Ein Schweizer Blick auf Berlin:
MehrIm Rückblick hätte ich es mir einfacher machen können. Über ein paar Wochen hinweg tagtäglich die heftigste Schlagzeile notieren – das hätte vermutlich gereicht und vielleicht sogar ein präziseres Bild von dem vermittelt, was Deutsch-Absurdistan, was den Berliner Alltag ausmacht. Ein paar Beispiele der letzten Tage: Es fehlen demnächst in der Stadt zig Tausende Plätze für schulpflichtige Kinder. Schüler werden – vor allem an sozialen Brennpunkten – in zunehmender Zahl von Lehrkräften betreut, die selbst nicht zum Unterrichten ausgebildet wurden.
Oder: Die Notrufzentrale lässt einen neun Minuten in der Warteschleife hängen – und dann wird man nicht etwa durchgestellt, sondern die Verbindung reisst ab. Weiter: Ein Verkehrsberuhigungskonzept in Kreuzberg wird rückgängig gemacht, das unter anderem aus riesigen, die Fahrbahn blockierenden Felsbrocken, sogenannten Parklets, bestand, unwirtlichen Sitzecken, die mitten auf der Strasse die Kommunikation unter den Nachbarn stimulieren sollten. Und dann auch noch diese Schnapsidee: Die Reinigung der vermüllten Parks soll – frei nach Mark Twains Tom Sawyer, der seine Freunde den Zaun seiner Tante streichen liess – zu Events stilisiert werden, bei denen, so der gendergerechte O-Ton einer Bezirksverwaltung, «eine stärkere Verbindung zwischen Tourist*innen und Anwohner*innen» entsteht.
Nicht minder bizarr, mit welcher Wollust die politischen Parteien in Berlin Harakiri begehen: Politiker der Grünen haben allen Ernstes vorgeschlagen, auf dem Tempelhofer Feld – dem riesigen Gelände des früheren Flughafens Tempelhof – Marihuana anzubauen. Auch die CDU möchte in Zeiten grösster Wohnungsnot das Areal gewerblich nutzen – unter Missachtung einer Volksabstimmung, in der die Berliner das kostbare Grün noch nicht einmal zur Wohnungsrandbebauung freigeben wollten. Ausserdem demontierte die Partei übermütig die einzig vorzeigbare Politikerin, die sie in Berlin hat: Statt der Bundesbeauftragten für Kultur Monika Grütters verhalf sie einem Apparatschik zum Parteivorsitz – als wolle sie dem amtierenden Regierenden Bürgermeister Müller (SPD), dem derzeit unbeliebtesten Landesregierungschef Deutschlands, unbedingt eine zweite Chance geben.
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