Jahr erreichten neben den USA nur zehn Staaten diese Zielmarke, nämlich Estland, Lettland, Litauen, die Slowakei, Griechenland, Großbritannien, Rumänien, Polen, Frankreich und Norwegen.
Formal ein Thema für die Nato, müssen die USA und die EU klären, wie sehr die Amerikaner künftig Teil der europäischen Verteidigungsstrategie sein wollen und sollen. Während Balten und Polen dafür werben, zeigen sich Frankreich und Belgien reserviert.
China
In der EU wächst das kritische Bewusstsein gegen das zunehmend aggressive Gebaren der kommunistischen Staats- und Parteiführung in China. Doch die USA gehen längst auf einen erheblich distanzierteren und konsequenteren Kurs gegen Peking.
Biden setzt faktisch die China-kritische Politik Trumps fort, wenn auch ohne dessen radikale Rhetorik. So nennt die Regierung Biden den Umgang Chinas mit der muslimischen Minderheit der Uiguren einen „Genozid“. Die EU sieht in China einen „systemischen Rivalen“, hat jüngst Sanktionen verhängt.
Aus dem Europäischen Parlament kommt Druck, vor allem durch die Grünen, die für eine klarere Abgrenzung zu China werben. Im Mai verurteilte das Parlament mit breiter Mehrheit die Sanktionen, die China gegen mehrere EU-Bürger, darunter fünf Europaabgeordnete, verhängt hatte. Die Prüfung des Investitionsabkommens zwischen der EU und China habe man aufgrund der verhängten chinesischen Sanktionen „berechtigterweise auf Eis gelegt“.
Jenes Abkommen war maßgeblich von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) vorangetrieben worden – zum großen Verdruss der USA. In dieser Frage stehen Biden und Merkel diametral gegeneinander. Am 15. Juli wird der US-Präsident Merkel zu einem Abschlussbesuch im Weißen Haus empfangen. Washington kann sich berechtigte Hoffnung machen, dass mit Merkels Nachfolger eine gebührend kritische China-Politik möglich sein wird.
Handel
„Die EU ist möglicherweise so schlimm wie China“, sagte Donald Trump vor drei Jahren. Er klagte, Europa verkaufe Autos in die USA, während es die US-Hersteller viel schwerer hätten, ihre Produkte in die EU zu verkaufen. Biden setzt zwar Teile der protektionistischen Politik Trumps fort, will verlorene Jobs in der Industrie zurück in die USA holen, preist „Made in America“. Dabei aber nimmt Biden China in den Blick und käme nicht auf die Idee, das kommunistische Regime mit der EU gleichzusetzen.
Vielmehr will Washington die EU für eine gemeinsame Linie gegen China gewinnen. Einiges deutet darauf hin, dass EU und USA ihre Handelsstreitigkeiten der vergangenen Jahre überwinden wollen. Weniger Abhängigkeit von China ist dabei das wichtigste Ziel der USA. So ist die Regierung Biden bereit, mit der EU über den jahrzehntelangen Zoff über die Beihilfen für die Flugzeugbauer Airbus und Boeing neu zu verhandeln. Die Welthandelsorganisation hatte unrechtmäßige Subventionen beider Konzerne festgestellt. Auf die ihnen mögliche Verhängung von Strafzöllen verzichteten die Regierung Biden ebenso wie die EU-Kommission.
Trump hatte zudem 2018 Sonderzölle auf Importe von Aluminium und Stahl eingeführt, um die darbende heimische Industrie zu schützen, insbesondere in den wahlentscheidenden Bundesstaaten. Die EU reagierte, indem sie die Zölle auf US-Produkte wie Whiskey und Motorräder erhöhte. Auf die ursprünglich beabsichtigte Verdoppelung dieser Zölle in diesem Sommer verzichtete die EU – eine Art handelspolitisches Friedensangebot an die USA.
Nord Stream 2
Trotz erheblichen Drucks aus dem Kongress hat Biden auf die von seinem Vorgänger Trump verhängten Sanktionen gegen die Betreibergesellschaft der „Nord Stream 2“-Pipeline verzichtet. Das ist ein enormes Entgegenkommen gegenüber Deutschland und auch Russlands Präsidenten Wladimir Putin, mit dem sich Biden zu einem Vier-Augen-Gipfel am Mittwoch in Genf treffen will. Die USA aber lehnen die Ostsee-Pipeline weiter strikt ab. Das gilt für beide Parteien im Kongress. In der EU steht Deutschland hier zusehends alleine.
Polen, die baltischen Staaten und Frankreich lehnen das Projekt Nord Stream 2 ab. Befürworter der Pipeline argumentieren, es handele sich um ein „wirtschaftliches Projekt“. Dass neulich Unterhändler Angela Merkels in Washington mit Bidens Nationalem Sicherheitsberater Jake Sullivan über die Sache verhandelten, spricht gegen diese Auffassung.
Wahr hingegen ist: Auch die USA importieren Energie aus Russland, genauer gesagt Öl. Tendenz steigend. Jahrelang betrug der Anteil Russlands an den jährlichen US-Ölimporten weniger als 0,5 Prozent, im vorigen Jahr erreichte er nach Berechnungen der Wirtschafts-Nachrichtenagentur Bloomberg ein Allzeithoch von sieben Prozent. Im Jahr 2020 betrugen die US-Importe aus Russland durchschnittlich 538.000 Barrel pro Tag. Das ist mehr Öl, als die USA aus Saudi-Arabien importierten.