Daniel Wetzel im Doppelpack – Schweden und der Klimawandel

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Deutschland steht kurz vor dem endgültigen Atomausstieg.
In Schweden wird deutlich, welche Risiken damit verbunden sind: Bei Göteborg musste ein Meiler reanimiert werden, um den Strombedarf zu decken. Auch Deutschland muss sich auf so ein Szenario vorbereiten.

Für Vattenfall-Chef Magnus Hall war es ein schwieriger Auftritt: Der Chef des großen schwedischen Energiekonzerns, der auch stark in Deutschland aktiv ist, verkündete am Dienstag zur Halbzeitbilanz 2020 tiefrote Zahlen – und zugleich seinen Rücktritt als Konzernchef „aus persönlichen Gründen“.

In den Verlusten des Konzerns spiegeln sich die multiplen Herausforderungen der Energieversorgung, die sich aus Corona-Krise, gepaart mit erneuerbaren Energien, Kohle- und Atomausstieg ergeben. In den ersten sechs Monaten des Jahres schrieb Vattenfall einen Verlust von umgerechnet rund 160 Millionen Euro, nachdem im Vorjahreszeitraum noch ein Profit von 740 Millionen Euro in den Büchern gestanden hatte.

Zum Defizit trugen hohe Abschreibungen auf das Hamburger Kohlekraftwerk Moorburg bei, das im Zuge des deutschen Kohleausstiegs dramatisch an Wert verliert. Doch der Hauptgrund für die miesen Vattenfall-Zahlen ist ein anderer: der völlige Verfall der Großhandelspreise für Elektrizität, vor allem in Skandinavien.

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Vattenfall hatte den Meiler an der schwedischen Westküste Mitte März in Revision geschickt. Ende März kündigte der Konzern an, Ringhals 1 den ganzen Sommer über nicht zurück ans Netz bringen zu wollen, weil ein wirtschaftlicher Betrieb angesichts der niedrigen Strompreise nicht möglich sei.

Eine ökonomische Entscheidung, die jedoch die Netzstabilität in Südschweden gefährdete. Der Stromnetzbetreiber Svenska Kraftnät erklärte das Atomkraftwerk für unverzichtbar.

In Verhandlungen mit Vattenfall einigte man sich darauf, den Reaktor vorzeitig, bereits am 27. Juni, „zur Stabilisierung des Stromnetzes“ hochzufahren und bis mindestens 15. September in Betrieb zu halten. Wie jetzt aus dem Quartalsbericht von Vattenfall hervorgeht, erhält der Konzern dafür eine Entschädigung von 300 Millionen schwedischer Kronen, umgerechnet rund 30 Millionen Euro.

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Der schwedische Strommarkt geriet in der Corona-Pandemie ähnlich durcheinander wie der deutsche. In dieser Situation verfielen die Schweden auf eine Lösung, die in Deutschland politisch tabu ist. Dabei wird deutlich: Es ist immer gut, noch ein Ass im Ärmel zu haben.

Im globalen Energiewende-Ranking des World Economic Forum schafften es die Skandinavier in diesem Jahr zum dritten Mal hintereinander auf Platz eins. Deutschland hingegen rutschte auf der Weltrangliste der Energiewende-Vorbilder auf Platz 20 ab. Doch was genau kann man sich bei den Schweden abschauen? Zumindest dies: Es ist immer gut, noch ein Ass im Ärmel zu haben.

Denn der skandinavische Strommarkt geriet in den vergangenen Monaten der Corona-Pandemie ähnlich durcheinander wie der deutsche. Während die Energienachfrage einbrach, sorgten die Launen des Wetters überflüssigerweise für einen besonders hohen Stromüberschuss aus Wind-, Solar- und Wasserkraft. Folge: Die Großhandelspreise für Elektrizität fielen ins Bodenlose, wurden in Deutschland sogar vielfach negativ. Dieses wetterwendische Auf und Ab der Ökostrom-Produktion bedrohte die Stabilität des schwedischen Stromnetzes.

In dieser Situation verfielen die Schweden jetzt auf eine Lösung, die in Deutschland politisch tabu ist: Man mietete sich ein abgeschaltetes Atomkraftwerk von Vattenfall und nutzte es kurzerhand zum Ausgleich der volatilen Schwankungen. Weil die Schweden schon vor Jahren ihren Atomausstieg abgeblasen hatten, steht dem Land dieses Verfahren wohl noch lange zur Verfügung.

In Deutschland dagegen werden steuerbare Kraftwerke langsam knapp. Beträchtliche 12,5 Gigawatt Kohlekraft werden hier in den kommenden zwei Jahren stillgelegt. Ende nächsten Jahres gehen zusätzlich und schlagartig in Grohnde, Brokdorf und Gundremmingen drei Atomkraftwerke vom Netz.

Der schleppende Windkraftausbau ist kein Ersatz, und Stromimporte aus Nachbarländern sind keine Option, da dort ebenfalls Kohle- und Atomkapazitäten wegfallen. Das deutsche Kohleausstiegsgesetz sieht eine erste Sicherheitsüberprüfung und eine Option zur Vollbremsung erst 2023 vor. Das könnte sich freilich als zu spät erweisen. Hoffen wir, dass das Kind dann nicht schon in den Brunnen gefallen ist.

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