Die dritte Infektionswelle rollt an, …
Mehr… Kanzlerin und Ministerpräsidenten sollten dennoch konkrete Öffnungspläne vorlegen. Vor allem aber muss das Corona-Missmanagement endlich ein Ende haben.
In der Krise zeigt sich nicht nur, was der Staat kann. In der Krise wird vor allem auch deutlich, was der Staat soll: Seine Aufgabe ist es, faire Rahmenbedingungen für ein gutes und sicheres Zusammenleben freier Menschen herzustellen. An dieser Herausforderung sind die Regierenden in Deutschland in der seit mehr als einem Jahr andauernden Corona-Pandemie spektakulär gescheitert. Das wurde in den vergangenen Tagen einmal mehr auf groteske Weise offensichtlich.Polizisten müssen neuerdings die Einhaltung der Maskenpflicht bei Joggern in Hamburg kontrollieren oder harmlose Spaziergänger in Düsseldorf mit dem Verweis auf «Verweilverbote» von Parkbänken verscheuchen. Im Gegensatz dazu gibt es auch im fünften Monat des zweiten Lockdowns weder eine nachvollziehbare Teststrategie für das Land noch substanzielle Fortschritte bei der Immunisierung der Bevölkerung. Die führende Industriegesellschaft Europas, sie bekämpft die Pandemie weiterhin vorwiegend mit den Methoden des Mittelalters: Menschen werden in Angst gehalten und weggesperrt.
Die Bürger auf jede erdenkliche Art und Weise kujonieren, um hilfloses Krisenmanagement zu überdecken? Sollte das die Strategie gewesen sein, hat sie spätestens mit dem Anrollen einer dritten Infektionswelle ihre Untauglichkeit bewiesen. Die Legitimität staatlicher Eingriffe in Grundrechte ist ausgereizt. Darüber können auch frische Haarschnitte, die den Bürgern seit Montag quasi im Gnadenakt zugestanden werden, nicht hinwegtäuschen. Diese erwarten zu Recht konkrete Perspektiven nach den Beratungen zwischen Bund und Ländern am Mittwoch. Das ist inzwischen sogar einer Corona-Kassandra wie Karl Lauterbach klar.
Zaghaft, überbürokratisch und weitgehend ineffizient
Bisher war das Vorgehen in Deutschland – freundlich formuliert – zaghaft, überbürokratisch und weitgehend ineffizient. Nun bedarf es detaillierter Ansagen, wie das Land wieder auf die Beine kommt. Darin enthalten sein müssen mindestens drei Punkte: Erstens eine flächendeckende Teststrategie, die mündigen Bürgern zutraut, sich ein Teststäbchen korrekt in die Nase zu stecken. Zweitens mehr Tempo bei den Impfungen – im Vereinigten Königreich liegt die Impfquote bei gut 30 Prozent der Bevölkerung, in Deutschland bei 5. Und drittens ein vorsichtiges Hochfahren des öffentlichen Lebens.
Vergleichbare europäische Länder zeigen, dass das funktioniert: In Österreich wird seit drei Wochen in den Schulen vor dem Unterricht lückenlos getestet. Mehr als 1500 infizierte Kinder oder Lehrer wurden dadurch entdeckt. Antigentests, und seit dieser Woche auch Selbsttests, sind für jedermann kostenlos in Apotheken erhältlich. Ausnahmslos alle positiven PCR-Tests werden sequenziert, die Behörden haben einen guten Überblick über die auch in Österreich in jüngster Zeit teilweise stark angestiegenen Infektionszahlen. Die Auslastung der Intensivbetten ist vorerst gering, die Öffnung lässt sich rechtfertigen.
Bei Impfungen sind Länder wie Grossbritannien, aber auch die Schweiz deutlich effizienter als Deutschland. Hierzulande liegen noch immer deutlich mehr als eine Million AstraZeneca-Dosen ungenutzt herum, in den kommenden Tagen sollen noch einmal 1,7 Millionen dazukommen. Auch wenn einzelne Bundesländer nun ankündigen, von der Impfpriorisierung nach Alter und Vorerkrankungen abzuweichen: Ausgerechnet das Land mit dem Selbstbild des Organisationsweltmeisters lässt im Wettlauf gegen die Pandemie wertvolle Zeit liegen. Wo eine Impfstrategie sein sollte, findet sich bestenfalls Ratlosigkeit, wenn nicht blankes Chaos.
Bei der Öffnung des Einzelhandels verfällt Deutschland wieder in föderale Flickschusterei. Statt bundesweit mit allenthalben schon lange existierenden Hygienekonzepten zu arbeiten, werden da die Baumärkte geöffnet, dort die Blumenläden und anderswo womöglich gar nichts. Das ist ein sicheres Rezept, die bereits bestehenden ökonomischen Schäden fatal werden zu lassen. Eine Hängepartie über weitere Monate würde den Ruin für Hunderttausende Unternehmen bedeuten.
Der Staat soll ein sicheres Leben ermöglichen? Allemal. Mit einem gefühlt ewigen Lockdown wird das allerdings nicht funktionieren. Denn zu Tode geschützt ist auch gestorben.
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