Artikel zum Sonntag 6.8.2017: Trennung empfehlen!?
Vorab ein Bekenntnis.
Der Autor ist Verfechter einer Verbindung von Mann und Frau mittels Eheversprechen, welches in erster Linie gegenseitigen Beistand in guten und schlechten Tagen und sowie Treue, bis „dass der Tod scheidet“ beinhaltet.
Der Autor, Jahrgang 1954, ist 45 Jahre mit der gleichen Frau zusammen, seit 42 Jahren verheiratet. Das Ehepaar hat eine Tochter und zwei Enkelkinder.
Das Ehepaar denkt nicht daran, sich zu trennen. Es wird jeden Tag glücklicher.
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Wir kennen die Geschichte:
Ein Paar hat Schwierigkeiten in, mit der Beziehung. Es geht zum Paartherapeuten. Nach ein paar Sitzungen trennt sich das Paar.
Das ist nun nicht mehr nötig. Das Buch rechts empfiehlt genau das, was das Ergebnis vieler kostenintensiver Sitzungen mit dem Paartherapeuten ist.
Das Buch gibt – wenn ich die Rezensionen lese – offensichtlich viel wertvolle Hinweise zu einem glücklichen Leben für jedermann.
Egal wie gestrickt, egal wie gepolt. Anything goes.
Ja, alles wäre in Ordnung, wenn die zunächst am meisten eingegangene Verbindung, die von jungen Menschen am meisten gewünschte Verbindung,
eine dauerhaft monogame Verbindung zwischen Mann und Frau,
wenn diese Verbindung nicht immer wieder totgesagt, als anachronistisch und vollkommen uncool diskreditiert würde.
Mit der Folge, dass Menschen, die versuchen, eine solche Verbindung dauerhaft aufrecht zu erhalten, in der Lebenswirklichkeit ihrer Beziehung ganz gewaltige Probleme zusätzlich bekommen.
Genau das ist, genau das wird gewünscht. Von wirkstarken Minderheiten und deren Unterstützern, die Toleranz fordern.
Toleranz für ihren Gedanken des Anything goes.
Die aber denen Toleranz versagen, die dem ´Anything goes` nicht folgen wollen, sondern sich in eine – bürgerliche – Zweisamkeit begeben, die Rücksicht und Treue erfordert.
Jede Beziehung zwischen zwei Menschen bringt Beziehungsschwierigkeiten mit sich.
Das ist eine Binsenweisheit, muss dennoch noch mal ganz groß herausgestellt werden, weil das Aufgeben einer Beziehung wegen dieser Schwierigkeiten in aller Regel das Problem nicht löst.
Nie ist es so, dass Auslöser/Ursache von Beziehungsschwierigkeiten immer und ausschließlich der/die „Andere“ ist. Den Anteil, den ein Partner in Beziehungsprobleme einbringt, diesen Anteil nimmt er auch bei einer Trennung immer mit. So gesehen ist Trennung immer eine Krücke, selten eine Lösung.
Lösung kann nur gemeinsames Arbeiten an sich selber sein.
Ist das ein Widerspruch?
Nein, DAS ist das Geheimnis einer langlebigen Beziehung.
Gemeinsam muss die Beziehung an den Problemen und deren gemeinsamer Bewältigung wachsen.
Im Dialog werden die Erkenntnisprozesse* in Gang gesetzt, die es ermöglichen, seine eigenen Fehler und Schwächen zu erkennen und ggf. zu erheben. Das ist langwierig, gar nicht einfach, aber spannend.
Selbstverständlich ist es viel einfacher, die Schuld immer und immer wieder beim „Anderen“ zu suchen.
Gefunden ist sie schnell. Getrennt wird sich dann häufig nach oft langen Jahren der gegenseitigen Beschuldigungen. Gebracht hat alles nichts.
Nur Scham, Trauer, Wut, evtl. Scheidungskinder. Komplizierte Besuchsregelungen, wenn nicht tiefster Hass – meist der Mutter, die oft alleinerziehend ein karges Dasein fristet, gegen den Ex, der nicht zahlt – auch das zum richtigen Problem werden lässt.
Eine monogame Zweier-Beziehung ist schon allein wegen der eben beschriebenen Sachverhalte nicht einfach. Das ist vielen Menschen im Rausch des Verliebtseins so nicht klar. Sie „riskieren“ es. Sie heiraten. Oder leben einfach nur so zusammen.
Dann kommen Probleme. Mehr oder weniger große Probleme.
Und überall und immer wieder hört, liest und sieht unser Paar, dass die Zweierbeziehung, die monogame Zweierbeziehung ohnehin nicht mehr „modern“, „en vogue“ sei. Das sowas, wie das, was sie versuchen, ein überkommenes Lebensmodell sei, ja so was von „out“ ist.
Trägt eine solche gesellschaftliche Grundstimmung dazu bei, dass unser Paar versucht, seine Probleme in gegenseitigem Vertrauen zu lösen?
Nein, es nagt an den Leuten.
Anything goes … Wär das nichts für mich?
Und dann gibt es ja auch noch so Bücher wie „Trennt Euch!„.
Folge: Viele, ganz viele Paare halten nicht durch, weichen Problemen aus, trennen sich und glauben, die Lösung sei gefunden.
Nein, sie haben sie nicht gefunden. Auch nach einer Trennung werden sie in aller Regel nicht glücklicher. Andere Probleme tun sich auf. Neue Partner sind schnell wieder alte Partner. Das Singledasein verliert seinen Reiz. Die vermeintliche Freiheit ist eine Schimäre. Und spätestens, wenn im Altersheim der Pfleger der beste Freund wird, weil mangels Freunden – von alten Kranken wenden die sich ab, er/sie ist der Spiegel ihrer Zukunft – und mangels Verwandten kein „Anderer“ mehr kommt, dann, ja dann …
… ist es zu spät.
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*Zitat aus dem Interview mit Herrn Müller oben links:
Funck: Apropos ‚Zusammenpassen‘: Das ist ja eine wiederholte Kernaussage Ihres Essays: ‚Es passt, oder es passt nicht. (…) Und wenn es nicht passt, wird es nie passen.‘ So schreiben Sie das. Was muss denn Ihrer Meinung nach alles passen für eine glückliche Partnerschaft?
Meyer: Das ist richtig, ich wiederhole das immer wieder, weil ich tatsächlich finde, das ist tatsächlich der Kern der Thematik. Damit es passt, muss man sich ähnlich sein in zentralen Aspekten. Dazu gehört für mich in erster Linie die Weltsicht. Aber auch davon abgeleitet dann das Wertesystem. Und im Weiteren glaube ich, muss man auch ähnlich sein in Fragen der Intelligenz und der Sexualität und der Lebensumstände und nicht zuletzt, was das Beziehungsmotiv anbelangt. Was will ich eigentlich in einer Beziehung? Was ist mir wichtig? Was ist mir wichtig, mit einem Partner zu erleben? Was will ich nicht? In diesen Dingen glaube ich, nein – ich bin überzeugt davon, muss man sich wirklich ähnlich sein. Denn sonst diskutiert man ewig drum rum.“
Wenn die These von der notwendigen Ähnlichkeit der Partner einer Beziehung stimmen würde, müssten Paare, die mittels EDV-gestützter Vermittlung glücklicher sein und länger zusammen bleiben.
Allein die Tatsache, dass kein Institut damit wirbt, legt die Vermutung nahe, dass das nicht der Fall ist.
Sehr schön tritt in den Fragen, die Herr Müller gegen Ende des Zitats stellt, die tatsächliche Problematik von Beziehungen zutage:
Eine heute weit verbreitete Ich-Bezogenheit. Solche Ich-Bezogenheit (Unter´ m Strich zähl´ ich) behindert dialogische Erkenntnisprozesse sehr stark. Und ist damit ebenfalls eine Ursache für das Scheitern von monogamen Zweierbeziehungen.
Genau in diesem Bereich versprechen die Jünger des „Anything goes“ weitgehende Abhilfe (Emanzipiere D ich und Du wirst glücklich) , was ohnehin ´kippelige` Beziehungen noch schneller erodieren lässt.
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