Kein Grund zur Panik, meint der Professor für Europa-Studien Timm Beichtel zur Krise der EU in einem Interview der Aachener Nachrichten vom 17.2.2015. Es sei sogar nicht mal eine Krise, so der Experte. Unterschiedliche Interessen und unterschiedliches Abstimmungsverhalten seien normal. Nun sei eben Deutschland mit der Erfahrung einer Niederlage dran.
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Das kann man so sehen. Es ist allerdings ein höchst formalistischer Ansatz. Dass Deutschland mit seiner Flüchtlingspolitik der nachhaltig offenen Grenze faktisch vollkommen isoliert in der EU dasteht, ist nicht das Ergebnis einer Abstimmung, sondern einer tiefgreifenden Differenz im politischen Verständnis geschuldet. Die einsame Entscheidung von Frau Merkel, die auch im Nachhinein durch das bundesdeutsche Parlament – es fand nicht mal eine Debatte statt – keine politische Legitimierung fand, ist in hohem Maß
gesinnungsethisch motiviert. Das bedeutet, dass z. B. die
verantwortungssethische Vorgabe für eine/n Bundeskanzler*in
„Schaden vom deutschen Volk abzuwenden“ durch eine individualistische Sichtweite – Jeder einzelne angeblich verfolgte oder sonstwie beladene Mensch hat zunächst mal Anspruch auf Einreise nach Deutschland ohne Festlegung einer Obergrenze, ohne Abstimmung mit Deutschlands EU-Partnern, ohne Bedenken der weiteren Folgen – ersetzt wird. Regelungen z. B. des Grundgesetzes und des Asylgesetzes werden nicht befolgt. Da wäre in erster Linie die Vorschrift zu nennen, dass Menschen, die aus einem sicheren Drittstaat einreisen, keinen Anspruch auf Asyl nach
Artikel 16a GG haben. Das
Asylgesetz sieht generell die Zurückweisung von Menschen vor, die aus sicheren Drittstaaten kommen. Die Schutzsuchenden kommen auf dem Landweg praktisch alle aus einem Land, in dem sie weder um Leib und Leben fürchten müssen, noch politisch verfolgt werden.
Dass die übrigen EU-Staaten mehr oder weniger offen gegen eine solche Politik sind, ist verständlich. Das Handeln Deutschlands ist staatspolitisch nicht nur unvernünftig. Es widerspricht in höchstem Maße jedweder Regel der politischen Kunst. Vor allem das Versäumnis, sich mit den EU-Partnern abzustimmen, ist eine Katastrophe, die durch nichts zu entschuldigen ist. So gehen die Differenzen viel tiefer, als sie mit einer Abstimmungsniederlage verbunden wären. Deutschland glaubt, als Hegemon auftreten zu müssen. Solches Verhalten ist bekannt. Waren es im vorigen Jahrhundert noch imperialistisch-völkische Motive, die zum 2. Weltkrieg führten, so sind es diesmal die vorgeblich guten Aspekte, die Europa entzweien. Das ist nicht zielführend und wird heute wieder einmal, diesmal von den EU-Partnern zu Recht abgelehnt und lässt Deutschland auflaufen. Die EU ist in einer Krise. Eine Krise, die von Deutschland verursacht wurde. Weil es die diplomatischen und gesetzlichen Pfade verlassen hat. Ohne Not.