Wenn absehbar ist, dass zum Beispiel aufgrund von Sturm hohe Strommengen aus Windenergie produziert werden, und damit die zu erwartende Nachfrage durch diese Mengen befriedigt werden kann, wird er planen, seine konventionellen Erzeugungskapazitäten zurückfahren. Denn die regenerative Erzeugung (hier: Windenergie) hat Vorrang bei der Preisbildung am Mark und natürlich beim nachfolgenden Einsatz. Theoretisch müsste das im Extremfall dazu führen, dass die konventionelle Erzeugung vollkommen aus der Preisbildung herausfällt, denn deren Erzeugung würde teurer als der Minimalpreis am Markt der Regenerativen.
Für den Stromhändler ist aber nicht entscheidend, ob er in jeder Viertelstunde, für die jeweils eine Preisbildung und ein Verkauf vorgeplant wird, Gewinn erzielt, sondern ob er in der gesamten Phase, während der das Sturmtief die Märkte bestimmt, mit Gewinn oder Verlust für sein Unternehmen aus dem Markt geht. Das heißt praktisch, er schaut sich die Prognosen für die Windenergieerzeugung an und versucht zu bewerten, ob sich unter allen Umständen ein Zurückfahren des Kraftwerks wirklich lohnt.
Eine Besonderheit des Kernkraftwerks (wie auch z.B. bei Braunkohlekraftwerken) ist nämlich, dass ein Zurückfahren immer Auswirkungen auf das Verhalten des Kraftwerks beim Wiederhochfahren hat. Je nach Ausmaß des Zurückfahrens der Leistung und dem Zeitraum bis zum Wiederhochfahren ist der technische Aufwand (und die Produktionskosten) dafür unterschiedlich. Das hängt auch vom Zeitpunkt des Betriebszyklus ab, an dem die Anforderung an das Kraftwerk gestellt wird (Stichworte. Xenon, Abbrand des Reaktorkerns, physikalische Auslegung des Reaktorkerns). Im ungünstigen Fall kann das bedeuten, dass nach Abflauen des Windes der Stromhändler den Strom aus dem Kernkraftwerk wieder zum Ausgleich seiner Kundenanforderung benötigt, das Kraftwerk dies aber nicht liefern kann, unter Umständen erst nach einer längeren Wartezeit. Dies kann hohe Verluste für den Stromhändler zur Folge haben. Der Volkswirt spricht von sogenannten Opportunitätskosten, die in vielen Studien und Darstellungen von Lobbygruppen meist nicht dargestellt werden. Man sieht nur, dass Kraftwerke in der Phase hohem Windstromangebot am Netz sind. Dass der Wind danach extrem abflauen kann, wird fast immer ignoriert. Dann kann es sogar sein, dass die Strompreise explodieren! Die detaillierte technische Bewertung der Produktionskosten in der Phase hohen Winds im Einzelfall sehr schwierig. Deshalb wird der Stromhändler vielleicht in Kauf nehmen, das Kraftwerk nicht zurückzufahren oder nur teilweise und die dadurch verursachten Produktionskosten/Ausfälle hinzu nehmen, wenn er nach Abfall des Windangebots und Anstieg der Nachfrage nach konventionellen Erzeugten Energie die Verluste wieder wett machen kann. (An dieser Stelle sei angemerkt, dass diese Eigenart natürlich auch für ein Kohlekraftwerk zutrifft, denn das Aufheizen des Kessels ist ebenfalls Restriktionen unterworfen).
Die Bundesregierung kennt dieses Problem in Verbindung mit negativen Preisen. Mehr oder weniger von den Stellungnahmen der Lobbygruppen hat sie das Argument übernommen, dass die negativen Preise zu einer Verbesserung der „Flexibilität“ des konventionellen Kraftwerksparks geführt haben. Dies ist zum Teil richtig. Wie oben ausgeführt, greift das Argument aber deutlich zu kurz. Außerdem sei darauf hingewiesen, dass die volkswirtschaftlichen Studien eindeutig zu dem Urteil kommen, dass mit diesem (übrigens von den Energiewendeprotagonisten geforderten System negativer Preise) ein zunehmender Wohlstandsverlust für die Gesellschaft verbunden ist (wird aber leider in der Öffentlichkeit nicht diskutiert). Ja man geht sogar soweit zu behaupten, dass die negativen Preise durch die oben beschriebene mangelnde Flexibilität verursacht werden. Das verkennt natürlich, dass der feste Sockel an Mindesterzeugung gegenüber der laufend ansteigenden regenerativen Erzeugungskapazität irgendwann keine Rolle mehr spielt. Die negativen Preise müssen daher systembedingt und unabhängig von einer notwendigen Mindesteinspeisung zunehmen. Ferner sinkt bei reduzierter regenerativer Einspeisung bei negativem Preis bei EEG-Ausgleichsbetrag, also eher ein gegenteiliger Effekt.
Der beschriebene Aspekt muss nicht nur kaufmännisch bewertet werden, sondern auch technisch. Er hat nämlich massive Folgen für die Netzstabilität. Der hier angesprochene Fall tritt oft an lastschwachen Wochenenden auf, wenn starker Wind bei schwacher Nachfrage zu negativen Preisen führen. Würden in dieser Zeit alle konventionelle Kraftwerke auf NULL Leistung zurückgefahren werden, nur um den regenerativen Kraftwerken die maximale Ausnutzung des Windangebots zu ermöglichen, stünden aus obigen Gründen mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Wochenbeginn bei Rückgang des Sturms und (der Windenergieproduktion) bei gleichzeitig steigender Nachfrage die notwendige Ersatzleistung aus konventioneller Erzeugung sehr wahrscheinlich überhaupt nicht, oder nur sehr eingeschränkt, zur Verfügung, was Brownouts bis hin zum Blackout zur Folge haben könnte (auch durch Versorgung aus dem Ausland wäre das nicht auszugleichen). Energiewendeprotagonsiten machen daraus einen Vorwurf, indem sie von der „mangelnden Flexibiliät der konventionellen Erzeugung“ sprechen. Dieses Argument verkennt vollständig, dass regenerative Erzeugung nur beim Zurückfahren der Leistung flexibel ist, für das hier aber unbedingt erforderliche Erhöhen der Leistung (die wesentliche Systemdienstleistung zur Abdeckung der Versorgung) nach Abflauen des Sturms überhaupt keine Flexibilität zur Verfügung stellt.
Daraus folgt auch: Flaut der Wind zu Wochenbeginn sehr stark ab und ist über Deutschland noch eine starke Bewölkung (kaum Sonnenstrom) würde auch eine Verdoppelung der regenerativen Erzeugungskapazitäten nichts an dieser Situation ändern. Im Gegensatz zu dem in der Presse verbreiteten Nachrichten sind diese Fälle nämlich keineswegs selten. Ohne konventionelle
Erzeugungskapazitäten folgen dann nur Lastabwürfe (Brownouts etc.), oft verharmlosend als „Nachfrageeinschränkungen“ bezeichnet.
Welche Kosten und/oder technischen Nachteile beim jeweiligen Kernkraftwerk /fossilen Kraftwerk entstehen beziehungsweise Berücksichtigung finden, ist pauschal nicht zu sagen. Das ist für jedes Kraftwerk und jedem Betreiber unterschiedlich und kann auch im Nachgang nicht detailliert analysiert werden. Der Stromhändler hat selbstverständlich die Möglichkeit, den noch verfügbaren Strom teilweise zurückgefahrener KKW ins Ausland zu verkaufen. Dies kann für Kunden interessant sein, wenn sie eine Leistung gesichert für einen bestimmten Zeitraum benötigen, selbst wenn der Preis höher liegt als der (negative) Marktpreis. Windenergie ist zwar prinzipiell vorhersagbar, aber nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit, auch während einer hier diskutierten Sturmphase. Dies ist möglich, weil nur etwa ein Drittel der Stromnachfrage über die Börse gehandelt wird, der Rest durch separate Handelsverträge.
Weitere Effekte, die eine Rolle spielen sind Leitungskapazitäten ins Ausland. Wird zum Beispiel Strom von einem ausländischen Kunden eingekauft, bezieht er durch das Herunterfahren eigener Kraftwerkskapazität Strom vom Stromhändler (Ohmsches Gesetz). Der Lastverteiler, wird versuchen diesen erhöhten Strombedarf über die grenznahen Leitungen möglichst durch Kraftwerke aus der Nähe wieder auszugleichen. Dafür könnte zum Beispiel ein Kernkraftwerk geeignet sein.
Ferner wurden schon seit längerem Kernkraftwerke aufgrund technischer Vorteile verstärkt zur Frequenzsteuerung eingesetzt werden. Dies geschieht durch schnelle Laständerungen, die der jeweiligen Kraftwerkslast überlagert werden. Technisch funktioniert dies aber nur in höheren Lastbereichen. Bei sehr geringem Leistungsniveau muss dieser Betrieb eingestellt werden. Da diese Leistung, wie die Stromproduktion auch, am Markt verkauft wird, würden diese Einnahmen bei zu starkem Zurückfahren der Leistung ebenfalls fehlen. Schlimmer noch: Die Leistung wird für eine bestimmten Zeitraum verkauft und ist mir Strafzahlungen bei Nichterbringung verbunden. Diesen Effekt wird der Stromhändler für seine Einsatzentscheidung in jedem Fall berücksichtigen.
Die von einem Kraftwerk erzeugte Blindleistung dient zur erforderlichen Spannungshaltung im Netz. Bisher wurden dafür immer Grosskraftwerke eingesetzt. Zunehmend können nun Windkraftwerke diese Funktion übernehmen, allerdings nur wenn genügend Wind auch verfügbar ist. Die oben beschrieben Situation ist damit nicht handhabbar!
Ein weiterer wesentlicher Aspekt, der Berücksichtigung finden muss, sind sogenannten Redispatch- Maßnahmen der Netzbetreiber. Darunter versteht man die Möglichkeit konventionelle, aber auch regenerative Kapazitäten regional zurückfahren zu können, wenn auf bestimmten Leitungsabschnitten des Stromnetzes eine Überlastung zu befürchten ist. Aufgrund des Ohmschen Gesetzes kann dazu aber auch eine Erhöhung von Kraftwerksleistungen erforderlich sein (Stromumverteilung). Gerade in den hier diskutierten Fällen hohen Angebots an Windstrom ist dies häufig erforderlich. Technisch kann das momentan nur mit konventioneller Kraftwerkskapazität gelöst werden. Ein weiterer Netzausbau kann die Situation hier entspannen, löst das Problem, dass auch aus diesem Grund konventionelle Erzeugungskapazität am Netz gehalten werden muss, aber nicht grundsätzlich.
Fazit:
Von einer „Verstopfung der Netze durch Kernkraftwerke“ zu sprechen, sind bösartige Verdrehungen der dahinterliegenden technisch/kommerziellen Vorgänge. Bei hoher Erzeugung aus regenerativen Energien ist es für den kommerziellen Erfolg des Stromhandels und, was wichtiger ist, für die Netzstabilität erforderlich, konventionelle Erzeugungskapazität im Netz verfügbar zu halten. Dies gilt auch bei einem weiteren massiven Ausbau der RE-Erzeugungskapazitäten. Aus dem oben gesagten wird verständlich, dass es bei einem weiteren Wegfall der konventionellen Erzeugungskapazitäten vollkommen offen ist, wie dann ein stabiler Netzbetrieb gewährleitet werden kann. Selbst eine Reduzierung der hier genannten Mindesteinspeiseleistung muss zu einem erhöhtem EEGDeckungsbeitrag führen, da höhere Systemkosten durch größere Stromanteile mit negativem Preis zu vermarkten sind.
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