Mal eben einen Kaffee trinken mit Freunden, abends gemeinsam ausgehen oder am Wochenende ein Besuch bei den Eltern – all das musste in den vergangenen Monaten ausfallen. Schuld daran: die Corona-Pandemie. Das hat auch Auswirkungen auf unsere Psyche. Jetzt offenbart eine Forsa-Umfrage im Auftrag der Techniker Krankenkasse das Ausmaß des Schadens.
Demnach fühlt sich die Hälfte der Deutschen durch Covid-19 manchmal oder sogar häufig gestresst. 80 Prozent der Befragten vermissen den Kontakt zu Familie und Freunden. Ein gutes Fünftel fühlt sich tatsächlich einsam.
An zweiter Stelle der schlimmsten psychischen Auswirkungen der Pandemie folgt die Angst, ein Angehöriger könne sich mit dem Virus infizieren (57 Prozent). Die drittschlimmste Befürchtung betrifft einen Zusammenbruch der Wirtschaft.
Wie die aktuellen Zahlen belegen, beeinflusst die Krise nicht nur die Freizeit, sondern gerade auch das Arbeitsleben sehr stark. 38 Prozent der Befragten empfanden ihre Arbeit zum Zeitpunkt der Befragung im Mai als stressiger als vor der Pandemie.
Ein Grund dafür sind fehlende Sozialkontakte, sagt Hannah Schade vom Leibniz-Institut für Arbeitsforschung an der TU Dortmund: „Viele Menschen benötigen auch im Arbeitsalltag den sozialen Kontakt zu ihren Kollegen. Eine gemeinsame Pause steigert dann beispielsweise die Motivation – und damit auch die Produktivität.“
Zwei Drittel der Eltern im Corona-Blues
Inzwischen nehmen die Lockerungen in vielen Lebensbereichen zu. Unter Einhaltung von Auflagen kann das soziale Leben wieder aufgenommen werden. Treffen mit Familienmitgliedern und Freunden sind also wieder möglich.
Eine Erleichterung: Denn viele setzten sich während der Arbeit von zu Hause besonders unter Druck, erklärt Schade: „Während Arbeitnehmer ihre Leistung für gewöhnlich durch ihre Anwesenheit im Büro untermauern können, fiel das während der Pandemie weg. Viele sahen sich deswegen genötigt, noch mehr zu leisten, um zu beweisen, dass sie zu Hause nicht untätig sind.“ Diese Leistung könnten die Arbeitnehmer aber nicht dauerhaft aufrechterhalten, ohne ein Burn-out zu riskieren.
Dieser Druck spiegelt sich in den Zahlen wider: Knapp die Hälfte der befragten Erwerbstätigen ohne Kinder gaben an, während der Heimarbeit gestresst zu sein. Unter den Eltern lag ihr Anteil allerdings bei mehr als zwei Drittel.
Zu diesem Stress dürfte die Ungewissheit in Bezug auf die Betreuungssituation in hohem Maße beigetragen haben, sagt Schade. Ein Aspekt, der sich auch jetzt noch bemerkbar macht: „Für Eltern spielt die Angst vor einer zweiten Welle und die Befürchtung, erneut vor einer unklaren Betreuungssituation zu stehen, sicher eine große Rolle.“
Schulschließungen sind ausschlaggebend
Und auch der Vergleich zwischen Männern und Frauen zeigt auffällige Diskrepanzen. Insgesamt erklärte mehr als die Hälfte der befragten Frauen (57 Prozent), gestresster zu sein als sonst. Bei den männlichen Teilnehmern waren es nur 42 Prozent.
Für Ludger Wößmann, Leiter des ifo Zentrums für Bildungsökonomik, sind die Gründe naheliegend: „Während der Pandemie sind viele Familien noch stärker in traditionelle Rollenbilder zurückgefallen.“ So übernahmen häufig die Mütter die Betreuung der Kinder im Homeschooling. „Das hat auch Folgen für die Chancengleichheit“, sagt Wößmann.
Doch nicht nur Mütter könnten die Folgen der Pandemie karrieretechnisch zu spüren bekommen, sondern auch Eltern allgemein. Denn durch die wegfallende Betreuung könnten sie sich ihrer Arbeit nicht im gleichen Maße widmen wie sonst.
„Die Eltern haben ja nicht plötzlich frei, nur weil ihre Kinder zu Hause sind.“ Insofern müssten Eltern im Berufsleben zwangsläufig zurückstecken. „Das kann auch dazu führen, dass sie bei Beförderungen übergangen werden“, sagt der Ökonom.
Bei einer zweiten Welle würde sich die Situation sogar noch schlimmer darstellen, zumal zu befürchten ist, dass erneut zuerst Kitas und Schulen geschlossen würden, meint Wößmann.
Das sei ein Fehler, denn der Schritt wirke auf den ersten Blick, als würde er nichts kosten. In Wirklichkeit sei diese Maßnahme volkswirtschaftlich sehr teuer. Denn neben psychologischen Kosten durch fehlenden Sozialkontakt und die hohe Stressbelastung für Eltern und Kinder fallen tatsächlich wirtschaftliche Kosten an:
„Durch geschlossene Betreuungsmöglichkeiten fallen rund acht Prozent der Gesamtbeschäftigung weg.“ Und auch zukünftig könnten Probleme und Kosten entstehen. „Faktisch ist für viele Kinder ein Drittel des Schuljahres ausgefallen.
Wie groß der Kompetenzverlust genau ist, wissen wir bisher nicht. Bei einem Kompetenzverlust von einem Drittel Schuljahr müssen wir aber davon ausgehen, dass die Kinder im Berufsleben langfristig drei bis vier Prozent ihres Gehalts einbüßen.“
Auffällig ist, dass die Älteren die Krise wesentlich gelassener sehen als die Jungen. Obwohl der ältere Teil der Gesellschaft in vielen Fällen zur Risikogruppe gehört, fühlen sich nur 27 Prozent der über 60-Jährigen sehr belastet.
Bei den unter 60-Jährigen gaben 60 Prozent (38 Prozent der 18- bis 39-Jährigen und 40 Prozent der 40- bis 59-Jährigen) der Befragten an, starke Probleme mit der aktuellen Situation zu haben.
„Die Jüngeren sind in der Regel aktiver in ihrer Freizeit. Sie gehen aus, treffen sich mit Freunden oder reisen. Da das während des Lockdowns wegfallen musste, haben sie die Zeit als größeren Einschnitt erlebt als die Älteren“, sagt David Horstmann, Psychologe bei der Techniker Krankenkasse.
Schade ergänzt: „Ältere Menschen haben jobtechnisch meist weniger zu verlieren. Entweder, weil sie in Rente sind oder ihre Position bereits gefestigt haben. Zudem bringen sie langjährige Erfahrung mit und sind daher in puncto Karriere häufig entspannter.“ Deshalb würden junge Leute oft versuchen, sich in der Krise zu beweisen und setzten sich daher noch zusätzlich unter Druck.
Druck spüren auch viele Kinder. Zwar bildet die TK-Studie nur die volljährige Bevölkerung ab, doch eine Umfrage des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) zu Corona und Psyche (COPSY) zeigte zuletzt: Mehr als 70 Prozent der befragten Kinder und Jugendlichen fühlen sich durch die Krise seelisch belastet.
Stress durch Streit in der Familie
Das Ergebnis überraschte die Studienautoren, denn vor Corona war dies nur bei einem Drittel der Kinder und Jugendlichen der Fall. „Wir haben mit einer Verschlechterung des psychischen Wohlbefindens in der Krise gerechnet. Dass sie allerdings so deutlich ausfällt, hat auch uns überrascht“, sagt Studienleiterin Ulrike Ravens-Sieberer.
Der Studie zufolge hat sich das Risiko für Depressionen und Verhaltensauffälligkeiten mehr als verdoppelt. Dazu trägt auch die Situation zu Hause bei. Etwas mehr als jedes vierte Kind berichtet in der COPSY-Studie von vermehrten Streitigkeiten in der Familie. Unter den Eltern ist der Anteil sogar um zehn Prozentpunkte höher.
Der Umgang mit den Corona-bedingten Problemen ist der TK-Umfrage zufolge sehr unterschiedlich. So halfen sich 54 Prozent der Befragten mit Videochats mit den Liebsten über die Social-Distancing-Phase hinweg. Gegen die Langeweile wurden die Befragten aktiv, indem sie ihre Zeit nutzten, um den Garten oder Balkon auf Vordermann zu bringen (47 Prozent), den Keller aufzuräumen oder Papierkram zu erledigen (46 Prozent).
Überraschend ist: Nur 19 Prozent der Befragten verbringen nach eigener Aussage mehr Zeit mit interaktiven Medien wie Videospielen oder Social Media. Bisher zeigten Umfragen eher das Gegenteil – eine Bitkom-Umfrage legte im Mai nahe, dass drei Viertel der Deutschen Plattformen wie Facebook oder Instagram während der Krise intensiver nutzten. Das betraf alle Altersgruppen gleichermaßen – also auch die Alten.
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