oder …
Was haben Gutmenschen mit Pilzen gemeinsam?
Von Werner Bläser, Schweiz
MehrSchützt Humanismus denn vor gar nichts? – fragt Alfred Andersch in seiner bekannten Geschichte »Der Vater eines Mörders« (Zusammenfassung: Hier klicken). Wie könne denn ein »fein gebildetes Bürgertum« zum »größten Vernichter menschlichen Lebens« werden. Nun, die Frage ist breit aufstellbar. Man könnte durchaus, wenn man einige geschichtliche Episoden betrachtet, die Frage stellen, vor was denn Moralismus schützt: Sicher davor, zum Mörder und Unterdrücker zu werden? Oder doch nicht?
Auf diese Fragen soll hier in diesem Essay eingegangen werden. Vorab ein Warnhinweis: Zart besaitete oder leicht zu langweilende Menschen sollten hier schon das Lesen einstellen, denn es werden nicht nur ermüdende historische und andere hochtrabende und überkandidelte Arbeiten zitiert, sondern es wird auch die Rede sein von gänzlich uninteressanten Dingen wie Massenmorden und sogar sexuellen Ausschweifungen.
Handeln wir zunächst die Frage nach der politischen Kulinarik ab, was denn Gutmenschen mit Pilzen gemein haben. Pilze haben, wenn die Witterungsbedingungen entsprechend sind, die Eigenschaft, massenhaft und schnell aus dem Boden zu schießen. Es ist unbestreitbar, dass seit einigen Jahren die Anzahl der Deutschen, die sich als leuchtende Fackelträger der Moral präsentieren, exponentiell wächst. Überall in Medien, in Politik, und bei NGOs kann man gar nicht umhin, über sie zu stolpern. (Man könnte hier die Parallelen zur exponentiellen Verbreitung der Corona-Epidemie anreißen, aber lassen wir das…) Die NGOs scheinen sich sogar regelrecht zu Sammelbecken und Produktionsstätten von Gutmenschen zu entwickeln.
Wieso sind wir Deutschen plötzlich so moralisch?
Ein Zyniker würde vielleicht behaupten: Weil wir früher, jedenfalls über einen Zeitraum von etwa 12 Jahren, genau das Gegenteil von Moralisten waren, und weil diese Erinnerung unangenehm und sozial unpraktisch ist. Wer wird schließlich Leuten mit dieser Vergangenheit moralische Führerschaft zutrauen? Keiner.
Moralische Führerschaft hat angenehme Seiten; es ist nicht schön, auf Dauer auf sie zu verzichten. Also wie kommt man zurück auf dieses prächtige Podest der Führenden, Wichtigen, Weisen?
Ganz einfach: Man muss alle in offensichtlicher Moral übertrumpfen, dann wird es schon wieder werden mit dem Führertum. Wenn auch nicht sofort kollektiv, dann aber wenigstens partikular für die moral-revolutionäre Avantgarde, die ihre Landsleute dankenswerterweise permanent zu ethisch hochstehendem Verhalten auffordert. Wozu ist man Elite?
Natürlich melden sich hier die Skeptiker, die Kritikaster, die ewig Gestrigen, die sich weigern, mitgenommen zu werden. Sie wollen nicht glauben, dass die Moralisten, die man heute an jeder Straßenecke massenhaft antrifft, »echt« sind.
Denn es gäbe es auch – wie bei den Pilzen – unechte, ungenießbare Typen. Diese Bedenkenträger wenden ein, dass nach aller Lebenserfahrung nur wenige Menschen geeignet seien, einen Heiligenschein zu tragen. Und dass Heiligenscheine so falsch sein könnten wie die Haarteile von ›drag queens‹.
George Orwell, der berüchtigte englische Spielverderber, der so schöne harmonische Gesellschaftsideen wie den Kommunismus madig machte, meckerte schon vor Jahrzehnten:
»SAINTS SHOULD ALWAYS BE JUDGED GUILTY UNTIL THEY ARE PRO- VED INNOCENT« (Reflections on Gandhi, 1949)
Sollten wir wirklich, wie man heute so schön sagt, einen »Generalverdacht« gegenüber selbsternannten Moralisten pflegen? Vielleicht sind sie doch alle plötzlich von göttlicher Gnade erleuchtet und vom altdeutschen Saulus zum neudeutsch-gutmenschelnden Paulus geworden? Vielleicht kommt die göttliche Gnade wie eine Modewelle, wie der Tsunami von Fukushima? Fragen über Fragen…
Vielleicht hilft es, wenn wir uns einige geschichtliche Beispiele von ins Kraut schießendem Moralismus in der Politik – und um Politik geht es hier – anschauen.
Einer der berühmtesten abendländischen Moralisten mit politischem Ehrgeiz war Savonarola. Schon als junger Mann fühlte er den göttlichen Auftrag, andere Menschen – Er sah haufenweise schlechte Exemplare um sich herum – auf den rechten Weg zu bringen. Zwar haderte er mit diesem himmlischen Auftrag, da er sich als ein »zu geringes Lebewesen« ansah, aber er musste sich zähneknirschend in seine göttliche Mission fügen. Man mag nun bekrittelnd einwenden, dass diese angebliche Bescheidenheit und sein Zaudern nur ein psychologisches Konstrukt zur Kaschierung seines Ehrgeizes gewesen seien. Lassen wir ihm »the benefit of the doubt« und sehen uns an, wozu seine Moral führte.
Der »Moralist« Savonarola interessierte sich bald wenigstens ebenso sehr für Politik, wie für die geistige Säuberung seiner Mitmenschen, und er verfolgte zunächst für die Stadt Florenz das sicher sehr löbliche Ziel der (relativen!) Demokratisierung der Stadtherrschaft nach venezianischem Vorbild. Dazu schien es ihm opportun, mit den französischen Invasoren, die damals unter Karl VIII. nach Italien einmarschierten, zu kuscheln.
Des Weiteren wandelte sich seine Herrschaft über Florenz bald zum Schreckensregime, das den Historiker Jan van Flocken an die modernen Taliban erinnert:
»EINE KINDERPOLIZEI, DIE ›FANCIULLI‹, WURDE GEGRÜNDET. DIESE HALBWÜCHSIGEN VANDALEN DURFTEN IN JEDES HAUS EINDRINGEN UND ›ANRÜCHIGE‹ DINGE ZERSTÖREN, ZUM BEISPIEL SCHMINKTÖPFE, SPIEGEL, PERÜCKEN, REICHE KLEIDUNG, GEMÄLDE VON NACKTEN GESTALTEN.« (v. Flocken: Als christliche Taliban zum Amoklauf ansetzten, in: `Die Welt` 11.6.2016).
Die ›Fanciulli‹ trugen angespitzte Stöcke und verprügelten auch gerne mal unbotmäßige Zeitgenossen auf der Straße, wenn sie sich weigerten, ihnen Almosen zu geben. »Wie die Weiber der Mohammedaner sollen [die Florentiner Frauen] ihr Gesicht verhüllen«, lautete eine Forderung der neuen Moralapostel. Bald folgte dann das große Reinigungsfeuer auf der Piazza della Signoria, in dem alle möglichen den Savonarolisten nicht genehme Dinge verbrannt wurden – darunter unschätzbare Gemälde von Botticelli.
Nicht alle Menschen ließen sich vom machtgierigen Mönch blenden.
Machiavelli, der einige von Savonarolas Predigten hörte, berichtete in einem Brief an Ricciardo Becchi, einen florentinischen Diplomaten in Rom, wie sich Savonarola unter dem Deckmantel der Moral politisch jeweils in den genehmen Wind drehte (siehe Machiavellis Briefe, sowie C. Doering, Das Scheitern prophetischer Rede oder Machiavellis Analyse der Rhetorik Girolamo Savonarolas, in: C. Meier et al., Prophetie und Autorschaft. Charisma, Heilsversprechen und Gefährdung, 2014).
Weit weniger bekannt als Savonarolas Umtriebe in Florenz ist die Geschichte der Wiedertäufer von Münster, gegenüber deren Schandtaten Savonarola wie ein Waisenknabe wirkt. Ebenso wie Savonarola, der sich ebenfalls eine gewisse Demokratisierung der Florentiner Herrschaft und Vorteile für die ärmeren Bevölkerungsschichten auf die Fahnen geschrieben hatten, traten die Wiedertäufer unter ihren Führern Bernd Rothmann, Jan Mathys und Jan van Leiden in den 30iger Jahren des 16. Jahrhunderts für durchaus löblich klingende Ziele ein. Neben der Errichtung eines »neuen Jerusalem« auf Erden, sollte das Los der ärmeren Schichten verbessert werden; dazu wollte man eine »Gütergemeinschaft« einführen.
Ebenso wie in Florenz wurde Eigentum von Bürgern konfisziert, wurden Schuldscheine negiert. Es gab einen protestantischen Bildersturm, in dem zahlreiche Kunstwerke vernichtet wurden. Da es einen Frauenüberschuss in der Stadt gab, wurde die Vielehe für Männer (Polygynie) eingeführt. Der Führer Jan van Leiden, der sich bald formell zum »König von Münster« krönen ließ, nahm gleich 16 Ehefrauen.
Wie Zeitzeuge Herrmann von Kerssenbrock berichtete, wurde »alle Ehrbarkeit, Keuschheit und Schamhaftigkeit aufgehoben«; Nonnen ließen die »schlimmsten Galgenstricke« an ihre Unschuld (wo war die wohl??), Elf- und Zwölfjährige wurden auf offener Straße von Männern »in ihrer Geilheit« überwältigt; Frauen, die sich verweigerten, wurden in ein Kloster gesperrt; »dem regellosen Geschlechtsverkehr frönten sie in unersättlichem und unnatürlichem Wechsel« (Berthold Seewald, in: `Die Welt`, 12.2.2018).
Wer dieser Geschichte bis hierher noch sympathische Seiten abgewinnen kann, der möge bedenken, dass gleichzeitig mit der Radikalisierung der Wiedertäufer ein ´fröhliches` Hinrichten von Dissidenten vonstatten ging. Die moralischen neuen Herren waren alles andere als tolerant. Luxus war zwar verpönt – aber doch nicht für alle!
»König« Jan van Leiden schwelgte in ihm, und als eine seiner Frauen dies kritisierte, wurde sie angeblich von ihm eigenhändig hingerichtet.
Der neu bestallte Henker Bernd Knipperdolling soll seiner Tätigkeit geradezu mit Leidenschaft und Vergnügen nachgegangen sein (siehe J. Swan, Apocalypse at Münster, in: R. Cowley, Experience of War, New York 1992, S. 105).
Das Ende kam mit Schrecken.
Während Savonarola einen relativ gnädigen Tod durch Erhängen fand, seine Leiche wurde verbrannt, wurden die Führer der Wiedertäufer grausam zu Tode gefoltert.
Die Episoden Savonarolas und der Wiedertäufer sind allerdings nichts gegen das, was sich in China unter der Qing-Dynastie um die Mitte des 19. Jahrhunderts abspielte.
Ebenso wie das Florenz Savonarolas und die soziale Umgebung der Wiedertäufer zeigte die Qing-Dynastie, die nicht von einheimischen Han-Chinesen, sondern von fremden mandschurischen Eroberern errichtet worden war, alsbald Auflösungserscheinungen. Es entstanden zahlreiche im weitesten Sinne »sozialrevolutionär« auftretend Bewegungen und Geheimgesellschaften, die das Regime nicht nur reformieren, sondern gleich ganz abschaffen wollten. Eine dieser Bewegungen, die ´Taiping`, sollte China in einen Bürgerkrieg führen, der der wohl opferreichste aller Zeiten gewesen sein dürfte – man geht von mindestens 20 Millionen Toten aus. Die Bewegung wurde zunächst vorwiegend von ethnischen Minderheiten, vor allem der Volksgruppe der Hakka, initiiert, erfasste dann nach und nach breite Schichten der Bevölkerung.
Der junge Hakka Hong Xiuquan (1814-1864) galt in seinem Heimatdorf als der typische »Überflieger« – er übertraf alle an Lerneifer und Kenntnissen. Es erschien natürlich, dass er sich zu den Beamtenprüfungen anmeldete, die das Tor zu einer Karriere bedeuteten. Leider fiel er durch. Und das, im Laufe von mehreren Jahren, gleich viermal. Nach dem vierten Misserfolg erlitt Hong einen physischen und psychischen Zusammenbruch. Allerdings hatte Hong einige Jahre vorher die Schrift eines christlichen Missionars erhalten, mit dem schönen Titel »Gute Worte zur Ermahnung der Welt«. Dadurch hatte der junge Mann die Bekanntschaft des christlichen Gottes gemacht. Nach seinem Zusammenbruch hatte er dann verschiedene Visionen, die ihn diesen Gott sehen liessen. Hong kam schliesslich zu der Erkenntnis, dass er ein zweiter Sohn Gottes, und damit Bruder von Jesus, sein musste.
Er begann nun, unter den Mühseligen, Beladenen und Entrechteten des Qing-Reichs Anhänger um sich zu versammeln. Und da es glücklicherweise genug Anlass zur Kritik an den Zuständen gab, hatte er derer bald eine ganze Menge.
Zunächst begingen seine Anhänger Überfälle, wandelten sich aber sehr bald zu einer fanatischen, ekstatischen religiösen Sekte. Das Heer der `Taipings` schwoll so stark an, dass sie es bald wagen konnten, die Staatsmacht direkt herauszufordern. Die bewaffneten Kräfte der Regierung waren den mit aller Entschlossenheit kämpfenden Sektenmitglieder zunächst nur selten gewachsen – die Aufständischen nahmen Region um Region ein. Anfang 1853 marschierten sie auf die grosse Stadt Nanjing und nahmen sie im März dieses Jahres ein. Tausende von Mandschu-Soldaten und Zivilisten wurden dabei von den Taipings massakriert, denn der »himmlische Vater« hatte Hong befohlen, die »Dämonen« (Mandschu) zu vernichten.
»THE HOLY SOLDIERS KILLED ALL THE MANCHU MEN, AND THEN DROVE SEVERAL THOUSAND MANCHU WOMEN TO THE OUTSIDE OF CHAOYANG GATE, AND BURNT THEM TO DEATH« (Thomas Reilly, The Taiping Heavenly Kingdom, 2014, S. 139).
Nicht alle Aspekte der Taiping-Rebellion waren derart grausam – es gab durchaus auch unfreiwillig komische Seiten. Hong und seine Führungsclique hatten zunächst strenge sexuelle Enthaltsamkeit für ihre Anhänger angeordnet. Hong selbst aber liess sich nicht nur zum »König des himmlischen Taiping-Reiches« krönen, er hielt sich auch einen mehrere hundert Frauen umfassenden Harem. Den wichtigsten Heerführer der Taiping, Yang Xiuqing (1820-1856), ein gelernter Köhler, machte er zu einem seiner »Unterkönige«. Yang verfiel nun auf die schlaue Idee, die Methode seines Vorgesetzten zu kopieren, und bekam »göttliche Visionen«. Dabei sprach angeblich Gott Vater selbst durch ihn. Wenn Yang »im Zustand der Erleuchtung« war, war er dementsprechend berechtigt, seinem Herrn, Hong, der ja nur Gottes Sohn war, »göttliche Befehle« zu geben, während er sonst dessen Untergebener war.
Dieser Zustand gefiel Hong – begreiflicherweise – nicht, und so liess er Yang ermorden. Bei dieser »Tianjing Incident« genannten Episode kamen dann gleich mehrere Taiping-Führer ums Leben, die sich gegenseitig bekriegt hatten. Das so entstandene Chaos innerhalb der Bewegung war eines der Ereignisse, die letztlich zum Scheitern der Taiping-Rebellion führten.
Hitler und Stalin
Wenn man an Hitler, Stalin und Mao denkt, würde man diesen (Volksver-) Führern gewiss nie Moralismus unterstellen. Hitler hatte immer eine Ausgabe von Machiavellis »Der Fürst« auf seinem Nachttisch liegen. Aber es wäre ein Fehler, zu glauben, innerhalb der kommunistischen Bewegung sowieso, ja aber sogar innerhalb des Nazismus, habe es keine Moralvorstellungen gegeben. Es waren nur völlig andere, nach unseren Begriffen perverse Moralvorstellungen, aber eben doch so etwas wie Moralvorstellungen. Viele Nazis glaubten ernsthaft, die Verabsolutierung des deutschen, von der Geschichte auserwählten Volkes und des Wohlergehens der deutschen Volksgemeinschaft, bei gleichzeitiger Missachtung und Herabsetzung anderer Völker, sowie die Verleugnung der natürlichen Rechte dieser Völker, sei moralisch gerechtfertigt.
Der Philosoph Herrmann Lübbe (siehe `Politischer Moralismus – der Triumph der Gesinnung über die Urteilskraft` – Kurzdarstellungen in der FAZ vom 22.12.2019, Art. von R. Hank; sowie in der `Wirtschaftwoche` vom 23.6.2019 `Politischer Moralismus führt in die Unmoral`) versucht, der verqueren »Moral« der Nazis anhand einer Betrachtung der beiden Posener Geheimreden von Heinrich Himmler auf die Spur zu kommen. Er zeigt, dass hier zwar das »objektiv Böse« am Werk war, keinesfalls zwingend aber das »subjektiv Böse«: Es gab durchaus Versuche, die eigenen Gräueltaten moralisch zu begründen und zu rechtfertigen.
Im Falle des Kommunismus ist das Verständnis leichter – es handelt sich ja um eine Ideologie zur ´Menschheitsbeglückung`. Sie muss selbstverständlich und in sich »moralisch wertvoll« erscheinen.
Welche Grenzen soll es für Menschheitsbeglücker geben?
Lenin schrieb am 18.8.1919 im Geheimdienstorgan `Rotes Schwert`:
»UNS IST ALLES ERLAUBT… [DENN] UNSERE HUMANITÄT IST ABSOLUT…. WIR ERHEBEN… DAS SCHWERT… IM NAMEN DER ALLGEMEINEN FREIHEIT UND DER BEFREIUNG VON ALLER SKLAVEREI« (zit. nach Herrmann Lübbe, `Tugendterror – höhere Moral als Quelle politischer Gewalt`, S. 215).
Die Beispiele zeigen, wie Moralisten, die von der Güte ihrer Prinzipien zutiefst überzeugt sind, zu den größten Scheußlichkeiten und Grausamkeiten greifen können. Damit will ich nicht sagen, dass dies immer der Fall sein muss – es gibt auch Eiferer, die friedlich bleiben und ihren Mitmenschen keinen nennenswerten Schaden zufügen. Ich will ebenfalls nicht behaupten, dass die moralistischen Eiferer immer schlimmer waren als ihre Gegner – das war keineswegs der Fall. Die grausame Verfolgung der Taipings und der Münsteraner Wiedertäufer zeigt dies überdeutlich.
ES GILT ZWEIFELLOS: UNSERE MORALISTEN WAREN EBEN AUCH IN SEHR VIELEN FÄLLEN NICHT BESSER ALS DIE, GEGEN DIE SIE KÄMPFTEN, UND DENEN SIE SICH MORALISCH ÜBERLEGEN FÜHLTEN.
Moralismus macht den Menschen nicht unbedingt zu einem besseren Menschen.
Im Gegenteil: Die Gefahr ist sehr groß, dass der glühende Moralist jedes Maß und jeden Realitätskontakt verliert und zum blinden Fanatiker wird. Dass er damit nicht nur den Kontakt zur Realität, sondern auch den zu einer Moral verliert, die den Menschen gewaltfrei gerecht wird. Mäßigung ist das Ziel, nicht Übereifer.
Montaigne (1533-1592) schrieb in seinem Essai über die Mässigung:
»GLEICHSAM, ALS OB UNSERE BERÜHRUNG ETWAS ANSTECKENDES HÄTTE, VERDERBEN WIR DURCH UNSER BEHANDELN SOLCHE DINGE, DIE AN UND FÜR SICH SELBST SCHÖN UND GUT SIND. WIR KÖNNEN DIE TUGEND AUF EINE ART ERGREIFEN, DASS SIE DADURCH FEHLERHAFT WIRD – WENN WIR SOLCHE MIT ZU GROSSER HITZE UND ZU HEFTIGER GIER UMARMEN…«
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Woher kommt der politische Moralismus?
Hat es etwas mit Nationalcharakteren zu tun, die es angeblich nicht geben soll (nennen wir das Kind einfach »unterschiedliche Kulturen«).
Rüdiger Safranski meint:
»DIE INFANTILE WELTFREMDHEIT, DIE SICH IM MORALISMUS AUSDRÜCKT, IST SCHON EIN SEHR SPEZIFISCH DEUTSCHES PHÄNOMEN«
in: `Weltwoche` 52/2015, ´Politischer Kitsch`
Sicher scheint, dass die politische Romantik, die schon Carl Schmitt kritisierte, bei uns Deutschen ein mehr oder weniger direkter Ausfluss der literarischen Romantik ist, die bei uns wesentlich stärker entwickelt war, als bei allen anderen Literatur produzierenden Völkern (außer in England – dort stand mit der Tradition des common sense ein wirksames Gegengewicht zur Verfügung, das bei uns fehlte).
Die Bestrebungen, die bei uns einerseits zur Befreiung von tyrannischer Fürstenherrschaft führen sollten, andererseits zur nationalen Einheit, waren durch die Bank romantisch. Insofern hat Romantik bei uns eine positiv aufgeladene Konnotation gegenüber der »kalten, mitleidlosen Ratio«. Romantik und Moralismus sind eng verwandt. Beide betonen das subjektive Empfinden gegenüber der objektiven Realität.
Mir scheint, dass das Abtauchen in romantisch-moralisierendes Denken und Empfinden jeweils historisch verschiedene Gründe hatte, aber auch gemeinsame. Gemeinsam scheint allen solchen geistigen Bewegungen die subjektive Erfahrung von gesellschaftlichen Missständen zu sein. Unter bestimmten Bedingungen entwickelten sich dann zunächst sinnvolle Reform- und Problemlösungsbestrebungen, die sich dann langsam radikalisierend in immer umfassendere, abgeschlossene, sich selbst bestätigende und verstärkende Gedankengebäude verselbständigten, abgeschottet von jeglicher Kritik. Kritik von außen war und ist praktisch gleichbedeutend mit Feindschaft.
Die »Anderen« sind dann nicht mehr Menschen mit einer anderen Meinung, sondern einfach nur noch »böse«.
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Unsere global orientierte Moderne ist offensichtlich besonders geeignet, romantisch-moralisierende Haltungen hervorzurufen.
- DIE WELT WIRD – ZUMAL NACH DER ZUGÄNGLICHMACHUNG DES INTERNETS – FÜR UNS IMMER DETAILREICHER UND KOMPLIZIERTER. DIE VERKÜRZUNG VON PROBLEMEN AUF DEN (angeblich) MORALISCHEN ASPEKT REDUZIERT KOMPLEXITÄT IM LUHMANN’SCHEN SINNE.
- DIE IMMER KOMPLEXER WERDENDE WELT TRIFFT AUF EIN PUBLIKUM, DESSEN PROBLEMVERARBEITUNGSKOMPETENZ DURCH VIELFACHE, TEILS SINNLOSE »BILDUNGSREFORMEN« ÜBER JAHRZEHNTE IMMER GERINGER GEWORDEN IST.
- DIE IMMER KOMPLEXEREN ANFORDERUNGEN ZUM VERSTEHEN DER UMWELT TREFFEN AUF EINE DURCH LANGEN WOHLSTAND UND LANGANDAUERNDE SICHERHEIT ENTSTANDENE »SELBSTVERWIRKLICHUNGS- UND SPASSGESELLSCHAFT«, DIE DIE MÜHSAME BESCHÄFTIGUNG MIT VERZWICKTEN PROBLEMEN ABLEHNT.
- DIE INFORMATIONS- UND SINNVERMITTLER IN DEN MEDIEN UND IN DER POLITIK GEHEN DEN WEG DES GERINGSTEN WIDERSTANDES: SIE ERGREIFEN DIE CHANCE, DURCH ROMANTIK UND MORALISIEREN PROBLEME ZU VEREINFACHEN UND »VERKAUFBAR« ZU MACHEN.
- ALS WEITERES HILFSMITTEL ZUR VERMEIDUNG KOMPLIZIERTER SACHDEBATTEN BIETET DIE ERFINDUNG DES MORALISIERENDEN »ETIKETTIERENS« EINE BEQUEME ABHILFE. Es ist nicht mehr nötig, unbequeme Kritik sachlich zu widerlegen; es reicht, den Kritiker und seine Äußerung als irgendwie «so-und-so-´istisch« (wobei ein beliebiger Begriff mit negativer Konnotation zu wählen ist) darzustellen. Eine womöglich anstrengende Sachdiskussion erübrigt sich dann.
- ZIRKULARITÄT. WENN DER EIGENE STANDPUNKT »WACKELT«, SOBALD DENN EINE SACHDISKUSSION GAR NICHT MEHR VERMEIDBAR IST, KANN IMMER NOCH AUF DIE BEHAUPTUNG DER EIGENEN MORALITÄT ZURÜCKGEGRIFFEN WERDEN. EIN BEWEIS DERSELBEN ERÜBRIGT SICH. ZWEIFEL DARAN KÖNNEN MIT DER UNMORALITÄT DIESES ZWEIFELS (»VERDACHT, GENERALVERDACHT, VERSCHWÖRUNGSTHEORIE, ANGRIFF AD PERSONAM«) ABGETAN WERDEN.
- WENN ALLES NICHTS HILFT, DANN IST EMPÖRUNG UND LAUTSTÄRKE DAS MITTEL DER WAHL. EINE DEMO MIT GRIFFIGEN SPRUCHBÄNDERN UND SPRECHCHÖREN IST ALLEMAL WIRKSAMER ALS EIN ARGUMENT. Bei besonders renitenten Zeitgenossen hilft auch der Shitstorm als moralische Verdammung. Also durchzusetzen ist die »Haltung« viel leichter als Vernunft.
- LAST BUT NOT LEAST: FÜR DIE VIELZAHL VON DUMMEN MENSCHEN IST MORALISMUS DER PASSEPARTOUT IN DIE KARRIERE. KOMPETENT KANN NICHT JEDER SEIN. SCHEINBAR MORALISCH ABER SCHON.
MIT MORALISMUS LÄSST SICH TREFFLICH HERRSCHEN.
Sowohl am Stammtisch als auch gesamtgesellschaftlich.
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Leider hat Moralismus den kleinen Nachteil, dass Petitessen wie die Realität von Problemen in den Hintergrund treten – zugunsten ihrer scheinbar moralischen Aspekte. Dies könnte sich nach einer gewissen Zeit übel auswirken (wie die Lebenserfahrung zeigt, holt die Realität jeden Träumer irgendwann ein) – aber solange es funktioniert, funktioniert es eben. Hinterher sind die Moralisten sowieso an nichts schuld. Sie waren schließlich nur moralisch, bestenfalls sympathisch-naiv, haben selbstverständlich nur das Beste gewollt.
Ein kleiner Nebeneffekt des Moralismus mag ebenfalls einige ewig Gestrige beunruhigen: Mit der ganzen Moralisierei geht eine der Haupt-Errungenschaften unserer westlichen Zivilisation zum Teufel: Die Aufklärung mit ihrer Ablehnung mittelalterlich-obskur-religiösen Denkens zugunsten rationaler Analyse.
Trösten wir uns:
Die Aufklärung war auch nur ein Produkt oft zwar noch nicht alter, aber immer weißer Männer. Und die sind bekanntlich böse. Das ist moralisch doch völlig klar.
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Soviel ist klar: Das Weltklima muß hier und heute gerettet werden – koste es, was es wolle! Und wenn es uns in die Steinzeit zurückführt: https://www1.wdr.de/nachrichten/protestwochenende-rheinisches-revier100.html
Auf „Klimaleugner“ hören die grünen Weltenretter nicht. Basta!
https://www.rnd.de/promis/konigin-von-danemark-keine-panik-wegen-klimawandel-2C37J63PJNMOM4FLDA4NELUF7I.html