Deutschland kommt im nächsten Jahr …
… aus dem Wählen gar nicht raus. Im Mittelpunkt wird der Klimaschutz stehen, auf Landes- wie auf Bundesebene. Das Kanzleramt gewinnt am Schluss, wer einen evolutionären statt revolutionären Klimaschutz am überzeugendsten vertritt.
Das Wahljahr 2021 stellt Deutschlands Weichen für die nächsten Jahrzehnte. Es geht um eine Richtungsentscheidung zur Staatsräson und Wirtschaftsordnung. Wird die Bekämpfung des Klimawandels die Kernaufgabe des Staates, der sich alles unterzuordnen hat? Und setzt die Politik dabei primär auf marktwirtschaftliche freie Eigeninitiative oder auf staatliche Eingriffe in die Wirtschaft und Alltagswelt?
MehrDer Klimaschutz ist bei jüngeren Wählern trotz Corona das wichtigste Thema. Die Fragestellung ist dieselbe wie bei der Pandemie, aber deren Bekämpfung war eher ein Probelauf. Im voraussichtlichen Unterschied zur Seuche geht es beim Klimaschutz nicht um zeitweilige Beschränkungen, sondern um die dauerhafte Ausrichtung der Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. Soll sie evolutionär oder revolutionär erfolgen? Darüber entscheiden die Wähler.
Der beginnende Lagerwahlkampf, angefeuert durch Fridays for Future, die „Querdenker“ und Kassandrarufe in den Medien, wird 2021 in neun Wahlgängen ausgefochten. Am 14. März sind Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz sowie Kommunalwahlen in Hessen. Am 25. April wählt Thüringen einen neuen Landtag, am 6. Juni Sachsen-Anhalt. Am 12. September folgen Kommunalwahlen in Niedersachsen, und mit dem Bundestag werden am 26. September auch der Landtag von Schwerin sowie das Abgeordnetenhaus von Berlin neu gewählt.
Die Umfragen für die Bundestagswahl lassen Schwarz-Grün oder eine neue Groko als Ergebnis erwarten. Eine Koalition aus SPD, Grünen und Linkspartei ist aber ebenfalls nur wenige Prozentpunkte von einer Mehrheit entfernt. Die Grünen sind der Dreh- und Angelpunkt.
An den Rändern sind die Ansichten klar. Radikale Skeptiker betrachten die Corona-Maßnahmen als Vorboten einer Klimadiktatur. Für strikt Überzeugte ist der Corona-Stillstand der probeweise Einstieg in eine Verzichtswirtschaft, die mit staatlicher Lenkung die einzige Überlebenschance der Menschheit ist.
Dazwischen, in der Mitte, fallen die Würfel. Die Richtungsentscheidung hat eine ähnliche Dimension wie vor 70 Jahren das Votum der Wählerschaft zur Westbindung der Bundesrepublik und zur sozialen Marktwirtschaft. Die CDU/CSU war dafür, die SPD dagegen. Nach anfänglichen Rückschlägen bei den Landtagswahlen 1950 setzte die Union sich durch. 1957 zog die SPD mit dem Godesberger Programm die Konsequenz. Sie bekannte sich zu Marktwirtschaft und Westbindung.
Vor einer ähnlichen Entscheidung stehen mit Blick auf die Wirtschaftsordnung die Grünen. Ökologische Evolution oder ökologische Revolution, die Wirtschaft anpassen oder sie abwürgen – das sind die Alternativen. Die Union hat sich unter Merkel entschieden dem Klimaschutz verschrieben, will aber die Marktwirtschaft stärken, um den ökologischen Wandel finanzierbar zu halten.
Die Grünen und die SPD liebäugeln zu Teilen mit ökologischer Staatsautorität und ökosozialistischen Idealen. Ihr linker Flügel sieht die Überwindung des Kapitalismus greifbar nahe, mit dem Klimaschutz als wissenschaftlich-moralischem Motor.
In Baden-Württemberg bekommen die Grünen am 14. März mit der radikalökologischen „Klimaliste“ erstmals Konkurrenz im eigenen Lager. Schwenken sie nach links, hat das Folgen für die Wirtschaft. Die Union will das verhindern. Sie setzt erkennbar auf den pragmatischen Flügel der Grünen.
CDU und CSU werden zwar genau verfolgen, ob die AfD bei der hessischen Kommunalwahl in Rüsselsheim wiederum auf Kosten von CDU und SPD gut abschneidet. Wichtig wird auch, ob die CDU unter neuer Führung sich in Sachsen-Anhalt und Thüringen wieder zwischen einer Tolerierung durch die AfD oder Unterstützung für die Linkspartei entscheiden muss.
Das Hauptaugenmerk aber liegt auf den Grünen. Wandern grüne Jungwähler zur „Klimaliste“ ab? Falls nein, könnten die Grünen in Stuttgart auch eine Ampel aus Grünen, SPD und FDP statt eine neue grün-schwarze Koalition bilden.
Im Herbst wollen die Menschen ihr Leben zurück
Setzen sie dann in Rheinland-Pfalz die Ampel mit knapper Mehrheit fort, sofern die Liberalen es in den Mainzer Landtag schaffen? Oder bilden sie dort eine schwarz-grüne Landesregierung, um zu zeigen: Schwarz-Grün ist kein Auslaufmodell?
Gründe dafür gäbe es. Sollte die Pandemie im Herbst bewältigt sein, wollen die Menschen ihr Leben zurückhaben. Jens Spahn spielt dabei eine Schlüsselrolle. Der Sieg über Corona macht zunächst immun gegen jeden Ökostillstand. Das Kanzleramt gewinnt, wer einen evolutionären statt revolutionären Klimaschutz am überzeugendsten vertritt – wie schon vor 70 Jahren bei der sozialen Marktwirtschaft.
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