Unabhängig, ob mit Corona …
… tatsächlich eine – medizinische – Pandemie ausgelöst wurde oder nicht, bleibt die Frage, ob die getroffenen Maßnahmen verhältnismaäßig waren. Dazu der Essay von Carlos A. Gebauer. Gebauer ist deutscher Jurist und Autor, spezialisiert auf Medizinrecht. Sein Essay erschien erstmals im Juni 2020 auf hayekianer.ch.
MehrSeuchen sind mitnichten nur eine medizinische Herausforderung. Seuchen stellen ganz wesentliche Fragen der Ethik. Das gilt besonders, wenn eine Seuche mit rechtlichen Mitteln bekämpft werden soll. Denn Seuchen bringen Recht und Gesetz an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit. Das systematische Wesen von Rechtsregeln ist nämlich, dass sie einen klar definierten Tatbestand mit einer ebenso deutlich konturierten Rechtsfolge verknüpfen. Auf diese Weise verfolgt das Recht seinen Zweck, die Erwartung an menschliches Verhalten für jedermann einschätzbar und damit kalkulierbar zu machen.
Was aber, wenn schon die Tatsachengrundlage, an die ein Gesetz anknüpfen will, ihrerseits unsicher ist oder ganz fehlt? Was, wenn den Entscheidern – den Regelgebern ebenso wie den Regelanwendern – die nötigen Informationen für eine verlässliche Einschätzung der Faktenlage fehlen? Die betroffenen Akteure stehen dann allesamt auf unsicherer Tatsachengrundlage. Und genau diese Tatsachenunsicherheit zwingt sie vor jeder Entscheidung zum Tätigwerden zur Beantwortung einer vorgreiflichen Frage. Die lautet: Können und dürfen wir überhaupt aktiv etwas tun, oder sind wir aufgrund unseres mangelnden Wissens nicht vielmehr gehalten, abzuwarten und mindestens bis auf weiteres gar nichts zu tun?
Im Angesicht einer Gefahr neigen die meisten Menschen erfahrungsgemäß dazu, lieber aktiv zu werden als passiv zu bleiben. In Schockstarre zu verfallen und dem Schicksal seinen Lauf zu lassen, ist üblicherweise nicht die erste Option, die Betroffene wählen. Wo der Panische wegrennt, sehen Gruppenanführer sich dann gehalten, Aktivität zu zeigen, um sich und Anderen irgendwie ihre Führungsstärke zu beweisen. Ein Mensch der Tat bleibt nicht bewegungslos, wenn eine Bedrohung naht. Sein Selbstverständnis treibt ihn zur Aktion. Auch ein Gesetzgeber bleibt daher in solchen Fällen nicht gerne still, sondern er greift zur aktiven Handlungsvariante. Er erlässt eilends Krisengesetze und Notverordnungen, um sich erst gar nicht dem Vorwurf hilfloser Untätigkeit auszusetzen.
Aber auch die vitalste Bereitschaft, Regeln formulieren zu wollen, beseitigt den Mangel der fehlenden Tatsachenkenntnis naturgemäß nicht. Also formuliert eine solchermaßen zum Äußersten entschlossene Legislative einen ganz besonderen Typus der Rechtsregel: Sie kombiniert eine unspezifisch formulierte Voraussetzungsseite dieser Norm mit einer gleichfalls unspezifisch formulierten Rechtsfolgenseite. Rechtsvorschriften dieser Art ordnen dann in der Sache zwar nur an, dass irgendjemand, falls nötig, das Erforderliche bewirken kann. Das ist in der Substanz der rechtlichen Verhaltenssteuerung kaum mehr als ein Nichts. Aber es lässt sich mit solchen Gesetzesinitiativen immerhin zeigen: Wir haben die Gefahr gesehen. Wir sind zu allem entschlossen. Und egal, wie sich die Lage entwickelt: Wir sind handlungsfähig!
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