Peter Smith, „The paradoxes of Multiculturalism“, …
… in: ‚The Journal of Aesthetic Education‘, 2/1992 (zugänglich auf JStore).
Der Autor nimmt in allgemeinverständlicher Form die dem Multikulturalismus als Grundlage dienenden Annahmen unter die Lupe und beschreibt deren logische Unzulänglichkeiten. Auszug:
Mehr„… fundamental to multicultural positions…, and … dangerously paradoxical is the very basis of thinking that underlies all multicultural theory. This was explained by Tom Bridges…: – ‚Multiculturalists are cultural pluralists whose perspectives and arguments are drawn entirely from the modern European tradition which brought us the Enlightenment and liberal political theory… Far from being free of ethnocentric bias… they are the agents of a particular culture, i.e., modern European culture, whose essential and defining trait is that it takes its own pluralistic cultural standpoint to be universal and normative, identifying it as the standpoint of universal reason, a standpoint beyond, above, and neutral toward all local cultural value systems or conceptions of the good which shape life and choice in particular communities.“ – We would paraphrase this by saying that multiculturalism is a European-derived, middle-class notion.“*
Wenn man den Zustand einer Gesellschaft an der Intelligenz der in ihr entwickelten vorherrschenden Theorien und Ideologien messen kann, dann ist unsere westliche Gesellschaft in höchstem Masse dekadent, denn der Multikulturalismus ist an Dummheit kaum mehr zu überbieten.
Wir nehmen also eine von uns, aus unserer eigenen spezifischen Kultur entwickelte Idee, stülpen sie allen anderen Kulturen über, und packen als Kern in diese Idee, dass man genau das NICHT tun dürfe: die eigenen kulturellen Ideen anderen überstülpen.
WIE HIRNVERBRANNT MUSS MAN SEIN, UM SO VORZUGEHEN? ANTWORT: EXTREM.
Notabene: Andere Kulturen kennen die Idee des Multikulturalismus kaum – es gibt Toleranz und Interesse für andere Kulturen, aber die Idee der Gleichwertigkeit der Kulturen ist nicht weit verbreitet. Überall dominiert das Eigene – gerade DAS ist eine kulturelle Universalie.
Aber nehmen wir einmal an, der Multikulturalismus habe als Idee überall zu gelten. Wieso vermählen sich dann Antikolonialismus und Multikulturalismus auf so eigenartige Weise? Ein die Linken störender Aspekt des Kolonialismus ist ja gerade das, was sie „Kultur-Imperialismus“ nennen. Frantz Fanon (den seine Schriften übrigens als üblen Rassisten gegen Weisse demaskieren) und Johan Galtung haben Versionen dieser Theorie entworfen.
Wenn der Imperialismus der westlichen Kultur so schlimm ist, warum haben andere Völker denn westliche Eigenarten und Vorstellungen lange nach Ende des Kolonialismus beibehalten, warum haben andere Völker, die nie von uns wirklich kolonisiert waren, diese übernommen?
Wer in China und Japan trägt noch traditionelle Kleidung (die übrigens sehr schön ist)? Wie viele Afrikaner laufen noch im Lendenschurz umher? Die meisten Araber kleiden sich westlich – obwohl ein traditionelles arabisches Thawb oder Dischdascha bei Hitze eigentlich sehr viel praktischer ist, wie ich aus Erfahrung sagen kann. Wie viele Völker lehnen die westliche Medizin und Naturwissenschaft ab?
Wieso haben die Inder die Witwenverbrennungen, die von den englischen Kolonisatoren verboten worden waren, nach der Unabhängigkeit nicht wieder eingeführt?
Möchten die Tonkawa-Indianer und andere ihren traditionellen Kannibalismus wieder einführen, wenn das im Rahmen der Multikulturalismus-Ideen der durchgeknallten linken ‚Democrats‘ wie Alexandria Ocasio-Cortez wieder erlaubt werden sollte?
Oder möchten die Skidi-Pawnee wieder Menschenopfer einführen (checke in Wikipedia: „Pawnee mythology – morning star ceremony“).
Die Idee von der Gleichwertigkeit aller Kulturen, die aus den Ideen des Humanismus abgeleitet wird, ist absurd, weil die Ideen des Humanismus die Idee der Gleichwertigkeit aller Kulturen ausschliessen. (Für einen guten ethnologischen Überblick über das, was in Kulturen alles an Schweinereien möglich ist, siehe Robert Edgerton, ‚Sick Societies‘, 1992.)
Andere, die die Idee des Multikulturalismus aus der Erkenntnis, dass es keine kulturübergreifenden Standpunkt gibt, von dem aus man Kulturen objektiv beurteilen könne, sind ernster zu nehmen. Schon Archimedes soll gesagt haben, „man gebe mir einen festen Punkt, und ich hebe die Welt aus den Angeln.“ Diesen Punkt gibt es nicht. Aber folgt daraus notwendigerweise ein ubiquitärer Relativismus? Dann müssten wir auch die Vorstellungswelten von Kindern oder Geisteskranken den unseren gleichstellen. Denn für sie sind ja ihre „Welten“ genau so real wie für uns. Kants kategorischer Imperativ ist letztlich auch nicht begründbar. Kant behilft sich eigentlich mit einem kleinen logischen Trick, wonach dieser eigentlich keiner Begründung bedürfe. Analog müsste man den Begriff der Wahrheit als sinnlos verwerfen, wenn man das Lügen erlauben würde. Hegel hätte dies auch mit seiner „List der Vernunft“ herleiten können.
Aber letztlich ist das Problem des letzten Grundes philosophisch unauflösbar. Dementsprechend kann man auch keine allgemeingültige Norm finden – man kann sie nur SETZEN, mit Hilfe der eigenen (oder auch von anderen übernommenen) Traditionen und eigenen Denkweisen. An diesen Setzungen ist im Prinzip (!) deshalb nichts falsch, weil sie unvermeidbar sind. Die Übertragbarkeit auf andere Kulturen ist natürlich potentiell problematisch, und hier sollte man natürlich auf Überzeugung setzen, wenn möglich, nicht auf Zwang.
Aber ganz wird sich dieser oft schwer vermeiden lassen. Sollen wir auf europäischem Boden Benachteiligungen und Misshandlung von Frauen zulassen, weil das in anderen, eingewanderten Kulturen üblich ist? Die Beschneidung junger Mädchen? Zwangsverheiratungen?
Dass die Idee des Multikulturalismus, die dem Einwanderungsfetischismus der Linken zugrundeliegt, von diesen nicht durchdacht ist, zeigt sich im brüllenden Schweigen der weitaus meisten Linken gegenüber den in unserer eigenen Kultur im Prinzip verhassten Verhaltensweisen gegenüber Frauen, wenn sie von eingewanderten Kulturen praktiziert werden. Dann heisst es oft, ja, bei uns käme das doch auch vor. Dieses „Argument“ ist an Heuchelei kaum mehr zu überbieten, denn bei uns gelten solche Praktiken als verboten und sind deviantes Verhalten, während sie in anderen Kulturen normal und sogar „geboten“ erscheinen (etwa die Sitte des Ehrenmords).
Feministinnen wie Alice Schwarzer, die darauf hingewiesen haben, gelten in ihrer eigenen Blase inzwischen als verfemte Aussenseiter. Wenn zwischen Multikulturalismus und zwischen Emanzipation der Frau entschieden werden muss, werfen die meisten Feministinnen ihre eigenen alten Ideale bereitwillig, ohne mit der Wimper zu zucken, über Bord. Dies ist nur ein Beispiel für die Unehrlichkeit und Unlogik der linken „Gesellschaftsverbesserer“ unter vielen.
Unehrlichkeit der Argumentation, Heuchelei, Unlogik gab es gewiss immer schon. Aber früher hatten wir ein geistiges „Filtersystem“, das – jedenfalls die meiste Zeit – das meiste dieser Art gleich in den sozialen „Spam-Ordner“ verwiesen hat. Nämlich eine wirklich intellektuelle öffentliche Debatte.
DIESE DEBATTE HABEN WIR NICHT MEHR.
Die öffentlich Debatte bei uns wird von ungebildeten Idioten und weinerlichen, oft heuchelnden Lobbygruppen dominiert, die sich selbst als Opfer irgendwelcher angeblicher Diskriminierungen darstellen und deshalb Gehör fordern (siehe dazu den interessanten Artikel des LINKEN Bernd Stegemann im ‚Standard‘ vom 18.4.21 über linke Identitätspolitik: „Das Opfer ist der neue Chef“).
Im an sich löblichen Bestreben, unser Zusammenleben stetig zu verbessern, haben wir so etwas wie einen „Perfektionismus der Ent-Diskriminierung“ entwickelt. Dieses löbliche Bestreben ist durch masslose Übertreibung mutiert in puren Irrsinn. Es bewahrheitet sich die Mahnung des grossen französischen Essayisten Michel de Montaigne (1533-92) aus seinem Aufsatz über die ‚Mässigung‘ („De la modération“), wonach es auch bei der Tugend eine Grenze, ein Übermass gebe, über das hinaus die Tugend keine mehr sei, sondern Untugend.
*Peter Smith, „The paradoxes of Multiculturalism“, in: ‚The Journal of Aesthetic Education‘, 2/1992 // Google-Übersetzung:
grundlegend für multikulturelle Positionen … und … gefährlich paradox ist die Denkgrundlage, die jeder multikulturellen Theorie zugrunde liegt. Dies wurde von Tom Bridges erklärt…: – ‚Multikulturalisten sind kulturelle Pluralisten, deren Perspektiven und Argumente vollständig aus der modernen europäischen Tradition stammen, die uns die Aufklärung und liberale politische Theorie gebracht hat… Weit davon entfernt, frei von ethnozentrischen Vorurteilen zu sein… sie sind die Agenten einer bestimmten Kultur, dh der modernen europäischen Kultur , dessen wesentliches und prägendes Merkmal darin besteht, dass er seinen eigenen pluralistischen kulturellen Standpunkt als universell und normativ annimmt und ihn als den Standpunkt der universellen Vernunft identifiziert, einen Standpunkt jenseits, darüber und neutral gegenüber allen lokalen kulturellen Wertsystemen oder Vorstellungen des Guten, die Leben und Wahlmöglichkeiten in bestimmten Gemeinschaften gestalten.“ – Wir würden dies umschreiben, indem wir sagen, dass Multikulturalismus ein europäisch abgeleiteter Begriff der Mittelschicht ist.