Am Ende waren es keine Sozialstunden, …
… die das Goldstück Marvin H. mit dem Stinkefinger aufgebrummt bekam, nein, schlappe 3 1/2 Jahre wurden es, plus 3 Jahre Führerscheinentzug …
MehrDreieinhalb Jahre Haft für Marvin H.
Die Staatsanwalt hatte zweieinhalb Jahre [!!] für den Verursacher eines Unfalls mit fünf Toten gefordert. Urteil hinter verschlossenen Türen.
VON MARLON GEGO
UND CHRISTOPH PAULI
AACHEN/STOLBERG Der Unfallverursacher Marvin H. ist zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Das entschied am Mittwoch das Amtsgericht Aachen. Der 22-Jährige hatte kurz vor Weihnachten 2018 auf einer Landstraße zwischen Stolberg und Aachen einen Unfall verursacht, bei dem fünf Menschen starben.
Das Urteil des Jugendschöffengerichts wurde hinter verschlossenen Türen verkündet. Die Öffentlichkeit war von Richterin Katrin Thierau-Haase für die Dauer des Prozesses ausgeschlossen worden. Ihre mehr als einstündige Begründung gab später Gisbert Fuchs, der Direktor des Amtsgerichts, „rudimentär“ wieder, wie er sagte. Danach hat das Jugendschöffengericht Marvin H. wegen der fahrlässigen Tötung von fünf Personen, der Körperverletzung einer weiteren jungen Frau und wegen eines verbotenen Kraftfahrzeugrennens mit Todesfolge verurteilt. Das Gericht ging anhand des Unfall-Gutachtens davon aus, dass der Angeklagte am Unfallort mindestens 120 Stundenkilometer in einer unübersichtlichen Zone gefahren war, in der nur 70 erlaubt sind. Keine Zweifel bestanden auch daran, dass Marvin H. auf die Gegenfahrbahn gerast war, um eine Radaranlage zu umfahren. Das Gericht erkannte zwar keine „schädliche Neigung“ beim Angeklagten, verhängte aber eine Gefängnisstrafe „wegen der besonderen Schwere der Schuld“, sagte Fuchs.
Das Gericht wendete das Jugendstrafrecht an, das eher erzieherisch angelegt ist und jugendlichen Tätern eine Perspektive bieten soll. Deswegen ist der Strafrahmen deutlich geringer als im Erwachsenenstrafrecht. Oberstaatsanwalt Wilhelm Muckel hatte eine Gefängnisstrafe von zweieinhalb Jahren gefordert. Die Anträge der fünf Nebenkläger wurden nicht bekannt. Die Anwälte äußerten sich auch am Ende des Verfahrens nicht.
Marvin H. hatte im Verfahren die Tat eingeräumt, aber ansonsten Gedächtnislücken geltend gemacht. Sein Verteidiger Osama Momen hatte in seinem Plädoyer eine Bewährungsstrafe gefordert. Ob er Berufung einlegt, will er mit seinem Mandanten in den nächsten Tagen entscheiden. Vorerst hat das Urteil noch keine Rechtskraft.
Im Urteil für Marvin H. ist auch eine Führerscheinsperre von drei Jahren festgehalten. Die Fahrerlaubnis des angehenden Mechatronikers war nach dem Unfall ohnehin eingezogen worden. Ob er nach einer möglichen Haftstrafe überhaupt noch einmal ein Auto fahren darf, entscheidet dann das Straßenverkehrsamt.
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Die Leserbriefe sprechen eine deutliche Sprache. Ein Beispiel:
Markus Timmermanns aus Aachen meint zu dem Urteil gegen Marvin H.:
Prinzipiell einmal ist es für mich nicht nachvollziehbar, warum im Prozess um den Todesfahrer Marvin H. überhaupt nach Jugendstrafrecht gerichtet wurde, obwohl auch das Erwachsenenstrafrecht hätte in Anwendung gebracht werden können.
Dann ergeht ein Urteil im Namen des Volkes, welches alle diejenigen, die ihre Familienmitglieder und Angehörigen auf tragischste Art und Weise aufgrund der Tat von Herrn H. verloren haben, zweifeln lassen muss, dass es überhaupt eine Art Gerechtigkeit gibt, welche durch bloßen Menschenverstand und Gerechtigkeitssinn nachvollziehbar wäre. Ich bin fassungslos darüber, dass nun auch noch der Verteidiger von Herrn H. ausführt, dass sein Mandant, der sein Gesicht hinter der werbewirksam beklebten Aktenmappe der Kanzlei des Verteidigers verstecken durfte, an psychischen Problemen leidet – und aufgrund des gefällten Urteils auch noch in Berufung gehen würde. Fünf tote Menschen, 3,5 Jahre Jugendhaft, Führerscheinentzug für kurze Zeit: Wo ist hier der Staatsanwalt, der aufgrund dieses Urteils in Berufung geht? (Anm. d. Red.: Der Staatsanwalt hatte sogar eine niedrigere Strafe gefordert.)
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Die Ausführungen von …
… Prof. Dr. Thomas Fischer, Jahrgang 1953, ist Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof a.D. Er war vier Jahre lang Vorsitzender des 2. Strafsenats, der über fast alle Revisionen gegen Urteile entschieden hat, die vorher am Landgericht Aachen gefällt wurden. Er ist Verfasser des bekanntesten Kommentars zum Strafgesetzbuch, Schriftsteller und Kolumnist unter anderem bei „Spiegel Online“. Er lebt in Baden-Baden.
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