Es gibt wenige Manager,
… die ihr Unternehmen so gründlich transformiert haben wie Rolf Martin Schmitz die RWE. Schmitz verwandelte den schlimmsten CO2-Emittenten Europas in den führenden Ökostromkonzern, organisierte Atom- und Kohleausstieg und teilte in einem riesigen Tauschgeschäft mit dem Rivalen E.on den deutschen Energiemarkt neu auf.
MehrAm 30. Juni nächsten Jahres geht der Diplomingenieur nach zwölf Jahren an der Spitze des größten deutschen Kraftwerksbetreibers und insgesamt 35 Jahren in der Energiewirtschaft in den Ruhestand. Mit WELT sprach Schmitz über Aufgaben und Risiken, die in der Energiewende noch zu bewältigen sind.
WELT: Herr Schmitz, Sie legen in großer Zahl Kohlekraftwerke im Inland still. Windparks bauen Sie aber vorzugsweise im Ausland, sei es in den USA oder Japan. Wer wird uns in Zukunft mit Elektrizität versorgen, wenn sich Deutschlands größter Stromproduzent hier langsam verabschiedet?
Rolf Martin Schmitz: Wir verabschieden uns nicht. Von unserem Budget von fünf Milliarden Euro bis 2022 investieren wir netto eine Milliarde in Deutschland. Da ist unter anderem der große Meereswindpark Kaskasi nördlich von Helgoland dabei, aber auch kleinere Windparks und Solaranlagen. Nur: Wir müssen natürlich auch schauen, wo die Investitionsbedingungen gut sind. Wir würden gerne mehr Windkraft an Land bauen. Doch bei den Widerständen, die man jetzt überall hat, sind die Planungszeiten unkalkulierbar. Mal sehen, ob die Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes hier endlich Besserung bringt. Für den Bau weiterer Offshore-Windparks sind andere Regionen inzwischen einfach attraktiver, etwa Großbritannien. Da gibt es sogenannte Differenzverträge, mit denen der Staat überhöhte Unternehmensgewinne abschöpft, dafür aber auch das unternehmerische Risiko begrenzt.
Schmitz:RWE hatte im Jahr 2019 noch 20,8 Gigawatt Kraftwerksleistung in Deutschland, Ende 2022 werden es noch 13,3 Gigawatt sein – und da ist der geplante Ausbau der erneuerbaren Energien um 50 Prozent schon eingerechnet. Ein Drittel unserer Braunkohlekapazität wird dann raus sein, alle Steinkohleanlagen und alle Kernkraftwerke. Wir bauen also innerhalb von etwa drei Jahren mehr als ein Drittel unserer Stromerzeugungskapazitäten in Deutschland ab. So schnell können Sie gar nicht zubauen, um diesen Rückgang auszugleichen, selbst wenn die Rahmenbedingungen besser wären.
WELT: Auch andere Energieversorger wollen ihre Kapazitäten stark verringern. Die Auktion, mit der die Bundesregierung kürzlich Stilllegungsprämien für Kohlekraftwerke versteigert hat, war deutlich überzeichnet. Muss man sich Sorgen um die Sicherheit der Stromversorgung machen?
Schmitz: In den nächsten Jahren muss man sich um die Sicherheit der Stromversorgung keine Sorgen machen. Wir haben noch Überkapazitäten und Reservekraftwerke, schließlich auch Importmöglichkeiten und nicht zuletzt die Eingriffsmöglichkeiten der Bundesnetzagentur. Ich glaube zwar, dass man bis 2030 noch einige Gigawatt an Gasturbinen neu bauen muss, um die Versorgungssicherheit nicht zu gefährden. Aber wenn wir bald entschlossen handeln, bleibt dafür noch ausreichend Zeit. Entscheidend wird sein, die Funktionsweise des Energiemarktes möglichst bald grundlegend zu verändern.
Schmitz: Mit einem immer größer werdenden Anteil erneuerbarer Energie funktioniert der Markt, wie wir ihn kennen, nicht mehr. Denn er setzt keine Anreize für den Bau neuer Anlagen oder zu spät. Für den Ausbau der erneuerbaren Energien braucht es Auktionsmodelle, für Investitionen in Versorgungssicherheit einen Kapazitätsmarkt.
WELT: Die Regierungskommission „Wachstum, Strukturwandel, Beschäftigung“ hatte es beim Kohleausstieg zur Bedingung gemacht, dass auch neue Gaskraftwerke gebaut werden. Davon ist aber nichts zu sehen. Was fehlt noch, damit Sie loslegen?
Schmitz: Wir bauen in Deutschland kein Kraftwerk, wenn ich nicht weiß, ob ich damit Geld verdienen kann und für wie lang. Diese Sicherheit besteht im Augenblick nicht. In anderen Ländern wird eine Kapazitätsprämie gezahlt für Kraftwerke, die einspringen, wenn der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint. Denn so ein Kraftwerk soll nur wenige Stunden im Jahr laufen und kann sich deshalb nicht aus dem laufenden Betrieb finanzieren. Dafür braucht es eine besondere Vergütung, und solange es die in Deutschland nicht gibt, baue ich hier kein Kraftwerk.
WELT: Wenn hierzulande Kraftwerke knapp werden, könnten Sie doch von steigenden Börsenstrompreisen profitieren. Warum nehmen Sie trotzdem sogar hochmoderne Anlagen vom Markt?
Schmitz: Wir haben uns klar zum Kohleausstieg bekannt. Und den vollziehen wir auch. RWE trägt in den ersten Jahren die Hauptlast des Ausstiegs aus der Braunkohle. Jetzt haben wir uns mit unseren letzten beiden Steinkohlekraftwerken um die Stilllegungsprämien des Bundes beworben. Wir werten es als Erfolg, dass wir für die Abschaltung unserer beiden Kraftwerke in Hamm und Ibbenbüren ungefähr zwei Drittel der ausgeschriebenen Kompensationen bekommen konnten. Beide Anlagen gehen Anfang 2021 vom Netz. Das ist gut für das Unternehmen, aber für die Mitarbeiter eine bittere Nachricht. Es ist jedoch sichergestellt, dass es keine betriebsbedingten Kündigungen gibt und die Stilllegungen sozialverträglich gestaltet werden.
WELT: Ob das gut für das Unternehmen ist, werden die Aktionäre womöglich anders beurteilen. Ins Kraftwerk Westfalen bei Hamm hatte RWE rund drei Milliarden investiert. Jetzt schicken Sie eine praktisch nagelneue Anlage mit Baujahr 2014 für eine geringe Entschädigung in den unverdienten Ruhestand.
Schmitz: Es ging dabei um eine Risikoabwägung. Einen der beiden Blöcke in Hamm hatten wir wegen eines Schadens ohnehin schon abgeschrieben. Wenn ich mir anschaue, was ich mit Steinkohlekraftwerken in den kommenden Jahren noch verdienen kann, dann ist die frühe Stilllegung gegen Entschädigung die richtige Entscheidung. Schließlich verschlechtern sich die Ausschreibungsbedingungen für Kompensationen Jahr für Jahr. In zehn Jahren wären wir ohne jede Entschädigung zwangsabgeschaltet worden.
Schmitz: Es wurde mehr erreicht, als einige lautstarke Kritiker glauben machen wollen. Sehr viele Dinge, die schwierig waren, sind gelöst worden. Es gibt jetzt einen CO2-Preis im Verkehr und Wärmesektor und damit einen marktwirtschaftlichen Weg im Klimaschutz. Es wurde im breiten gesellschaftlichen Konsens ein klarer Pfad für den Kohleausstieg festgelegt. Man weiß jetzt genauer, was auf einen zukommt und was noch erledigt werden muss. Und es wurde ein erheblicher Ausbau der erneuerbaren Energien erreicht. Dass die Erneuerbaren heute fast die Hälfte des Strombedarfs eines Jahres decken, ist schon eine enorme Leistung. Jetzt kann man natürlich darüber streiten, zu welchem Preis dieser Erfolg erkauft wurde. Aber hinterher ist man immer schlauer.
WELT: Jetzt hat die Europäische Union ihr Klimaziel noch mal verschärft. Das bedeutet ein noch höheres Tempo für die deutsche Energiewende. Schaffen wir das auch noch?
Schmitz: Ich glaube, das EU-Ziel ist zu schaffen mit einem Energiemarkt, der diese Bezeichnung verdient und private Investitionen, nicht Steuergelder, in die erneuerbaren Energien lenkt. Das ist eine lösbare Aufgabe für die Politik. Für RWE hat sich gar nicht so viel geändert. Wir haben immer Strom produziert und werden das auch in Zukunft tun – in den Anlagen, die dafür jeweils am wirtschaftlichsten sind. Das sind Wind- und Solarkraftwerke, und da sind wir inzwischen eines der weltweit führenden Unternehmen.
WELT: Woher kommt das plötzlich hohe Tempo bei Kohleausstieg und Energiewende?
Schmitz: Das Bewusstsein über die Folgen des Klimawandels ist nicht nur in der breiten Gesellschaft gewachsen, sondern speziell auch unter Investoren. Dem schließe ich mich an. Ich habe vor fünf Jahren nicht gedacht, dass der Klimawandel so schnell sichtbar sein würde. Ich hätte gedacht, die Pufferfähigkeit der Atmosphäre ist größer. Wir wissen, menschengemachtes CO2 hat einen Anteil. Der Klimaschutz hat deshalb ordentlich Schwung bekommen, das ist gut. Wenn sich eine Eigendynamik entwickelt, kann es immer sein, dass man auch mal übersteuert. Aber das System hält das aus. Deshalb ist die Entwicklung richtig.
WELT: Der Strombedarf steigt ja sogar noch, weil künftig im großen Stil Elektrolyseanlagen zur Produktion von Wasserstoff betrieben werden müssen. Wird sich RWE darauf beschränken, hierfür den grünen Strom zu liefern?
Schmitz: RWE produziert in Zukunft nicht nur Elektronen, sondern auch Moleküle. Wir sind schon in mehr als 30 Projekten auf allen Stufen der Wasserstoffherstellung aktiv. Für uns verlängert sich so die Wertschöpfungskette grüner Energie. Der Strombedarf der Wasserstoff-Ära bedeutet für Jahrzehnte fast unbegrenztes Wachstum in diesem Bereich. Deshalb haben wir dafür bei RWE Generation gerade ein eigenes Vorstandsressort eingerichtet. Sie können sicher sein: Wir verpassen nicht noch mal den Zug.
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Was soll man davon halten?
Ein Wendehals wie er im Buche steht. Hauptsache die Kohle stimmt.
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