Der Chefredakteur der WELT, Ulf Poschard, schreibt einen Brief.
Einen offenen Brief an Recep Tayyip Erdoğan, den türkischen Staatspräsidenten, einen Brief in Sachen Deniz Yücel. Darin heißt es u. a.:
„Deniz Yücel ist Journalist, ein kritischer und unbequemer. Nicht mehr und nicht weniger. Bitte lassen Sie ihn frei. Deniz hat sich freiwillig gestellt und vertraut auf ein rechtstaatliches, faires Verfahren in Ihrem Land. Er arbeitet mit den ermittelnden Behörden zusammen.
Zu den Säulen Ihrer Religion gehört der Koran. In einer der schönsten Suren, der 55., wird erzählt, wie Gott, der Barmherzige, die Welt erschaffen hat: Zuerst schuf er den Menschen, dann den Himmel mit der Sonne und den Sternen und schließlich die Waage, die fortan für Gerechtigkeit unter den Menschen sorgen sollte. ´Wenn ihr über Menschen richtet`, das fordert Gott von seinen Gläubigen, ´dann urteilt mit Gerechtigkeit`.“
Allein diese beiden Abschnitte am Schluss des Briefes lassen mich den Kopf schütteln.
Warum, so frage ich mich, sollte der Präsident den Inhaftierten „freilassen“?* In der Türkei findet doch genau das rechtsstaatliche Verfahren statt, welches Ulf Poschardt nach der Bitte auf Freilassung fordert.
Herr Erdogan – und darauf kommt es an – ist jedenfalls davon überzeugt, dass ein solches stattfindet. Es gibt aus seiner Sicht überhaupt keinen Grund und wahrscheinlich auch keine Handhabe*, in die Mühlen der Justiz einzugreifen.
Dass Ulf Poschardt dann noch als quasi Begründung eine Koransure zitiert, kommt sicher nicht gut an. Da meint ein sich anbiedernder – Eine der schönsten Suren: Als wenn er davon wirklich Ahnung hätte – Ungläubiger – Herr Poschardt – besserwisserisch, Gerechtigkeit zu fordern. Die findet doch statt. Das ist die Sicht der Mehrheit der Türken. In der Türkei, aber auch in Deutschland. Die Sichtweise von Recep Tayyip Erdoğan ist es sowieso.
Ganz sicher.
Gerechtigkeit, die widerfährt Deniz Yücel. Es ist halt die türkisch-islamische Gerechtigkeit. Und nicht die arrogant-westliche. So sieht das jedenfalls der Staatspräsident der Türkei.
Auch da bin ich mir ganz sicher.
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Herr Poschardt lässt sich zu Beginn seines Briefes ziemlich ausführlich über die Gründe aus, weshalb und für welches journalistische Gebiet er Deniz Yücel bei der WELT engagiert hat.
Bereits in einem früheren Artikel (siehe dort ganz unten) habe ich eine „andere Meinung“ über das Schaffen Deniz Yücels angeführt: Wie sich Herr Yücel über Thilo Sarrazin und die Folgen seines Schlaganfalls plus weitere Wünsche ausgelassen hat, ist bereits mehr als grenzwertig.
Wenn man nun etwas weiter in die Vergangenheit zurückgeht, stößt man auf einen Artikel der taz vom 4.8.2011, in welchem Deniz Yücel auf Thilo Sarrazins Buch „Deutschland schafft sich ab“ Bezug nimmt.
Wenn ich mir diesen unten aufzurufenden Erguss des Herrn Yücel so anschaue, frage ich mich ernsthaft, was Herrn Poschardt bewogen haben könnte, diesen Mann anzustellen. Wenn Deniz Yücel sich in ähnlicher Manier über die Türkei oder türkische Verhältnisse geäussert hat, wundert es mich nicht, dass er jetzt im Türkenknast hockt und dort wahrscheinlich verschimmeln wird.
Ich fände das durchaus nicht in Ordnung. Doch jeder halbwegs intelligente Mensch weiß, dass die Türkei nicht Deutschland ist. Während hier jede noch so unverfrorene – siehe unten – Frechheit – außer „Rechts“ natürlich“ – durchgeht, sehen das andere Länder durchaus anders. Ganz anders.
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*Das geht in keinem Rechtsstaat. In Deutschland auch nicht. Gerichte sind unabhängig und schon gar nicht weisungsgebunden. Im Falle einer Verurteilung könnte eine Begnadigung stattfinden. Doch das ist der Ausnahmefall. Und immer erst nach weitgehender Verbüssung der Haft.