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Ich möchte hier zum Jahreswechsel …
einen Blick von außen anbieten. Das bedeutet in meinem Fall Schweden und gerade dieses Jahr gibt es möglicherweise besonderes Interesse für die schwedische Perspektive. Einleiten möchte ich mit einer Nachricht, die in der FAZ und weiteren deutschen Medien veröffentlicht wurde. Hier das Originalzitat des Leitmediums FAZ (18. Dez. 18:19 im Corona Liveticker /Frederic Zauels):
Mehr„Schweden ringt derzeit mit der zweiten Welle der Corona-Pandemie. Am Freitag registrierten die Gesundheitsbehörden 100 Todesfälle im Zusammenhang mit dem Virus. Seit Beginn der Pandemie wurden in Schweden 7993 Corona-Tote registriert. Die Sterblichkeit im vergangenen November war so hoch wie zuletzt beim Ausbruch der Spanischen Grippe 1918/1919 vor über einhundert Jahren.“
Leider ist dies, was man gemeinhin als “fake news” bezeichnet, und falsch sowohl durch Auslassung (was ja leider häufig vorkommt) als auch faktisch falsch. Die FAZ sagt „Sterblichkeit”, meint aber die absolute Anzahl von Toten (Hier ein schwedischer Medien-Beitrag dazu), das heißt im November 2020 starb die größte Anzahl Menschen (seit 1918) in einem Novembermonat in Schweden. Nicht verwunderlich, weil es gibt immer noch hohe Einwanderung und die Gruppe der sehr Alten wird kontinuierlich grösser. Nur der November 1918 übertrifft dies, allerdings war die Bevölkerungszahl damals nur halb so groß. Gerechnet pro Einwohner muss man nur 10 Jahre zurückgehen (2010) um ein Jahr zu finden, an dem es eine größere Sterblichkeit als im November 2020 gab. So gesehen ein ungewöhnlicher aber kein dramatischer Novembermonat.
Wie sieht und sah es nun aus in Schweden im Jahr 2020? Schweden hatte nie einen formellen Lockdown; weder jetzt noch im Frühjahr. Einige Dinge wurden untersagt (in erster Linie Massenveranstaltungen), das meiste war weiterhin erlaubt oder geöffnet (Läden, Restaurants, Friseure, Schulen bis zur 9. Klasse). Niemals gab es einen Maskentragezwang und erst vor kurzem wurde eine Empfehlung für das Tragen von Masken im ÖPNV ausgesprochen. Die allermeisten Maßnahmen (Abstandhalten) beruhen und beruhten auf Freiwilligkeit und die meisten Schweden hielten und halten sich daran. Schweden lässt sich in Teilen durchaus mit Zentraleuropa vergleichen. Die Region Stockholm kann mit ihren zwei Millonen Einwohnern leicht mit deutschen Großstädten verglichen werden. Es gab keine Einschränkung von Grundrechten. Für zahlreiche Fakten kann ich den englischsprachigen Blog eines Stockholmer Arztes, Sebastian Rushworth, empfehlen.
Was war nun der Preis, den Schweden für seinen Weg bezahlt hat? Sicher nicht die höchste Sterblichkeit seit der spanischen Grippe (wie von der FAZ behauptet). Aber die allgemeine Sterblichkeit ist ein gutes Maß. Bei der Behörde Socialstyrelsen kann man nachlesen, dass:
- Das Jahr 2020 Im Sterblichkeitsvergleich der letzten 5 Jahre auf dem 2. Platz mit 872 Toten pro 100 000 Einwohner landet; 2015 landet auf dem 1. Platz mit 875 (Inklusive der Woche 49). Inzwischen gibt es Daten bis inklusive der Woche 50, da teilen sich 2015 und 2020 den ersten Platz mit 893 Toten pro 100000), siehe hier.
- Im Fruehjahr wurde in Stockholm (und anderen Städten) ein Notlazarett mit ICU Betten gebaut. Dies wurde nie in Betrieb genommen, weil es nicht benötigt wurde. Es wurde im Sommer abgebaut.
- Die jetzige Lage in den Krankenhäusern ist (natürlich nach Region unterschiedlich) aber in Stockholm, „angestrengt, aber unter Kontrolle” (Zitat meiner Frau, die im Krankenhaus S:t Göran als Ärztin arbeitet). Weiterhin sind die Ansteckungszahlen auf hohem Niveau, aber nicht nennenswert weiter steigend. Ohne Masken, ohne Schulschliessungen (bis zur 9. Klasse, allerdings haben sie die 7. bis 9. Klasse diese Jahr ein paar Tage früher geschlossen) ohne Einschränkung der Grundrechte.
- Das Durchschnittsalter der Coronatoten liegt hier bei 84 bis 86 Jahren (je nach Quelle). Die durchschnittliche Lebenslänge für Männer ist 81 fuer Frauen 85 Jahre (SCB).
- Das Insolvenzrecht wurde nie außer Kraft gesetzt. Das heißt, die Betriebe, die bis jetzt überlebt haben, werden auch weiterhin überleben (im Gegensatz zu D).
Ich vermute, dass dies hier den einen oder anderen überrascht, weil die deutsche Berichterstattung dies ganz anders wiedergibt und das bringt mich zu Heinrich Heine: „Denk ich an Deutschland in der Nacht, Dann bin ich um den Schlaf gebracht”.
Wie kann es sein, dass die Berichterstattung über ein so wichtiges Thema so falsch und einseitig ist? Wie kann es sein, dass klug-kritische Stimmen zur Coronasituation summarisch von großen Teilen der Medienlandschaft in die Verschwörungsecke gedrängt werden? Wie kann es sein, dass Kritik am Kurs der Regierung häufig dazu führt, dass man stigmatisiert und in die rechte Ecke gestellt wird? Wie kann es sein, dass ein deutscher Ministerpräsident auf populistische Weise Panik fördert, indem er die Situation mit einem täglich abstürzenden Verkehrsflugzeug vergleicht? Wie kann es sein, dass die Medien ihm dieses Agieren nicht um die Ohren schlagen? Wie kann es sein, dass Tag für Tag der Bevölkerung die neuen Coronatoten berichtet werden, ohne zu erwähnen, dass es in Deutschland keine dramatische Uebersterblichkeit gibt (zum Beispiel für Hessen und Berlin in der Euromomo Datenbank nachzuschauen).
Und damit sende ich gute Wünsche für das neue Jahr aus dem ”dunklen” Schweden. Und – weil heute Silvester ist – ein kleiner Zuschlag von etwas heiterer Natur, der letzte Vers von Heine etwas abgewandelt:
„Gottlob! Durch meine Fenster bricht
schwedisch schwaches Tageslicht;
Es kommt mein Weib, schön wie der Morgen
Und lächelt fort die deutschen Sorgen“
Dr. Sebastian Bauer, ist promovierter Chemiker lebt seit 1999 in Schweden und hat 20 Jahre in der pharmazeutischen Entwicklung gearbeitet.
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