Seit April wird der Islamwissenschaftler …
Mehr… und Autor Ralph Ghadban von Clanmitgliedern bedroht. Man solle „keine Gnade“ mit ihm haben, so der unverhohlene Aufruf zur Gewalt gegen den 70-Jährigen. Ghadban steht deshalb unter Polizeischutz, geht keinen Schritt mehr allein aus dem Haus. Was ist passiert?
Ghadban, im Libanon geboren und seit Mitte der 70er-Jahre in Deutschland, hatte in einem Interview mit dem libanesischen Fernsehsender LBC über die Gewalt der Clans in Deutschland und sein kürzlich dazu erschienenes Buch gesprochen.
WELT: Herr Ghadban, wie geht es Ihnen momentan mit der Bedrohung?
Ralph Ghadban: Ich werde vom Staat ordentlich beschützt und mache mir keine großen Sorgen.
WELT: Ihr Buch kam im Dezember heraus, es wurde oft besprochen. Dennoch stehen Sie erst nach einem arabischsprachigen TV-Interview Anfang April im Fokus. Ein Zeichen, wie egal Clanmitgliedern die öffentliche Meinung in Deutschland ist?
Ghadban: Auf jeden Fall. Sie wissen, dass über sie seit Jahrzehnten berichtet wird. Sie haben sich damit abgefunden. Sie halten nicht viel von unserer Gesellschaft und unserem Rechtsstaat. Dass die Deutschen sie kritisieren, ist ihnen egal, solange sie weiter ihre Geschäfte betreiben können.
Neu ist: Eine breite arabische Öffentlichkeit hat davon erfahren. Das erleben sie als Ehrverlust. Sie wurden öffentlich entblößt. Der Libanon ist ein Auswanderungsland. Es liegt in der Natur der Sache, dass Migranten stets angeben, dass sie ausgewandert sind und nun Erfolg haben. Wenn dann jemand erzählt, dass sie kriminell sind, passt das nicht in dieses Bild.
WELT: Sie sagen, man könne Clankriminalität nicht verstehen, ohne die Familienstrukturen zu verstehen. Wie meinen Sie das?
Ghadban: Die Clans nennen sich selber „Stämme“. Das ist keine Erfindung von außen. Sie sind stolz darauf, weil sie denken, dass ihre Solidarität untereinander ein Zeichen der Stärke ist. Die Realität ist noch härter, als ich es mir hätte vorstellen können. Überall wurden Leute gegen mich mobilisiert. Ich habe Bedrohungen aus Syrien, dem Libanon und der Türkei erhalten. Sie denken, dass sie Typen wie mich einfach plattmachen können.
WELT: Als besonders problematische Gruppe haben Sie die Mhallami ausgemacht. Laut eigener Auskunft Kurden aus dem Libanon. Viele Clanmitglieder gehören dazu.
Ghadban: Diese Gruppe hat ein Identitätsproblem. Die waren auf der sozialen Skala im Libanon ganz unten. Daran werden sie nicht gern erinnert. In Deutschland nennen sie sich deshalb libanesische Kurden. So was gibt es aber nicht.
Die unklare Herkunft der Mhallami ist eine Ursache der Solidarität untereinander. Familie und Religion sind ihre Referenz, nicht die staatliche Autorität. Sie können also auch kein Nationalgefühl entwickeln, wie das etwa bei Türken der Fall ist.
WELT: Sie schreiben über die Verantwortung des Aufnahmelandes. Demnach herrscht hierzulande die Ideologie des Multikulturalismus, der nicht sauber von Multikulturalität getrennt werde.
Ghadban: Multikulturalität ist eine empirische Feststellung. Sie sind ein Deutscher, in Deutschland geboren, ich bin ein Deutscher, der im Libanon geboren wurde. Fast alle Gesellschaften sind multikulturell. Multikulturalität widerspricht nicht unserem demokratischen Pluralismus, was Vielfalt auf einer gemeinsamen Basis, nämlich den Menschenrechten, ausgedrückt im Grundgesetz, bedeutet.
Der Multikulturalismus hingegen ist eine Ideologie und gehört zur politischen Philosophie. Multikulturalismus bedeutet Anerkennung der Vielfalt ohne gemeinsame Werte. Das ist das Problem. Unsere Kultur der Aufklärung wird relativiert und gleichgestellt mit anderen Kulturen.
Das ist ein Widerspruch an sich. Vieles im Islam etwa ist in unserem Land einfach strafbar. Egal ob häusliche Gewalt, Polygamie oder der Aufruf zur Gewalt. Bei uns zählt die Anerkennung des Grundgesetzes. Clans ignorieren das und werden letztlich darin bestärkt.
WELT: Sie schreiben, ein weiteres Problem bei der Integration sei, dass einige Migranten unser Gemeinwesen als identitätslos verachten.
Ghadban: Die Bekämpfung des Nationalismus finde ich wichtig. Aber Identität hat mit übertriebenem Nationalismus nichts zu tun. Wenn einer ein Deutscher ist, dann ist er halt ein Deutscher. Und wenn die Deutschen denken, dass sie selber keine Identität haben, dann ist das in den Augen von Zuwanderern verachtenswert.
Selbstverständlich hat jeder Mensch eine Identität, und darauf darf man sogar stolz sein. Man kann sich nicht mit Menschen identifizieren, die sagen, sie hätten keine Identität. Warum sollten Zuwanderer dann deutsch werden, sich integrieren wollen? Das birgt für sie nur Nachteile.
WELT: Sie schildern in Ihrem Buch eine schockierende Situation. Es geht um ein Geheimtreffen zwischen Clans und Polizei und den Versuch der Beeinflussung.
Ghadban: Natürlich hat die Polizei Interesse, ein Einverständnis mit den Clans zu erreichen. Aber nicht um jeden Preis. Die Clans haben sich der Staatsmacht angedient. Nach dem Motto: Wir können dafür sorgen, dass unsere Jungs ruhig bleiben. Das ist der Versuch, hoheitliche Aufgaben der Polizei zu übernehmen. Die Polizei hat natürlich abgelehnt. Die Clans glauben, sie könnten zwischen Staat und Familien vermitteln – genau wie im Orient.
WELT: Sie schreiben weiter, es gebe Probleme in der Justiz. Richter fällten zu lasche Urteile, weil sie einem positiven Rassismus unterliegen, nach dem Motto: der arme Ausländer.
Ghadban: Ja, der Ausländer wird infantilisiert. Das hat mich schon in den 80er-Jahren auf die Palme gebracht, als ich noch in der Sozialarbeit tätig war. Tut mir leid, ich bin kein armer Ausländer. Das ist eine Bevormundung. Ein Grundbegriff der Aufklärung von Kant ist Mündigkeit. Diese Infantilisierung dauert bis heute an und ist eine Katastrophe.
Die Ausländer haben dazu zwei Haltungen. Erstens: Wer ist dieser Idiot, der sich erlaubt, mich zu bevormunden? Und zweitens: Lass sie weitermachen. Wir können davon nur profitieren. Alles kann dann auf den kulturellen Hintergrund geschoben werden. Wenn ein Richter bei einem Jugendlichen in der vierten Generation den kulturellen Hintergrund berücksichtigt, dann ist das ein Skandal.
WELT: Sie sagen auch, dass viele 2015 ins Land gekommene Flüchtlinge von Clanmitgliedern rekrutiert würden. Sie würden gezielt gelockt, indem Clanmitglieder mit Luxuskarossen vor Flüchtlingsheimen vorfahren.
Ghadban: Die Geschichte wird sich wiederholen. Flüchtlinge benutzen schon vorhandene kriminelle Netzwerke, die von vorhergehenden Generationen aufgebaut wurden. Zudem kommen neue Familienverbände, zum Beispiel aus Tschetschenien oder Afghanistan. Sie bringen ihre Clanstruktur mit.
WELT: Was kann man tun, um das System zum Einsturz zu bringen?
Ghadban: Wenn man Frauen aus den Strukturen löst, bricht das System zusammen. Deshalb rede ich seit Jahren von einem Aussteigerprogramm. Solche Dinge wurden ja schon in Berlin-Neukölln initiiert von der verstorbenen Jugendrichterin Kirsten Heisig.
Frauen wird in den Clans bewusst Bildung verweigert, sie werden dann gezwungen zu heiraten. Die Endogamie, also Heirat in der Gruppe, ist eine Grundvoraussetzung für den Bestand des Clans. Man muss Frauen den Ausstieg anbieten, sie dann begleiten, oft jahrelang, damit sie selbstständig werden, überhaupt mal Deutsch lernen. Bis heute gibt es dafür kaum Infrastruktur.
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