Die seltenen Interviews mit Vertretern der größten Oppositionspartei zeichnen sich durch folgende Merkmale aus:
- Den AfD-Mann, die AfD-Frau bildlich im Aufmacher möglichst negativ darstellen
- Zum Teil unverschämte Fragen stellen, die in solcher Form den ´genehmen` Gesprächspartnern niemals gestellt würden
- „Verstecken“ der AfD-Meinung hinter der Bezahlschranke
Auch das Interview …
… mit Detlev Spangenberg zeichnet sich durch diese Merkmale aus. Weil es aber zeitgeschichtlich so wichtig ist, zitiere ich den Text komplett. Wer die Verweise und Kommentare lesen möchte, abonniere WELTplus. Lohnt immer.
AfD-Gesundheitspolitiker Detlev Spangenberg fordert einen Stopp der meisten Corona-Vorschriften – und empfiehlt deshalb Älteren und Vorbelasteten, „nur wenig Kontakt mit anderen Menschen zu haben“. Den Nutzen von Schutzmasken hält er für nicht bewiesen.
Detlev Spangenberg: Es sind ja in den letzten Monaten schon zahlreiche Maßnahmen eingeleitet worden. Die halten wir für überzogen, weil das Problem nicht vernünftig und auf eine für die Wirtschaft vertretbare Weise angegangen wurde. Man muss diejenigen schützen, die gefährdet sind, darf aber nicht die ganze Gesellschaft isolieren, weil einige Menschen eventuell gefährdet sind.
Weil die ganze Gesellschaft unter Quarantäne gestellt wurde, ist ein ungeheurer Schaden angerichtet worden. 60 Prozent der Gaststätten sind von der Pleite bedroht. Die Kollateralschäden sind teilweise noch größer als das, was durch Corona passiert. Wer ein Leben lang eine Firma geführt hat, die nun innerhalb von Tagen für immer zerstört wird, kann suizidgefährdet sein.
Deshalb fordern wir, dass es endlich ein Gremium unabhängiger Wissenschaftler verschiedenster Fachrichtungen gibt, die eine umfassende Analyse unter Berücksichtigung aller Kollateralschäden vornehmen, damit nicht wie bisher nur der Meinung einiger weniger Leute gefolgt wird.
Spangenberg: Wer soll all jene potenziellen Risikopatienten ernähren und ihnen Strom oder Wasser liefern, wenn das ganze Land lahmgelegt wird? Ohne funktionierende Wirtschaft habe ich kein Gesundheitssystem.
WELT: Das ist unsolidarisch. Eine sehr große Gruppe von Menschen, die oft sowieso schon unter Vereinsamung leiden, soll sich nun für längere Zeit noch mehr zurückziehen? Da könnte man tatsächlich an die von Ihnen angesprochene Suizidgefährdung denken.
Spangenberg: Es gibt vermutlich keine andere Lösung. Es hat schon immer Isolierstationen und Einschränkungen der Kontakte bei gefährdeten Gruppen gegeben. Es bringt doch nichts, dass ich praktisch eine ganze Gesellschaft kaputt mache und eine Branche nach der anderen in den Ruin stürze. Dann wird auch niemand die Sozialleistungen für gefährdete und erkrankte Menschen aufbringen können.
Spangenberg: Alle Maßnahmen müssen verhältnismäßig sein und an der konkreten Situation vor Ort ausgerichtet werden. Letzteres wird mittlerweile praktiziert, wurde von der AfD aber von Anfang an gefordert. Soweit es geht, müssen alle Maßnahmen auf Freiwilligkeit beruhen und nur dann zur Vorschrift werden, wenn kein Zweifel an der Wirksamkeit und Notwendigkeit besteht.
Nehmen Sie die Maskenpflicht im Zug: Die ist nicht notwendig, wenn in einem Großraumwagen nur drei Leute mit großem Abstand voneinander sitzen, wie ich es heute Morgen erlebt habe. Ein älterer Herr im Waggon wirkte nicht, als gehe es ihm mit der Maske gut. Wir haben aber jetzt ein gesellschaftliches Klima, in dem Menschen sich aufspielen wie Gesundheitspolizisten und andere in aggressivem Ton fragen, warum sie keine Maske tragen.
Spangenberg: Dann sieht es anders aus. Man muss von Fall zu Fall entscheiden, individuell. Wenn der Zug voll ist, mag die Maske sinnvoll sein. Ist er leer, ist sie es nicht.
WELT: Zumal im Nahverkehr halten sich viele nicht an die Maskenpflicht. Ihr Vorschlag wird sie darin noch bestärken. Nun ist ein Zug mal voll. Sollen dann diejenigen, denen an Vorsicht gelegen ist, die anderen Reisenden zum Maskentragen auffordern und sich damit zu jenen Gesundheitspolizisten machen, die Sie nicht leiden können?
Spangenberg: Nach meinen Erfahrungen sind die Menschen sehr gesundheitsbewusst und akzeptieren in der großen Mehrheit vernünftige Regelungen. Die Bevölkerung braucht keine Gängelei, sondern Aufklärung. Zu der gehört, dass die Menschen auf die Gefahren der Masken hingewiesen werden. Das sind ja Bakteriensammler.
Spangenberg: Viele Menschen müssen ihre Masken am Tag viele Stunden lang tragen und können die nicht zwischendurch auf 60 Grad waschen. Für Menschen mit Atemnot sind Masken sehr belastend. Deren Nutzen ist nicht bewiesen.
WELT: Nach einer im Fachmagazin „Lancet“ veröffentlichten Metaanalyse zahlreicher Studien wird durch Masken das relative Ansteckungsrisiko um rund 80 Prozent gesenkt. In einem Friseursalon im US-Bundesstaat Missouri schnitten zwei mit Corona infizierte Mitarbeiter mehr als eine Woche lang 139 Kunden die Haare, von denen niemand sich ansteckte. In dem Salon trugen alle Masken.
Spangenberg: All das sind keine zwingenden Belege für die Notwendigkeit von Masken, und die unterschiedlichen Regelungen der Bundesländer zur Maskenpflicht in Schulen zeigen ja, dass es auch innerhalb Deutschlands bei Regierungen und ihren Fachberatern unterschiedliche Meinungen gibt.
WELT: Wenn Vorsichtsmaßnahmen immer mehr über Bord geworfen werden, wächst das Risiko einer zweiten Welle und damit eines neuen Lockdowns, der die Wirtschaft tatsächlich an den Rand der Vernichtung bringen würde.
Spangenberg: „Zweite Welle“, „neuer Lockdown“ – das ist genau die Panikmache, gegen die wir uns wenden. Die Menschen haben doch den Eindruck, ständig durch Katastrophenszenarien unter Druck gesetzt zu werden.
WELT: Es gibt Länder, etwa Israel, die nach erheblichen Erfolgen bei der Corona-Bekämpfung wieder einen starken Anstieg der Infiziertenzahlen erleben. Es ist keine Panikmache zu fragen, wie man so etwas bei uns verhindern kann.
Spangenberg: Verhindern kann man das durch freiwillige Schutzmaßnahmen im Rahmen der Verhältnismäßigkeit sowie konzentrierte Arbeit an Medikamenten und Impfstoffen. Es nutzt uns aber gar nichts, unser Leben auf null zu stellen, ohne eine Lösung zu haben.
WELT: Im Unterschied zur Grippe kann es nach einer Covid-19-Erkrankung auch bei jungen Menschen zu dramatischen Langzeitschäden kommen. Zudem ist man bei Corona anders als bei der Grippe auch dann hochinfektiös, wenn man keine Symptome spürt und noch unter Leute geht. So kann sich Corona viel schneller verbreiten.
Spangenberg: Gemeinsam haben Grippe und Corona, dass wir sie nur dann in Schach halten können, wenn wir unsere Wirtschaft dabei nicht ruinieren. Das tun wir bei der Grippe nicht, das sollten wir bei Corona auch nicht tun.
Spangenberg: Wir haben uns von Anfang an gegen eine staatliche Impfpflicht ausgesprochen. Dabei bleiben wir.
WELT: Wären Sie bei Beschäftigten im Gesundheits-, Pflege- und Bildungssystem für eine Impfpflicht?
Spangenberg: Es kann Ausnahmen geben, bei denen eine Impfpflicht vorstellbar wäre. Es gibt ja auch sonst in einzelnen Berufen gewisse Anforderungen, die man erfüllen muss. Stets aber muss die Verhältnismäßigkeit gewahrt bleiben. Und generell muss man immer Überzeugungsarbeit leisten und andere Meinungen stehen lassen.
Spangenberg: Diese Tests sind wegen der falsch positiven Ergebnisse ohnehin umstritten. Darauf hat auch Minister Spahn hingewiesen. Aber selbst wenn man das für nötig hält, kann in dieser Situation mal eine solche Panne passieren.
WELT: Was bewegt die AfD zu der sehr wohlwollenden Einschätzung und zum Teil offenen Unterstützung der sogenannten Querdenker-Demonstrationen, die sich gegen alle bisherigen Corona-Schutzmaßnahmen richten?
Spangenberg: Wir sind der Meinung, dass diese Leute das Recht zum Demonstrieren haben müssen. Warum sie das tun, wofür und wogegen, ist deren Angelegenheit. Dass das vielen Leuten nicht passt, was die tun, kann kein Grund sein, diese Demonstrationen zu verbieten.
WELT: Mehr haben Sie nicht zu sagen, wenn bei den Querdenker-Demos das komplette Ende aller Schutzmaßnahmen gefordert wird?
Spangenberg: Ich habe Ihnen doch schon gesagt, was ich denke: Es gibt Maßnahmen, die sofort beendet werden müssen, und es gibt welche, die in einem bestimmten Maße sinnvoll sind. Aber ich will doch nicht Demonstrationen mit abweichenden Meinungen verbieten. Und die AfD betont, dass das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit nur im Rahmen der Verhältnismäßigkeit eingeschränkt werden darf.